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Mutters

Agenda

dreizehnten Band

31. Mai 1972

(Mutter bleibt lange in sich gekehrt. Mutter fragte Satprem häufig, ob er keine "Fragen" habe, aber tatsächlich kam er nicht zu Mutter, um Fragen zu stellen. Er wollte sich selbst völlig auslöschen und ihre Erfahrung fließen lassen, soweit sie sie ausdrücken wollte, oder sie sich im Schweigen ausdrücken lassen, wenn sie das vorzog. Sein Mental, das stets tausend Fragen hatte, wollte er nicht in Bewegung setzen, denn ihm schien es nur die Atmosphäre zu vernebeln oder Mutter einen Zwang aufzuerlegen. Die Fragen schienen ihm nur von Wert zu sein, wenn sie wie ein innerer Drang spontan aufkamen, weil sie dann einer Erfahrung Mutters entsprachen. Satprem wollte nur eine Art Katalysator für das sein, was in ihr vorging. Und dann war da ihre Atemlosigkeit, die ihn schmerzte.)

Was hast du zu sagen?

Nichts Besonderes.

(Satprems Hände haltend) Was hast DU SELBST zu sagen?

Nichts, liebe Mutter... Ich möchte, daß die verborgensten Winkel des Wesens sich öffnen – das möchte ich.

Aus irgendeinem Grund kommt mir ständig (und seltsam beharrlich) das Bild unseres letzten Treffens, als du noch bei der Regierung warst 1 . Ich war gekommen, um dem neuen Gouverneur einen Besuch abzustatten, und du saßest im Zimmer... nein, es war auf der Veranda. Dort stand eine lange Bank, auf der du saßest, und beim Hinausgehen sah ich dich dort, deine Silhouette zeichnete sich vor dem Himmel ab. Es war ein Balkon oder eine Veranda, ich weiß nicht mehr...

Dieses Bild kommt mir immer wieder .... Warum nur?

Erinnerst du dich daran?

Nein. [Satprem wollte sich nicht erinnern]

Warum hat sich das derart in mein Gedächtnis eingeprägt?... Du warst nicht allein, zwei oder drei Personen waren dabei, ich weiß nicht genau. Ich weiß nicht einmal mehr, wer sie waren und wie sie aussahen oder sonst irgend etwas – ich sah nur dich. Und das...

Es war das letzte Mal, daß ich zur Regierung ging. Du warst noch da, aber der Gouverneur war schon abgereist – es war Baron.

Warum das?

Du erinnerst dich nicht mehr daran, was du fühltest?

Nein, liebe Mutter.

Warum kommt das so beharrlich wieder?

Es war wie eine Vorahnung, welchen Platz du in meinem Leben einnehmen würdest.

Alles andere war verschwommen, unbestimmt – inexistent –, aber du... Ich sehe es noch, als sei es gestern gewesen. Du saßest dort... Du warst in einer recht spöttischen Laune 2 .

Ich war ziemlich dumm.

Wie?

Damals war ich ziemlich dumm – jetzt bin ich es etwas weniger...

(Mutter lacht)

Dank deiner.

(Schweigen)

Spöttisch – ich glaube nicht, liebe Mutter. Ich war nie ein Spötter.

Nein, nicht spöttisch...

Ich war eher störrisch oder argwöhnisch.

Ja, genau! So ist es.

Als würdest du sagen: "Was soll das!" (Lachen)

Ach, Mutter, welche Gnade, dir begegnet zu sein!

(Mutter nimmt Satprems Hände)

Ich WEISS.

(nach einem Schweigen)

Oh, mein Kind, beide Dinge zusammen, das ist so unglaublich: eine ungeheure Macht – man hat wirklich den Eindruck, daß man nur das zu tun braucht (Mutter macht eine Faust in der Luft), und es ist getan –, und gleichzeitig... weiß man nichts, versteht nichts... Ich erinnere mich an nichts. Da ist nichts mehr, nichts mehr... (Mutter berührt ihren Kopf, eine Leere andeutend). Entscheidungen gehen durch das Bewußtsein hindurch: sobald es gesagt oder getan ist, sind sie wieder verschwunden.

Ich erinnere mich an nichts mehr – nichts –, außer auf diese Weise (Geste, einen Punkt in der Luft herauszugreifen), eine Sache unter Tausenden. Aber warum?

(Schweigen)

Da ist eine seltsame Erfahrung. Alle alltäglichen Ereignisse, die gewöhnlichsten Dinge: Aufstehen, Schlafengehen, Baden, der "Versuch" zu essen (denn das ist ein recht vergeblicher Versuch), all das... scheint lächerlich zu sein, aber gleichzeitig das Gefühl, alles könnte ein Anlaß zum Sterben sein (es gibt nichts, das nicht Anlaß zu sterben sein könnte, das heißt, den Körper zu verlassen), und gleichzeitig – gleichzeitig – ein Gefühl der Unsterblichkeit. Das ist fast... Das ist fast unbeschreiblich, so sehr ist es... Diese beiden Gegensätze – nicht "Gegensätze" sondern... (nur in der Beschreibung sind sie gegensätzlich).

(Schweigen, dann lächelt Mutter, als habe sie etwas entdeckt)

Hör zu, das klingt völlig grotesk, aber ich sage es dir: Es ist so, als sei sich das Bewußtsein hier der göttlichen Entscheidungen bewußt – daß alles Anlaß sein kann, den Körper zu verlassen, wenn es dem Göttlichen beliebt, daß der Körper abdanken muß, und daß man in jedem Moment das Gefühl der Unsterblichkeit haben kann, wenn das Göttliche entscheidet, daß man das Gefühl der Unsterblichkeit haben soll. Die GLEICHE Sache. Verstehst du, was ich sage? Die GLEICHE Sache.

Nehmen wir zum Beispiel dieses Bild, das ich ständig von dir habe, auf der Bank sitzend und mich anschauend – so, als sagtest du: "Was soll denn das!", weil ich zum Regierungssitz gekommen war (zu Barons Zeiten ging ich sehr häufig dorthin, aber seit seiner Abreise nicht mehr). Dann kam ich noch einmal, und es war, als sagtest du: "Was soll denn das!" als ob... ja, als hättest du gedacht: "Man vergißt schnell" oder etwas in der Art 3 – jedenfalls warst du nicht sehr wohlwollend! (Lachen) Diesen Eindruck hatte ich... Und warum kommt das so wieder?... Das war also der Ausgangspunkt – der Ausgangspunkt einer großen Aktion zwischen uns beiden. Einer großen Sache zwischen uns beiden. Und warum diese ganz kleinen Geschichten in dem Augenblick, wo sich das Schicksal entschied?

Man könnte fast sagen, wohl deshalb, um zu beweisen, daß alle Erscheinungen Illusion sind.

Ja, ja.

Daß alle Erscheinungen Illusion sind – daß es etwas gibt... etwas, das für mich immer konkreter und ungeheuer machtvoll wird: der Wille des Herrn. Und es ist kein bewußter Wille nach unserer Art sondern etwas, das so ist (Mutter senkt ihre beiden Arme weit ausgebreitet). Unaussprechlich. Es gleicht nichts uns Bekanntem. Und es ist ein gewaltiger Wille – gewaltig in dem Sinne, daß alle Erscheinungen, alle Widersprüche, alle Willensäußerungen nichtig sind: es ist DAS (gleiche Geste mit offenen Armen, die sich in einer Allmacht senken). Das ist es. Ich fühle, daß DAS hier hindurchgeht [durch Mutter], als sei ich darin gebadet. Auf die Weise.

Es gibt nichts... hier ist nichts (Mutter berührt ihre Stirn), da ist Leere, leer-leer-leer – hohl. Ich denke nicht. Es gibt kein Ich, es gibt kein... Es ist fast eine leere Schale, mit dieser so gewaltigen Macht (weite, mächtige Geste mit offenen Armen)...

(langes Schweigen)

Es muß das supramentale Bewußtsein sein, das versucht, Besitz zu ergreifen von... Dies [der Körper] ist wie eine Schale.

Eine Schale... Wird sich das ändern können? Ich weiß es nicht.

(Schweigen)

Ständig habe ich den Eindruck... (weite, machtvolle Geste mit offenen Armen)

(Schweigen)

(Lächelnd) Wirklich interessant.

(Schweigen)

Als wolle sich eine übermenschliche Kraft durch Jahrtausende der Machtlosigkeit hindurch manifestieren... So ist das. Dies [der Körper] ist durch Jahrtausende der Machtlosigkeit entstanden. Und eine übermenschliche Kraft versucht... übt Druck aus, um sich zu manifestieren. So ist das. Was wird das Ergebnis sein? Ich weiß es nicht.

(Schweigen)

Als habe sich an jenem Tag, als ich deine Silhouette vor dem Himmel sah... als habe sich in DEM AUGENBLICK entschieden, welchen Platz du in dieser Schöpfung einnehmen würdest. Das ist wirklich, wirklich .... mirakulös interessant.

Und alles ist so – für alles. Es gibt AUGENBLICKE, wo die Dinge entschieden werden.

(Meditation, die Uhr schlägt)

Es gibt keine Zeit mehr.

(Mutter schüttelt den Kopf)

Als sei eine andere Zeit in diese hier eingetreten.

 

1 1949 nach der Abreise des Gouverneurs Baron. Mutter sprach schon einmal von dieser Begegnung im Gespräch vom 1. September 1971 – Agenda Bd. 12.

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2 Eher aufgebracht, daß Mutter dem Nachfolger des alten Gouverneurs ihren Besuch abstattete.

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3 Mutter hat ein Gedächtnis!... Vor dreiundzwanzig Jahren hatte sie einige Sekunden mit uns verbracht, und sie erinnert sich sogar an das, was niemals ausgesprochen worden war. Satprem erinnert sich an die ganze Szene: Er war wütend auf Mutter, denn er meinte, sie verrate Baron, indem sie seinen Nachfolger besuchte (der alle Register gezogen hatte, um Baron auszuschalten).

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