Mutters
Agenda
neunten Band
8. Mai 1968
Hast du P.L. wiedergesehen? Wie fandest du ihn?
Er ist sehr erschüttert und nervlich ausgelaugt.
Du glaubst nicht, daß sie Magie gegen ihn ansetzten?
Doch, ich habe ganz und gar diesen Eindruck.
Du also auch... Ich habe sehr stark den Eindruck, daß man Magie gegen ihn ansetzte, um zu verhindern, daß er mit dem Papst spricht.
Im Augenblick ist er immer noch sehr erschöpft.
Ja, sie haben ihn ausgesogen.
Es begann mit einem mentalen Angriff: all die Zweifel. Sri Aurobindo ist "wie der Heilige Augustinus", und Mutter ist "wie die Jungfrau Maria", es ist also "alles dasselbe". Jedenfalls ein mentaler Angriff. Danach konnte er nichts mehr zu sich nehmen: Jedesmal, wenn er etwas aß, mußte er sich übergeben. Dann Anfälle von Hysterie: Krämpfe, übermäßiger Speichelfluß, und schließlich war er halb verrückt.
Du meine Güte!
Er hatte dem Papst nämlich geschrieben... Folgendes geschah: Er schrieb dem Papst und bat ihn um eine Audienz, aber dieser Brief hat den Papst nie erreicht.
Ach!
Der Brief geriet in die Hände des für die Korrespondenz zuständigen Sekretärs, der die Sache wahrscheinlich an das "indische Departement" des Vatikans weitergab, um herauszufinden, was es mit diesem Ashram auf sich hatte... Und man hat ihm nie gestattet, den Papst zu sehen. Nach acht Tagen begannen die Angriffe. Dann sagte man ihm: "Sehen Sie, Sie sind zu krank, um den Papst zu treffen. Sie sind ans Bett gefesselt."
Man ist dort jetzt sehr mißtrauisch.
Durch all das, was er erzählte, wurde mir die Atmosphäre im Vatikan sehr klar... Es ist fürchterlich dort, eine Mafia, Banden, die sich aufs Blut nicht ausstehen können und die sich nichts zu sagen getrauen, solange der Papst lebt: und diejenigen, die für den Papst sind, getrauen sich auch nicht, den Mund zu öffnen, denn die sagen sich: "Wenn der Papst stirbt, bin ich auf die Gegner des jetzigen Papstes angewiesen, damit ich an seiner Stelle gewählt werde." Alle denken nur an die Nachfolge. Also möchte niemand des anderen Feind sein, und jeder überwacht jeden. Eine entsetzliche Atmosphäre.
Seitdem er den Brief an den Papst abgeschickt hat, beobachte ich, daß wir hier ständig, ständig unter Angriff stehen.
Diese Leute sind gefährlich.
Dann gibt es da noch etwas Ernstes, worauf mich P.L. aufmerksam gemacht hat: Vor einem Jahr wurde der Papst operiert...
Was für eine Operation?
An der Prostata. Tatsächlich ist es Krebs.
Oh!... Also erwarten alle, daß er stirbt...
Zudem ist er nicht beliebt. P.L. sagte mir: "Im Vatikan ist er nicht beliebt." Es heißt: "Er ist der Sohn eines Journalisten, ein Typ, der auf Sensationen aus ist." So beurteilt man ihn dort.
(Mutter verharrt lange in Konzentration)
Wurde der Papst vor oder nach seinem Indienaufenthalt operiert?
Ich glaube danach.
*
* *
(Mutter verweilt bis zum Ende der Gesprächszeit in Kontemplation)
Ich habe keine Lust zu sprechen... Es handelt sich aber um eine unermüdliche Arbeit, Tag und Nacht, Tag und Nacht... "Man" scheint da etwas ausgelöst zu haben... etwas recht Ungeheuerliches. 1
Hast du nichts zu sagen?
Man kann sich fragen, welche Folgen diese ganze Geschichte dort im Vatikan haben wird.
Ihnen geht es doch nur darum, den gegenwärtigen Stand der Dinge beizubehalten. Ihr ganzer Wille ist darauf ausgerichtet, daß sich nichts ändere... Leider ist es leichter, eine Änderung zu verhindern, als sie auszulösen.
1 Seit dem 2.4.68 ("Ein ungeheures Blatt wendet sich")