Mutters
Agenda
achten Band
(Die Gruppe "World Union" – Einheit der Welt – betreffend.)
Ach, das ist ein alter Zopf, diese World Union... Es gibt Hunderte von diesen Gruppen, die schwatzen, die nichts tun und absolut nichts ändern.
Ja, das schien mir schon immer Kinderei und Geschwätz.
Ach... Übrigens haben sie den Mann, der diese Gruppe gründete, rausgeschmissen, sobald sie organisiert war, unter dem Vorwand, er sei nicht ehrlich, aber immerhin war er selbst der Gründer! Er besuchte Rußland, und dort stieß er auf die Idee der World Union. Sie gründeten diese World Union mit vier oder fünf Personen, und vierzehn Tage später begannen sie sich zu streiten, und ein Jahr später schmissen sie den Burschen raus, der sie gegründet hatte. Dann war S an der Reihe, er hatte Ideen... Schließlich wurde auch er weggeschickt. Sie kamen zu mir, um mir ihr Mißgeschick zu erzählen. Ich sagte ihnen: "Hört zu, ihr seid absolut lächerlich, denn ihr wollt die Einheit der Welt predigen, und das erste, was ihr tut, ist, euch zu streiten. Das beweist, daß ihr nicht bereit seid." Dabei blieb es. Dann rekrutierte A.B., der in Afrika sehr bekannt war, alle Arten von Leuten, und er stellte mir einige von ihnen vor, um mich zu fragen, ob sie fähig seien, etwas zu tun – absolut nichts: alte Stützen eines Hauses in Ruinen, nichts anderes!...
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(Mutter hört der Lektüre aus dem Heft eines Schülers zu, der ihr regelmäßig Fragen stellt.)
"Liebe Mutter, man sagt, daß stets das Gute und das Wahre triumphiere, aber man sieht, daß es im Leben oft anders ist, die Bösen gewinnen und scheinen gegen das Leiden immun zu sein."
(Mutter lacht und verharrt dann schweigend)
Man verwechselt immer zwei Ideen.
In universaler und spiritueller Hinsicht wird zwar nicht das "Gute", wie die Menschen es auffassen, sondern das Wahre, die Wahrheit, das letzte Wort haben, das steht fest. Das heißt, letztlich wird das Göttliche siegreich sein. Das sagt man, das sagen alle, die ein spirituelles Leben geführt haben – es ist eine absolute Tatsache. Wenn die Menschen es ausdrücken, sagen sie: "Ich bin ein guter Junge, ich lebe nach dem, was ich für wahr halte, folglich muß mein ganzes Leben auf Rosen gebettet sein"! (Mutter lacht) Erstens ist die Einschätzung seiner selbst immer sehr zweifelhaft, und dann ist in der Welt, wie sie jetzt ist, alles vermischt. Und was sich für das halbblinde menschliche Bewußtsein offen manifestiert, ist nicht das Gesetz der reinen Wahrheit – sie verstünden es nicht einmal. Um mich genauer auszudrücken: Die höchste Vision realisiert sich ständig, aber ihre Verwirklichung in der vermischten materiellen Welt erscheint der unwissenden menschlichen Sicht nicht wie der Triumph des Guten (dessen, was die Menschen "gut" und "wahr" nennen). Aber (um es auf amüsante Weise auszudrücken) das ist nicht die Schuld des Herrn, sondern die Schuld der Menschen. Das heißt, der Herr weiß, was er tut, aber die Menschen verstehen es nicht.
In einer wahren Welt wäre vielleicht alles gleich wie jetzt, aber es würde anders gesehen.
Beides. Es gäbe einen Unterschied. Die gegenwärtige Unwissenheit und Finsternis in der Welt geben der göttlichen Handlung eine verformte Erscheinung; natürlich muß das allmählich verschwinden. Aber es ist auch wahr, daß es eine Art gibt, die Dinge zu sehen, die... man könnte sagen, die ihrer Erscheinung eine andere Bedeutung gibt – es ist beides da (Geste des Vermischens).
(Schweigen)
Es läuft immer auf eines hinaus: Das Urteil der Menschen ist falsch – weil ihre Sicht der Dinge falsch und unvollständig ist –, und dieses Urteil bewirkt notgedrungen auch falsche Resultate.
Die Welt ist in ständigem Wandel begriffen – ständig, nicht eine Sekunde lang bleibt sie gleich –, und die allgemeine Harmonie drückt sich immer vollkommener aus. Folglich kann nichts so bleiben, wie es ist, und trotz aller gegensätzlicher Erscheinungen ist das GANZE immer in ständigem Fortschritt: die Harmonie wird immer harmonischer, die Wahrheit wird immer wahrer in der Manifestation. Aber um das zu sehen, muß man das Ganze sehen, und der Mensch sieht nur... nicht einmal den menschlichen Bereich, sondern nur seinen winzig kleinen, mikroskopischen, persönlichen Bereich – er kann also nicht verstehen.
Es ist eine zweifache Sache, die sich ergänzt (die gleiche Geste des Vermischens) mit einer wechselseitigen Aktion: in dem Maße, wie die Manifestation sich ihrer selbst bewußter wird, perfektioniert sich ihr Ausdruck und wird auch wahrer. Die beiden Bewegungen gehen zusammen.
(Schweigen)
Das war eines der Dinge, die neulich sehr klar gesehen wurden, als dieses Wissens-Bewußtsein herrschte: Wenn die Manifestation ausreichend aus der Unbewußtheit aufgetaucht ist, so daß die ganze Notwendigkeit des Kampfes, der durch die Gegenwart der Unbewußtheit entstand, immer unnötiger wird, wird dieser Kampf ganz natürlich verschwinden. Der Fortschritt wird harmonisch abzulaufen beginnen, anstatt sich in Anstrengung und Kampf zu vollziehen. Genau das sieht das menschliche Bewußtsein als göttliche Schöpfung auf Erden voraus – es wird wieder nur eine Etappe sein. Aber für die gegenwärtige Etappe ist es eine harmonische Krönung, die aus diesem universalen Fortschritt (der konstant ist), statt eines Fortschritts in Kampf und Leiden, einen Fortschritt in Freude und Harmonie machen wird. Ich sah aber auch, daß das Gefühl des Ungenügens, von etwas, das nicht vollständig und nicht vollkommen ist, voraussichtlich noch für sehr lange Zeit bestehen wird (wenn die Wahrnehmung der Zeit dieselbe bleibt, das weiß ich nicht). Aber jeglicher Wechsel schließt Zeit mit ein; man kann es nicht durch den Zeitbegriff, wie wir ihn auffassen, ausdrücken, aber es bedingt eine Aufeinanderfolge.
Alle diese vermeintlichen Probleme (ständig erhält man Fragen und Probleme des Mentals – alles Probleme der Unwissenheit), all dies sind Probleme eines Erdwurms. Sobald man nach oben durchbricht, bestehen dieser Art Probleme nicht mehr. Es gibt keinen Widerspruch mehr. Die Widersprüche ergeben sich immer wegen der unzulänglichen Vision und der Unfähigkeit, etwas unter allen Gesichtspunkten gleichzeitig zu sehen.
Um konkret auf sein Heft zurückzukommen, so hat jedenfalls meines Wissens kein Heiliger zu irgendeiner Zeit jemals behauptet: "Sei gut, und es wird dir äußerlich gut gehen" – denn das ist eine Dummheit. Dies in einer Welt der Unordnung und der Lüge zu erhoffen, ist nicht vernünftig. Aber wenn man genügend aufrichtig und total in seiner Seinsweise ist, kann man eine innere Freude und eine volle Befriedigung empfinden, wie immer auch die Umstände beschaffen sind, und nichts und niemand kann das beeinträchtigen. Das ist etwas anderes. Aber daß euer Geschäft gut verläuft, daß eure Frau euch treu sei, daß eure Kinder gesund bleiben und alle diese Dinge, das sind Dummheiten.
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(Etwas später, die christliche Sympathisantin des Ashram betreffend, die Satprem mehrere Male besuchte und die etwas... lästig wurde.)
... Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich fühle, daß sie in Not ist, in aufrichtiger Not, und daß sie da herauskommen möchte, ohne die Kraft zu haben herauszukommen.
Sie will es nicht ganz.
Ja.
Weißt du, ich hatte so eine Erfahrung, vor sehr langer Zeit, als ich noch in Frankreich, in Paris war. Ich hatte eine Freundin im Atelier (denn ich war lange Zeit in einem Malatelier), eine sehr gute Malerin. Wir waren eng befreundet, und ich hatte angefangen, ihr von der Revue Cosmique und von Théons Lehre zu erzählen. Sie stammte aus einer katholischen Familie, mit Erzbischöfen und sogar Kardinälen in der Familie, kurz, es war... Sie war äußerst interessiert und vollkommen überzeugt: sie hatte den Eindruck von einer Befreiung des Geistes und eine Aspiration gehabt. Dann, als ich die Lehre Sri Aurobindos kennenlernte, vermittelte ich sie ihr, und sie war vollkommen davon ergriffen. Oft sagte sie mir jedoch: "Solange ich wach bin, geht alles gut, aber in meinem Schlaf wache ich plötzlich mit einer schrecklichen Angst auf: Wenn die katholische Lehre doch wahr ist, werde ich in die Hölle kommen!" Das war eine Tortur. Sie sagte mir: "Wenn ich hellwach bin, sehe ich, wie völlig lächerlich es ist, aber ..."
Alle, die getauft wurden und die eine Zeitlang zur Beichte gingen, sind Teil eines Ganzen, einer inneren, psychologischen Einheit, und es ist SEHR SCHWIERIG, da herauszukommen; sie sind an ein Ganzes gebunden – es gibt... eine unsichtbare Kirche, und alle diese Leute sind darin festgehalten. Um da herauszukommen, muß man im Vitalen ein Held sein. Ein wahrer Held. Denn es ist sehr stark. Ich sah dies: Alle Religionen haben eine Art Vereinigung im Unsichtbaren. Aber von allen ist die christliche Religion die stärkste auf der Welt: sie ist sehr viel stärker als die der Buddhisten, viel stärker als die der Chinesen, viel stärker als die alten hinduistischen Religionen – sie ist die stärkste. Und natürlich auch viel stärker als die jüngeren Religionen. Wenn man getauft wurde, ist man gebunden. Wenn man nicht zur Messe geht, wenn man nicht gebeichtet hat, kann man mit etwas vitaler Energie da herauskommen, aber diejenigen, die zur Beichte gingen – vor allem die Beichte –, und wenn man die Kommunion erhält, wenn man den Leuten Christus zu essen gibt... (noch eine schreckliche Sache).
Dieses Mädchen war eine echte Künstlerin und von großer Intelligenz, folglich hatte ich ein Beispiel. Im Wachzustand verstand sie wunderbar; sie selbst war wütend, aber sie hatte nicht... sie hatte nicht die Kraft, ihr Unterbewußtsein von diesem Einfluß zu befreien.
Sie war viel intelligenter als Mme Z, gar kein Vergleich. Sie war eine begabte Künstlerin.
Was soll ich tun? Soll ich darauf hinarbeiten, etwas zu tun? Ich bin wie ein Vermittler, verstehst du. Oder soll ich sie brutal, aber mit Bewußtsein und Kraft, vor die Tatsache stellen, daß sie eine Gefangene ist und ich wirklich nichts für sie tun kann.
Ich möchte nicht, daß sie in dein Leben eindringt. Denn sie weiß es nicht, aber es kann eine feindliche Formation sein (sie ist ein völlig unbewußtes Instrument). Wenn du sehr kräftig wärst, verstehst du, wenn du viel vitale Kraft hättest, würde ich sagen: es macht nichts, man wird ihnen das Genick brechen; aber du mußt aufpassen.
Du sagst selbst, daß es dich ermüdet.
Oh, ja, ich bin erschöpft.
Also.
Einmal von Zeit zu Zeit macht es nichts, aber nicht zu oft.
Ich müßte es ihr sagen.
Ja, du könntest ihr sehr höflich sagen, daß sie Luft schnappen soll! Aber sie wird dir anbieten, dich draußen zu treffen 1!
Ich werde versuchen, etwas zu tun, aber sie ist nicht sehr... Ach, sie machen auf mich immer den Eindruck (lachend), als ob sie von etwas Klebrigem umgeben wären, als ob sie ein Klebeband um sich hätten. Man kann nicht eindringen.
Sie bat mich um einen indischen Namen.
Oh, sie hat dich als Guru angenommen.
Ich weiß nicht, sie nahm mich als Vermittler, ja. Diese Rolle gefällt mir GAR NICHT!
(Mutter lacht) Oh, wie ärgerlich!
Aber verstehst du, ich bin im Zwiespalt zwischen der Sorge um sie und um mich. Was soll ich tun?
(Nach langem Schweigen) Kannst du mich oder Sri Aurobindo zwischen dich und die Leute, die du siehst, stellen?
Ich weiß nicht, ob ich es fertigbringe, aber ich rufe immer, ich bin immer so [Geste zum höheren Bewußtsein], ich richte meinen Anruf nach oben.
Aber so ist es nicht! Es ist HIER (Mutter macht eine Geste vor Satprems Brust), verbirg dich dahinter... (lächelnd) wie ich es vor ein paar Tagen auf dem Balkon tat.
In welchem Abstand fanden die beiden Besuche statt?
Fünf oder sechs Tage.
Wir werden sehen, ich werde versuchen...
Das letzte Mal sagte sie mir sogar, sie wolle mit mir meditieren – aber schließlich bin ich doch kein Guru!
Es ist kein angenehmes Metier! (Lachen)
Wir werden sehen, du wirst es mir sagen.
(Mutter versinkt in Konzentration)
Siehst du, Sri Aurobindo ist gegenwärtig, von hier bis da (Geste von unterhalb des Brustkorbs bis zur Stirn) Wenn du in dem Zustand bist, während die Leute bei dir sind...
Direkt vor dir.
Hast du es gefühlt? Plötzlich lag eine Art Fülle in der Atmosphäre. Als ob etwas "Angenehmes" entstände, das ist ein zu schwaches Wort: eine Art Fülle. Hast du es gefühlt?
Ja.
Es kam auf, als er kam.
Er verweilte hier.
Wenn du das hast, kannst du jeden Beliebigen treffen, es macht nichts!
(Schweigen)
Es gibt auch recht obskure Dinge in mir.
(Nach einem Schweigen) Man reicht sie dar als Opfergabe.
1 Die in Frage stehende Person hat eine wichtige diplomatische Stellung inne, daher die Schwierigkeit, sie "an die frische Luft" zu schicken.