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Mutters

Agenda

neunten Band

16. März 1968

Mutter reicht Satprem eine Blume.

Das ist ein Happy Heart ["frohes Herz" 1 ].

Ich bin dabei, sein Geheimnis zu ergründen.

(langes Schweigen)

Man hat stets den Eindruck, die ganze Zeit auf dem Weg zu einer großen Entdeckung zu sein; dann macht man diese Entdeckung und wird dessen gewahr, daß sie schon immer bekannt war!... (lachend) Man betrachtet sie nur auf andere Weise.

Heute morgen kam eine Erfahrung, die wie eine außerordentliche Offenbarung anmutete, und... es handelt sich um etwas, das man schon immer wußte. Dann mentalisiert man sie – sobald man sie mentalisiert, wird es klar, aber es ist nicht mehr das, was man ursprünglich erfahren hat. Man kann sagen, daß diese Schöpfung die "Schöpfung des Gleichgewichts" 2 ist und daß es sich nur um einen Fehler des Mentals handelt, eine Sache auswählen und eine andere ablehnen zu wollen – daß alle Dinge zusammengehören, daß das, was man gut nennt, das, was man schlecht nennt, das, was uns angenehm erscheint, und das, was uns unangenehm erscheint, alles zusammen bestehen sollte. Und heute morgen kam die Entdeckung, daß durch die Trennung – diese Trennung, die schon auf alle möglichen verschiedene Arten beschrieben wurde, manchmal bildhaft, manchmal in abstrakter Form, manchmal in psychologischer Form usw. –, all das schlicht Erklärungen sind, während es sich hier wahrscheinlich einfach um das handelt, was die Objektivierung ermöglichte (Geste, das Universum aus dem Nicht-Manifestierten hervorzubringen)... Aber auch das ist wieder nur eine Erklärungsart. Was ist diese angebliche Trennung also? Man weiß es nicht (oder vielleicht weiß man es doch...). Jedenfalls ist sie es, die Weiß und Schwarz schuf (im Falle der Farben), oder Tag und Nacht (dort ist es bereits verschwommener – aber auch Schwarz und Weiß sind schon vermischt), jedenfalls die Tendenz, zwei Pole zu konstruieren: das Angenehme und Gute im Gegensatz zum Unangenehmen und Schlechten. Und wenn man zum Ursprung zurückkehren möchte, verschmelzen diese beiden Pole immer mehr, und zwar in einem vollkommenen Gleichgewicht, das bedeutet, daß keine Teilung mehr möglich ist und daß kein Teil Einfluß über einen anderen ausübt – beide sind ja eins –, und das ist die berühmte Vollkommenheit, die man wiederzuerlangen versucht.

Die Ablehnung des einen und das Annehmen des anderen ist eine Kinderei, eine Unwissenheit. Und all die mentalen Übertragungen wie die eines ewig bösen Übels, das die Vorstellung der Hölle wachrief, oder die eines ewig guten "Guten"... all das sind Kindereien.

(Schweigen)

Und es kann sein (vielleicht, denn sobald man es formulieren will, beginnt man zu mentalisieren, und das schmälert es, zieht etwas ab, begrenzt es, und es verliert die Macht der Wahrheit, aber nun...), es kann also sein, daß in diesem Universum, so wie es beschaffen ist, die Vollkommenheit... (Mutter verharrt lange in ihrer Erfahrung versunken). Die Sache entzieht sich den Worten... Man könnte es folgendermaßen formulieren (aber dann wird es trocken und leblos): Die Wahrnehmung... Ist es allein Wahrnehmung? – Es ist mehr als das... nicht Wahrnehmung, nicht Wissen, nicht Bewußtsein... Man könnte sagen: das Bewußtsein der Einheit des Ganzen, so wie es vom Individuum wahrgenommen wird – wahrgenommen, gelebt, verwirklicht. Aber das besagt nichts, es sind nur Worte... Das Universum scheint dafür geschaffen worden zu sein, dieses Paradox eines Bewußtseins des Ganzen in allen seinen Teilen lebendig zu verwirklichen (nicht nur wahrgenommen sondern auch gelebt), wobei jedes Element zugleich das Ganze darstellt.

Die Bildung dieser Elemente begann durch die Trennung, und diese Trennung führte zur Aufspaltung in etwas, das man Gut und Böse nennt; aber vom Standpunkt der Wahrnehmung aus gesehen – der Wahrnehmung in ihrer materiellsten Form – kann man sagen: es ist das Leiden und das Ananda. Und die Bewegung besteht darin, jegliche Trennung aufzuheben und das totale Bewußtsein in jedem seiner Teile zu verwirklichen (vom mentalen Standpunkt aus mag das absurd sein, aber so ist es).

All dies ist für meinen Geschmack viel zu philosophisch und nicht konkret genug. Die Erfahrung von heute morgen war jedoch konkret, weil sie von extrem konkreten Wahrnehmungen im Körper ausging, von der Gegenwart dieser konstanten Dualität, die in ihrer Erscheinung einem Gegensatz gleichkommt (kein bloßer Gegensatz: eine gegenseitige Verneinung) zwischen... wir können das Leiden und das Ananda als Sinnbild nehmen. Der wahre Zustand ist eine Totalität, die alles enthält; anstatt aber alles in gegensätzlichen Elementen zu enthalten, ist es eine Harmonie von allem, ein Gleichgewicht von allem (es erscheint im Augenblick unmöglich, dies in Worte zu fassen, aber es wurde gelebt und gespürt). Und wenn dieses Gleichgewicht in der Schöpfung verwirklicht worden ist, kann diese Schöpfung... (wenn man es in Worte faßt, hört es auf, das zu sein, was man meint)... man könnte sagen: kann diese Schöpfung ohne Unterbrechung fortschreiten.

Aber das ist es nicht.

Wieder durch das gegenwärtige unvollkommene Bewußtsein gesehen, gab es in diesen Tagen wiederholt einen Zustand (all das geschah methodisch, und es wurde organisiert durch eine Gestaltung des Ganzen, die allem, was wir uns vorstellen können, unendlich überlegen ist), der den entscheidenden Faktor für den Bruch des Gleichgewichts, das heißt für die Auflösung der Form, bildet – das, was man gewöhnlich den "Tod" nennt –, und dieser Zustand wurde zur Verdeutlichung bis an die äußerste Grenze geführt, und zwar begleitet vom Zustand (nicht der Wahrnehmung: dem Zustand), der diesen Bruch des Gleichgewichts verhindert und das ununterbrochene Andauern des Fortschritts gestattet. Dies ergibt im Körperbewußtsein die gleichzeitige Wahrnehmung (fast gleichzeitig) von dem, was man als äußerste Angst vor der Auflösung (es ist nicht ganz das, geht aber in diese Richtung) und andererseits als das höchste Ananda der Vereinigung bezeichnen kann – und beides gleichzeitig.

Vereinfacht ausgedrückt: die extreme Zerbrechlichkeit der Form (mehr als eine Zerbrechlichkeit) und die Ewigkeit der Form.

Und nicht bloß die Vereinigung sondern die Verschmelzung, das Einswerden dieser beiden Zustände ergibt die Wahrheit.

Mentalisiert wird es für jedermann klar – es verliert jedoch seine wesentliche Qualität, dieses gewisse Etwas, das sich nicht mentalisieren läßt.

Das Bewußtsein dieser beiden Zustände muß gleichzeitig sein?

Nicht gespalten. Die Vereinigung der beiden Zustände macht das wahre Bewußtsein aus; die Einheit der beiden ("Vereinigung" setzt noch eine Trennung voraus), das Einssein der beiden Zustände macht das wahre Bewußtsein aus. Dann spürt man, daß dieses Bewußtsein die Höchste Macht ist. Die Macht ist begrenzt durch Widerspruch und Verneinung: die mächtigste Macht ist jene, die sich am stärksten behauptet – das ist eine totale Unvollkommenheit. Es gibt jedoch eine allmächtige Macht, die aus der Verschmelzung der beiden Zustände resultiert. Das ist die absolute Macht. Und wenn dies physisch verwirklicht wäre... ergäbe das vermutlich die Lösung des Problems.

Die Stunden, die ich heute morgen auf diese Weise verlebte, machten den Eindruck, man habe alles gemeistert und alles begriffen – und mit "begreifen" verstehe ich das Begreifen, aus dem sich die absolute Macht ergibt. Natürlich läßt sich das nicht aussprechen.

Eben das haben die Leute, die diese Erfahrung hatten oder sie berührten, ausgedrückt, als sie sagten, diese Welt sei eine Welt des Gleichgewichts, das heißt die Gleichzeitigkeit aller Gegensätze, ohne Trennung. Sobald es irgendeine Divergenz gibt... nicht einmal Divergenz: schon ein Unterschied bedeutet den Anfang der Trennung. Und alles, was nicht dieser Zustand ist, wird nicht ewig sein können; allein dieser Zustand... man kann nicht sagen, er enthalte die Ewigkeit, sondern (wie soll ich sagen?)... er drückt die Ewigkeit aus.

Alle möglichen Philosophien versuchten, dies zum Ausdruck zu bringen, aber all das bleibt in der Luft, es ist mental, spekulativ. Jetzt wurde dies gelebt – erlebt, ich will sagen, es gilt, Das zu SEIN.

Ist das die materielle Entsprechung einer psychologischen Erfahrung, in der das Gewahrwerden des Bösen vollständig im Gewahrwerden eines absoluten Guten, selbst im Bösen, verschwindet?

Ja, genau. Man kann sagen, anstatt nur eine mentale Vorstellung zu sein, handelt es sich hier um die konkrete Verwirklichung der Tatsache.

 

1 Ravenalia spectabilis.

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2 Siehe Agenda Bd. 4 vom 13. November 1963: "Die Überlieferungen sagen, daß ein Universum erschaffen wird, dann ins Pralaya zurückgezogen wird und daraufhin wieder ein neues entsteht; sie sagen, wir seien das siebte Universum, das nicht ins Pralaya zurückkehren, sondern sich ständig, ohne Rückschritt, weiterentwickeln wird." Siehe auch Agenda Bd. 7 vom 4. März 1966.

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