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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1I

Kapitel XVII. Der Fortschritt zum Wissen. Gott, Mensch und Natur

Du bist Jenes, o Svetaketu.

Svetasvatara Upanishad, IV, 10.

Das lebende Wesen ist niemand anderes als das brahman, die ganze Welt ist brahman.

Vivekachudamani, Vers 479.

Meine höchste Natur ist zu einem lebendigen Wesen geworden, und diese Welt wird durch es erhalten... alle Wesen haben dies als den Ursprung ihrer Geburt.

Gita, VII, 5. 6.

Du bist Mann und Frau, Knabe und Mädchen; alt und gebrechlich gehst du, auf einen Stock gestützt; du bist der blaue Vogel und der grüne und der scharlachäugige ...

Svetasvatara Upanishad, IV, 3.4.

Diese ganze Welt ist voll von Wesen, die seine Gliedmaßen sind.

Svetasvatara Upanishad, IV, 10.

Eine Involution des Göttlichen Seins, der spirituellen Wirklichkeit, in die in Erscheinung getretene Unbewußtheit der Materie ist der Ausgangspunkt der Evolution. Aber diese Wirklichkeit ist ihrer Natur nach ewiges Sein, Bewußtsein, Seins-Seligkeit. Die Evolution muß also ein Hervortreten dieses Seins, dieses Bewußtseins, dieser Seins-Seligkeit sein. Zunächst ist sie das nicht in ihrer Essenz oder Totalität, sondern in evolutionären Formen, die sie ausdrücken oder verkleiden. Aus der Unbewußtheit erscheint das Sein in einer ersten evolutionären Form als Stofflichkeit der Materie, die von einer unbewußten Energie geschaffen ist. Bewußtsein, in die Materie involviert und nicht in Erscheinung tretend, taucht zuerst auf in der Verkleidung von vitalen Vibrationen, die lebhaft, aber unterbewußt sind. Danach ringt es in den unvollkommenen Formulierungen bewußten Lebens danach, sich durch aufeinanderfolgende Formen dieser materiellen Substanz selbst zu finden, durch Formen, die mehr und mehr angepaßt sind, es immer vollständiger zum Ausdruck zu bringen. Bewußtsein müht sich im Leben, indem es die ursprüngliche Unempfindlichkeit der materiellen Unbelebtheit und Nichtbewußtheit abwirft, um sich selbst mehr oder minder vollständig in der Unwissenheit zu finden, die ihre erste unvermeidliche Formulierung ist. Sie erlangt aber zuerst nur eine primitive mentale Wahrnehmung und vitale Bewußtheit vom Selbst und von den Dingen, eine Lebens-Wahrnehmung, die in ihren ersten Formen von einem inneren Empfinden abhängt, das auf die Kontakte mit anderem Leben und mit der Materie reagiert. Bewußtsein arbeitet daran, sich, so gut es kann, durch die noch unangemessene Art der Empfindung seiner eigenen, ihm innewohnenden Freude des Wesens zu offenbaren. Es kann aber nur zum Teil den Schmerz oder die Lust formulieren. Im Menschen erscheint das seine Kraft entfaltende Bewußtsein als Mental, das deutlicher seiner selbst und der Dinge bewußt ist, eine partielle und begrenzte, noch nicht integrale Macht seines Selbsts, bei der aber eine erste begriffliche Potenz und das Versprechen auf ein vollständiges Hervortreten sichtbar ist. Dieses integrale Hervortreten ist das Ziel der sich entwickelnden Natur.

Der Mensch ist hier, um sich im Universum zu behaupten. Das ist seine erste Aufgabe. Er muß sich aber auch entwickeln und schließlich über sich selbst hinauskommen. Sein partielles soll er in das vollständige Wesen ausweiten. Sein partielles Bewußtsein soll er zum integralen Bewußtsein werden lassen. Er soll die Herrschaft über seine Umgebung erlangen, aber auch die Einung der Welt und die Welt-Harmonie. Er soll seine Individualität verwirklichen. Er soll sie aber auch in das kosmische Selbst und in die universale und spirituelle Daseins-Freude ausweiten. Offensichtlich ist es Absicht seiner Natur, daß er sich umwandelt, daß er all das läutert und verbessert, was in seiner Mentalität finster, irrig und unwissend ist. Schließlich soll er zu einer freien und umfassenden Harmonie und Erleuchtung seines Wissens, Wollens, Fühlens, Handelns und Charakters gelangen. Die Schöpferische Energie hat seiner Intelligenz dieses Ideal auferlegt. Einen Drang danach hat sie seiner mentalen und vitalen Substanz eingepflanzt. Das kann aber nur dadurch zur Vollendung gebracht werden, daß er in ein umfassenderes Wesen und in ein umfassenderes Bewußtsein hineinwächst. Der Zweck, um dessentwillen er geschaffen wurde, ist, daß er sein Selbst ausweitet, zur Erfüllung bringt und sich über das hinaus entwickelt, was er nur zum Teil und vorübergehend in seiner aktuellen und sichtbaren Natur darstellt, in das, was er in Vollkommenheit in seinem geheimen Selbst und Geist ist und gerade deshalb in seinem manifestierten Dasein werden kann. Diese Hoffnung ist die Rechtfertigung seines Lebens auf Erden inmitten der Erscheinungsformen des Kosmos. Der Mensch, so wie er äußerlich erscheint, ist ein vergängliches Wesen, den Beschränkungen durch seine materielle Verkörperung unterworfen und in eine begrenzte Mentalität eingesperrt. Er soll zu jenem inneren wirklichen Menschen werden, der Herr seiner selbst und seiner Umgebung, sowie in seinem Wesen universal ist. In einer lebendigeren und weniger metaphysischen Sprache ausgedrückt: Der natürliche Mensch soll sich zum göttlichen Menschen entwickeln. Die Kinder des Todes sollen sich als die Kinder der Unsterblichkeit erkennen. Aufgrund einer solchen Auffassung kann man die Geburt des Menschen als den Wendepunkt in der Evolution beschreiben, als die kritische Stufe in der Erd-Natur.

Daraus folgt sofort: Das Wissen, das wir erlangen sollen, ist nicht die Wahrheit des Intellekts. Es ist nicht die rechte Überzeugung, die richtige Meinung, die zutreffende Information über uns selbst und die Dinge – das ist nur die Vorstellung unseres Vordergrund-Mentals von Wissen. Zu einem mentalen Begriff über Gott, uns selbst und die Welt zu gelangen, ist ein Ziel, das für den Intellekt gut genug, jedoch nicht umfassend genug ist für den Geist. Es wird aus uns nicht die bewußten Kinder der Unsterblichkeit machen. Das indische Denken des Altertums verstand unter Wissen ein Bewußtsein, das die höchste Wahrheit durch unmittelbare Wahrnehmung und Selbst-Erfahrung besitzt. Das Höchste zu werden und zu sein, das wir erkennen können, ist ein Zeichen dafür, daß wir wirklich das Wissen besitzen. Aus demselben Grund ist es auch nicht – und kann es nicht sein – das höchste Ziel für uns, unser praktisches Leben und unsere Handlungen soviel wie möglich nur in Einklang zu bringen mit unseren intellektuellen Begriffen von Wahrheit und Recht oder sie aus einer erfolgversprechenden pragmatischen Erkenntnis – einer ethischen oder Walen Zielsetzung wegen – zu gestalten. Unser Ziel muß sein, hineinzuwachsen in unser wahres Wesen, in unser Wesen des Geistes, in das Wesen des höchsten und universalen Seins, Bewußtseins und der Seligen Freude, saccidananda.

Unser ganzes Dasein hängt von jenem Sein ab; es entwickelt sich in uns. Wir sind ein Wesen jenes Seins, ein Bewußtseins-Zustand jenes Bewußtseins, eine Energie jener bewußten Energie, ein Wille zur Seins-Seligkeit, zur Freude des Bewußtseins, zur Wonne der Kraft, die aus jener Seligkeit geboren ist. Das ist das Wurzel-Prinzip unseres Daseins. Die Form, die wir an unserer Außenseite von diesen Dingen gestalten, ist aber nicht Jenes. Sie ist eine falsche Übertragung in die Begriffe der Unwissenheit. Unser Ich ist nicht das spirituelle Wesen, das im Blick auf das Göttliche Sein von sich sagen kann: “Jenes bin ich.” Unsere Mentalität ist nicht jenes spirituelle Bewußtsein. Unser Wille ist nicht jene Kraft des Bewußtseins. Unser Schmerz und unsere Lust, auch unsere höchsten Freuden und Ekstasen, sind nicht jene Seins-Seligkeit. In unserem vordergründigen Wesen sind wir noch ein Ich, das sich als das Selbst aufführt, eine Unwissenheit, die sich zum Wissen hinwendet, ein Wille, der sich um wahre Kraft bemüht, eine Sehnsucht, die nach der Seins-Seligkeit sucht. Zu unserem Selbst zu werden, indem wir über uns selbst hinauskommen – so können wir die inspirierten Worte eines halb-blinden Sehers umkehren, der das Selbst nicht kannte, von dem er sprach –, ist der schwierige und gefährliche Zwang, das uns auferlegte Kreuz, über dem eine unsichtbare Krone schwebt, das Rätsel der wahren Natur seines Wesens, das dem Menschen von der dunklen Sphinx der Unbewußtheit unter ihm und von der lichten verhüllten Sphinx des unendlichen Bewußtseins und der ewigen Weisheit von innen und oben her aufgegeben wird, die ihm als eine unerforschliche göttliche maya entgegentritt. Deshalb ist der höchste Zweck unseres Lebens hier, unser Ich zu überwinden und unser wahres Selbst zu sein, unser wirkliches Wesen zu gewahren und zu besitzen, eine wirkliche Freude am Sein zu haben. Das ist der verborgene Sinn unseres individuellen und irdischen Daseins.

Intellektuelles Wissen und praktisches Handeln sind Einrichtungen der Natur, durch die wir so viel von unserem Wesen und Bewußtsein, von unserer Kraft und der Macht unserer Freude zum Ausdruck bringen können, wie wir in unserer vordergründigen Natur zu verwirklichen fähig sind. Wir versuchen dadurch, mehr zu wissen, mehr auszudrücken, mehr zu verwirklichen, immer weiter in das Viele emporzuwachsen, das wir noch zu verwirklichen haben. Jedoch sind unser Intellekt, unsere mentale Erkenntnis und unser Wille zum Handeln nicht unsere einzigen Mittel, nicht alle Werkzeuge unseres Bewußtseins und unserer Kraft. Unsere Natur – so benennen wird die Kraft des Wesens in uns in ihrem aktuellen und potentiellen Spiel und in ihrer Macht – ist in ihrer Anordnung des Bewußtseins ebenso komplex wie in der Instrumentation der Kraft. Wir müssen jeden schon entdeckten oder noch entdeckbaren Begriff und Umstand dieser Komplexheit, die wir zum wirksamen System machen können, in den für uns höchst-möglichen und feinsten Werten verwirklichen und in seiner weitesten und reichsten Machtentfaltung für das eine Ziel verwenden. Dieser Zweck liegt darin, ständig zu wachsen, bewußt zu sein, größer zu werden in unserem erkannten Wesen, im Innesein des Selbsts und der Dinge, in unserer verwirklichten Kraft und Freude des Seins und dieses Wachsen dynamisch in solcher Einwirkung auf die Welt und uns selbst zum Ausdruck zu bringen, daß wir und sie immer mehr zur größt-möglichen Höhe und Weite an Universalität und Unendlichkeit heranwachsen. In dem gewaltigen Drama des Bemühens der Natur ist all das durch die Epochen währende Ringen des Menschen nur eine Episode: seine Aktivitäten, seine Gesellschaft, Kunst, Ethik, Wissenschaft und Religion, sowie all die vielfältigen Tätigkeiten, durch die er sein mentales, vitales, physisches und spirituelles Sein ausdrückt und vermehrt. Hinter ihren begrenzten vordergründigen Zielen hat all das keinen anderen wahren Sinn oder Grund. Die alten Seher der Veden verstanden unter Wissen, daß der einzelne zur göttlichen Universalität und höchsten Unendlichkeit kommt, in ihr lebt, sie besitzt, sie allein in all seinem Wesen, seinem Bewußtsein, seiner Kraft und Seins-Seligkeit ist, weiß, fühlt und ausdrückt. Das war die Unsterblichkeit, die sie dem Menschen als seine göttliche höchste Vollkommenheit vor Augen stellten.

Durch die Art seiner Mentalität, durch seinen Einblick in sich selbst und seinen Ausblick auf die Welt, durch seine ursprüngliche Begrenztheit in beiden durch Sinne und Körper, durch die Gebundenheit an das Relative, das Augen- und Sinnenfällige, ist der Mensch gezwungen, schrittweise, zuerst in Dunkel und Unwissenheit innerhalb dieser riesigen evolutionären Bewegung vorwärtszugehen. Es ist für ihn nicht möglich, das Seiende von Anfang an in der Vollständigkeit seiner Einheit ins Auge zu fassen. Es stellt sich ihm in der Verschiedenheit dar. Sein Suchen nach Wissen wird beherrscht von drei hauptsächlichen Kategorien, die für ihn diese Verschiedenheit zusammenfassen: er selbst – der Mensch oder die individuelle Seele – Gott und die Natur. Das erste ist das, dessen allein er in seinem normalen unwissenden Wesen unmittelbar bewußt ist. Er sieht sich, das Individuum, scheinbar in einem Dasein von allem übrigen Wesen getrennt, bleibt jedoch immer unabtrennbar mit diesem verbunden. Er ringt danach, sich selbst genug zu sein, doch kann er niemals in sich selbst Genüge finden, da man noch nie von dieser individuellen Seele die Erfahrung machte, daß sie getrennt von den übrigen Wesen ins Dasein trat oder existierte oder in ihrem eigenen Sein den Höhepunkt erreichte ohne die Hilfe der anderen und unabhängig vom universalen Wesen und der universalen Natur. Zweitens gibt es jenes, das der Mensch nur mittelbar durch sein Mental und die körperlichen Sinne und durch dessen Wirkungen auf diese erkennt, wobei er aber darum ringen muß, jenes immer vollständiger zu erkennen: weil er auch alles übrige Seiende sieht, mit dem er sich so sehr identifiziert und von dem er doch so getrennt ist – den Kosmos, die Welt, die Natur, die anderen individuellen Wesen, die er als ihm stets gleich und dennoch ungleich erkennt. Denn sie sind ihrer Natur nach dasselbe, selbst bis zu Pflanze und Tier, und doch in ihrem Charakter so ganz anders. Jedes Wesen scheint seinen eigenen Weg zu gehen, ein gesondertes Wesen zu sein, und doch wird jedes durch die gleiche Bewegung angetrieben und folgt, gemäß seinem eigenen Grad der Entwicklung, der gleichen unermeßlichen Evolutionskurve wie er selbst. Schließlich sieht oder vielmehr ahnt er etwas, das er überhaupt nicht kennt, es sei denn ganz mittelbar. Denn er weiß davon nur etwas durch sich selbst und durch das, wonach sich sein Wesen sehnt, oder durch die Welt und das, worauf sie hinzuweisen scheint und das sie entweder im Verborgenen zu erlangen und durch ihre unvollkommenen Gestaltungen auszudrücken sucht, das zumindest diese, ohne daß sie es wissen, auf ihre geheime Beziehung zu jener unsichtbaren Wirklichkeit und zu jenem geheimen Unendlichen gründet.

Dieses dritte und unbekannte Etwas, dieses tertium quid, nennt er Gott. Mit diesem Wort meint er Etwas oder Jemand, der das Höchste, das Göttliche, die Ursache, das All ist, eines von diesen Dingen oder sie alle zugleich, die Vollkommenheit oder die Totalität von allem, das hier nur bruchstückhaft oder unvollkommen ist, das Absolute all dieser Myriaden von Relativitäten. Er ist der Unbekannte: wenn der Mensch Ihn ergründen könnte, kann das wirkliche Geheimnis dessen, was man weiß, für ihn immer verständlicher werden. Der Mensch hat versucht, all diese Kategorien zu negieren: Er hat versucht, sein eigenes wirkliches Dasein zu bestreiten. Er hat versucht, das wirkliche Dasein des Kosmos zu verneinen. Er hat versucht, das wirkliche Sein Gottes zu leugnen. Hinter all diesen Verneinungen sehen wir aber denselben ständigen Zwang seines Strebens nach Wissen. Denn er fühlt die Notwendigkeit, zu der Einheit dieser drei Begriffe zu gelangen, selbst wenn das nur dadurch geschehen könnte, daß er zwei von ihnen unterdrückt oder sie mit dem anderen, übriggebliebenen verschmilzt. Um das fertig zu bringen, behauptet er, nur er allein sei die Ursache von allem anderen, und dieses seien nur die Schöpfungen seines Mentals. Oder er bejaht nur die Natur, alles übrige seien bloß Phänomene der Natur-Energie. Oder er bejaht nur Gott, das Absolute, und der Rest sei nichts als Illusionen, die Jenes durch eine unerklärliche maya auf sich selbst und auf uns projiziere. Keine von diesen Verneinungen kann völlig befriedigen. Keine löst das Problem vollständig oder kann unwiderleglich und definitiv sein, am wenigsten jene, zu der sein von den Sinnen beherrschter Intellekt am meisten neigt, in der er aber nie lange verharren kann. Wenn er Gott leugnet, bestreitet er zugleich sein eigenes wahres Streben und sein eigenes Allerhöchstes. Die Epochen eines naturalistischen Atheismus waren stets kurzlebig, weil jener nie das geheime Wissen des Menschen befriedigen kann. Er kann auch nicht dem endgültigen Veda entsprechen, da er nicht mit dem Veda in unserem Innern übereinstimmt, den alle mentale Erkenntnis nach außen zu bringen bemüht ist. Von dem Augenblick an, wo wir diesen Mangel an Entsprechung fühlen, ist eine Lösung, mag sie noch so vernünftig, auch logisch noch so vollständig sein, durch den Ewigen Zeugen im Menschen gerichtet und verurteilt. Sie kann nicht das letzte Wort des Wissens bilden.

Der Mensch ist seiner Art nach sich selbst nicht genug. Er existiert nicht gesondert für sich; er ist nicht der Ewige und ist nicht das All. Darum kann er, für sich genommen, nicht die Erklärung für den Kosmos sein, von dem sein Mental, Leben und Körper so offenkundig nur eine unendlich kleine Einzelheit bilden. Ebenso erkennt er, daß der sichtbare Kosmos an und für sich nicht genügt, da er sich nicht einmal durch seine unsichtbaren Kräfte erklärt. So findet der Mensch sowohl in sich selbst wie in der Welt zu viel, was jenseits von diesen beiden ist, etwas, von dem sie nur ein äußeres Gesicht, eine Haut oder sogar nur eine Maske zu sein scheinen. Ebensowenig können sein Intellekt oder seine Intuitionen oder sein Fühlen etwas tun ohne den Einen oder ohne die Einheit, mit dem oder mit der diese Welt-Kräfte und er selbst in einer Beziehung stehen können, die diese trägt und denen sie ihre Bedeutung verleiht. Er fühlt, es muß ein Unendliches geben, das diese Endlichkeiten trägt, das in, hinter und um diesen sichtbaren Kosmos ist, die Harmonie, die gegenseitige Beziehung und die wesenhafte Einheit der vielfältigen Dinge begründet. Sein Denken braucht ein Absolutes, von dem diese unzähligen, endlichen Relativitäten in ihrem Dasein abhängen, eine höchste Wahrheit der Dinge, eine schöpferische Macht oder Kraft oder ein Wesen, das alle diese unzähligen Wesen im Universum verursacht und im Dasein erhält. Mag er es nennen, wie er will: Er muß zu einem Höchsten, zu einem Göttlichen, zu einer Ursache, zu einem Unendlichen und Ewigen, einem Dauernden und zu einer Vollkommenheit gelangen, nach der alles strebt und sich sehnt, oder zu einem All, das ständig und unsichtbar der Inbegriff aller Dinge und Wesen ist und ohne das sie nicht sein könnten.

Doch gerade dieses Absolute kann er nicht an und für sich unter Ausschluß der beiden anderen Kategorien wirklich bejahen. Denn dann hätte er nur mit Gewalt einen Sprung von jenem Problem hinweg getan, zu dessen Lösung er hier auf Erden ist. Dann wären der Kosmos und er selbst eine unerklärliche Irreführung oder ein sinnloses Mysterium. Eine gewisse Seite seines Intellekts und sein Verlangen nach Ruhe mögen durch eine solche Lösung beschwichtigt werden, wie auch seine physische Intelligenz leicht zufriedengestellt wird, wenn er ein Jenseits bestreitet und die materielle Natur vergöttlicht. Sein Herz jedoch und sein Wille, die stärksten und intensivsten Seiten seines Wesens, verbleiben ohne Sinndeutung, bar eines Zweckes und ohne Rechtfertigung, oder sie werden zu einer zufälligen Torheit, die irrlichternd wie ein sinn- und ruheloser Schatten der ewigen Stille des reinen Seins sich entgegenstellt oder inmitten der ewigen Unbewußtheit des Universums herumgeistert. Der Kosmos bliebe dann in dem singulären Charakter einer sorgfältig aufgebauten Lüge des Unendlichen, eine schauerlich aggressive und doch in Wirklichkeit gar nicht bestehende Anomalie, als ein leidvolles, elendes Paradoxon mit falschen Schaustellungen von Wunderbarem, von Schönheit und Wonnen. Oder er wäre das ungeheure Spiel einer blinden organisierten Kraft ohne Bedeutung, sein eigenes Wesen eine flüchtige winzige Anomalie, die sich unverständlicherweise in dieser sinnlosen Unermeßlichkeit ereignet. In dieser Richtung liegt keine befriedigende Erfüllung für das Bewußtsein, für die Energie, die sich in der Welt und im Menschen manifestiert hat. Das Mental muß etwas finden, das alles miteinander verknüpft, etwas, durch das die Natur im Menschen und der Mensch in der Natur zu ihrer Erfüllung gelangen, etwas, durch das sich beide in Gott finden, da sich im letzten Grund das Göttliche Wesen selbst in beiden, im Menschen und in der Natur, offenbart.

Für das Wissen ist es wesentlich, daß wir die Einheit dieser drei Kategorien annehmen und erkennen. Das wachsende Selbst-Bewußtsein des einzelnen Menschen öffnet sich zu ihrer Einheit hin ebenso wie zu ihrer Vollständigkeit. Dorthin muß es kommen, wenn es von sich befriedigt und vollständig sein soll. Denn ohne die Realisation der Einheit dieser drei Kategorien kann das Wissen von keiner dieser drei etwas Ganzes sein. Ihre Einheit ist für jede die Voraussetzung ihrer eigenen Vollständigkeit. Andererseits treffen alle drei nur dadurch in unserem Bewußtsein zusammen und werden eins, daß sich jede in ihrer Vollständigkeit erkennt. In einem totalen Wissen wird alles Wissen eins und unteilbar. Sonst könnten wir nur durch Zertrennung und die Zurückweisung von zweien von ihnen aus der Position der dritten zu einer gewissen Einheit gelangen. Darum muß der Mensch sein Wissen von sich selbst, seine Erkenntnis der Welt und sein Wissen von Gott ausweiten, bis er in ihrer Totalität dessen bewußt wird, daß sie einander innewohnen und eine Einheit sind. Denn solange er sie nur zum Teil kennt, wird das zu Unvollständigkeit und Zertrennung führen. Solange er sie nicht in einer Einheit erkennt, die sie miteinander versöhnt, wird er nicht ihre ganze Wahrheit, nicht die grundlegenden Bedeutungen des Seins gefunden haben.

Damit soll nicht gesagt sein, der Höchste sei nicht selbst-seiend und sich selbst genug. Gott existiert in Sich Selbst und nicht kraft des Kosmos oder des Menschen. Dagegen existieren Kosmos und Mensch nur, weil Gott existiert und durch Ihn. An sich selbst existieren sie nur insofern, als ihr Wesen eins ist mit dem Wesen Gottes. Doch sind sie auch eine Manifestation der Macht Gottes. Gerade in Seinem ewigen Sein muß ihre spirituelle Wirklichkeit in einer gewissen Weise gegenwärtig oder inbegriffen sein, da es sonst keine Möglichkeit für ihre Manifestation gäbe oder sie, falls manifestiert, keine Bedeutung hätten. Was hier als Mensch erscheint, ist ein individuelles Wesen aus dem Göttlichen Wesen. Das Göttliche Wesen, in die Vielfalt ausgebreitet, ist das Selbst aller individuellen Existenzen, eko vasi sarvabhutantaratma (Katha Upanishad, V. 12.). Überdies kommt der Mensch durch die Erkenntnis des Selbsts und der Welt zum Wissen von Gott, das er nicht auf andere Weise erlangen kann. Nicht dadurch, daß er Gottes Manifestation zurückweist, sondern dadurch, daß er seine eigene Unwissenheit in Bezug auf sie und die Ergebnisse dieser Unwissenheit ablegt, kann er am besten das Ganze seines Wesens, seines Bewußtseins, seiner Energie und Daseins-Freude in das Göttliche Sein emporheben und ihm darbieten. Er mag das durch sich selbst als durch die eine oder durch das Universum als die andere Manifestation tun. Wenn er durch sich selbst allein dorthin gelangt, kann er sich versenken durch individuelles Untertauchen oder durch ein Verschmelzen mit dem Unbegrenzbaren und so das Universum verlieren. Gelangt er dorthin allein durch das Universum, kann er seine Individualität entweder in die Apersonalität des universalen Wesens oder in ein dynamisches Selbst der universalen Bewußtseins-Kraft versenken. Er verschmilzt mit dem universalen Selbst, oder er wird zu einer apersonalen Leitung für die kosmische Energie. Gelangt er dorthin durch die ausgeglichene Vollständigkeit beider und dadurch, daß er durch sie und jenseits von ihnen alle Aspekte des Göttlichen Wesens erfaßt, kommt er über beide hinaus und erfüllt sie dadurch, daß er sie hinter sich läßt: Nun besitzt er das Göttliche Wesen in seinem eigenen Wesen, wie er ebenso auch umhüllt, durchdrungen, ganz erfüllt und eingenommen ist vom Göttlichen Wesen, Bewußtsein und Licht, von Seiner Macht und Seligkeit sowie von Seinem Wissen. Er besitzt Gott in sich selbst und Gott im Universum. Das All-Wissen rechtfertigt ihm gegenüber, daß es ihn selbst erschaffen hat. Und es rechtfertigt durch ihn, der vollkommen geworden ist, die Erschaffung der Welt, die es gebildet hat. Das alles wird dadurch vollauf wirklich und wirksam, daß der Mensch in eine supramentale und höchste Übernatur emporkommt und daß deren Mächte in die Manifestation herabkommen. Während aber diese höchste Vollendung noch schwierig ist und weit in der Zukunft liegt, kann das wahre Wissen davon doch subjektiv dadurch verwirklicht werden, daß der Mensch den Geist reflektiert oder ihn in seine Natur von Mental, Leben und Körper aufnimmt.

Aber diese spirituelle Wahrheit und das wahre Ziel seines Wesens kann dem Menschen erst in einer späteren Phase seines Lebensweges sichtbar werden. Denn die frühe vorbereitende Arbeit des Menschen in den evolutionären Stufen der Natur besteht darin, daß er seine eigene Individualität behaupten, sie ausgeprägt und reich machen, fest, machtvoll und vollständig in Besitz haben muß. Als eine Folge davon muß er sich am Anfang hauptsächlich mit seinem eigenen Ich beschäftigen. In dieser ichhaften Phase seiner Entwicklung sind für ihn die Welt und die anderen weniger wichtig als er sich selbst. Eigentlich sind sie für ihn nur wertvoll als Hilfen und als die gegebenen Möglichkeiten dafür, daß er sich selbst durchsetzt. Auch Gott ist für ihn auf dieser Stufe weniger wichtig, als er selbst es für sich ist. Darum werden in den früheren Lebensgestaltungen, auf den niederen Ebenen der religiösen Entwicklung, Gott oder die Götter so behandelt, als existierten sie nur zugunsten des Menschen, als hervorragende Mittel zur Befriedigung seiner Sehnsüchte, als seine Helfer bei der Aufgabe, die Welt, in der er lebt, zu verwenden, um seine Bedürfnisse, seine Wünsche und seinen Ehrgeiz zu befriedigen. Man darf diese anfängliche ichhafte Entwicklungsstufe mit all ihren Sünden, Gewalttaten und Grausamkeiten keinesfalls, an ihrem eigentlichen Ort, als etwas Böses oder als Irrtum der Natur ansehen. Das ist für das anfängliche Wirken des Menschen notwendig, damit er sich völlig loslöst vom niederen Unterbewußten, in dem er als der einzelne Mensch vom Massen-Bewußtsein der Welt überwältigt und den mechanischen Wirkweisen der Natur unterworfen ist. Der Mensch, das Individuum, muß seine Personalität der Natur gegenüber behaupten und unterscheiden. Er muß in machtvoller Weise er selbst sein, alle seine Begabungen an Kraft, Willen und Genuß so entwickeln, daß er sie gegen die Natur und die Welt mit immer größerer Meisterschaft und Kraft einsetzen kann. Seine Ichhaftigkeit, mit der er sich von den anderen unterscheidet, ist ihm als Mittel zu diesem anfänglichen Zweck gegeben. Erst wenn er so seine Individualität, seine Persönlichkeit, seine gesonderten Fähigkeiten entwickelt hat, kann er für das größere, vor ihm liegende Werk geeignet sein oder seine Gaben erfolgreich für höhere, umfassendere und eher göttliche Zwecke einsetzen. Zuerst muß er sich innerhalb der Unwissenheit behaupten, bevor er sich im Wissen vervollkommnen kann.

Der Ursprung des evolutionären Hervortretens aus dem Unbewußten wird durch zwei Kräfte bewirkt: durch ein verborgenes kosmisches Bewußtsein und durch ein individuelles Bewußtsein, das in der vordergründigen Natur des Menschen manifestiert wird. Das geheime kosmische Bewußtsein bleibt verborgen und für das Vordergründige des Individuums subliminal. Es organisiert sich in der äußeren Natur dadurch, daß es gesonderte Objekte und Wesen erschafft. Zugleich erschafft es aber so, wie es das gesonderte Objekt, den Körper und das Mental des individuellen Wesens organisiert, auch kollektive Bewußtseins-Mächte, umfassende subjektive Gestaltungen der kosmischen Natur. Diese versorgt es nicht mit einem organisierten Mental und Körper. Es gibt ihnen vielmehr eine Gruppe von Individuen als Basis, es entwickelt für sie ein Gruppen-Mental und einen sich wandelnden, doch stetigen Gruppen-Körper. Daraus folgt, daß das Gruppenwesen nur in dem Maß, in dem die individuellen Wesen immer bewußter werden, auch selbst immer bewußter werden kann. Das Wachsen des Individuums ist das unentbehrliche Mittel für das innere Wachstum des kollektiven Wesens, im Unterschied zu seiner äußeren Kraft und Ausweitung. Tatsächlich liegt darin die zweifache Bedeutung des Individuums: Der kosmische Geist organisiert durch es seine kollektiven Einheiten, befähigt sie zum Selbst-Ausdruck und läßt sie fortschreiten. Und er hebt durch es die Natur aus der Unbewußtheit zur Überbewußtheit empor und macht sie so erhaben, daß sie dem Transzendenten begegnen kann. In der Masse ist das kollektive Bewußtsein dem Unbewußten nahe. Es hat nur unterbewußte dunkle und stumme Regungen, für die es das Individuum benötigt, um sie auszudrücken, um sie ans Licht zu bringen, sie zu organisieren und wirksam zu machen. Das Massen-Bewußtsein bewegt sich als solches nur durch einen vagen, halb-gestalteten oder ungestalteten, subliminalen, gewöhnlich unterbewußten Impuls, der an die Oberfläche hervortritt. Es neigt zu blinder oder nur halbsehender Einmütigkeit, die in ihrer allgemeinen Bewegung das Individuum unterdrückt: Wenn es denkt, geschieht es durch die Parole, das Schlagwort, die Losung, die allgemeine unfertige oder gemachte Vorstellung, die überkommene, angenommene, gewohnheitsmäßige Denkungsart. Es handelt, wenn nicht aus Instinkt oder aufgrund eines Impulses, so doch nach den Gebräuchen des Rudels, der Herden-Mentalität oder dem Art-Gesetz. Dieses Bewußtsein, Leben und Handeln der Masse kann außerordentlich wirksam sein, wenn es einen einzelnen oder einige machtvolle Menschen finden kann, die es verkörpern, ausdrücken, anführen oder organisieren. Die plötzlichen Bewegungen der Menge können im Augenblick ebenso unwiderstehlich sein wie die Abstürze einer Lawine oder wie das Daherfegen eines Orkans. Die Unterdrückung oder völlige Unterordnung des Individuums unter das Massen-Bewußtsein kann einer Nation oder einer Gemeinschaft große praktische Wirkungskraft geben, wenn das subliminale kollektive Wesen eine bindende Tradition aufbauen oder eine Gruppe, eine Klasse, ein Haupt finden kann, um seinen Geist und seine Vormacht zu verkörpern. Die Stärke machtvoller Militärstaaten, von Gemeinschaften mit straffer und strenger Weltanschauung, die ihren einzelnen Gliedern aufgezwungen wird, der Erfolg der großen Welt-Eroberer haben zu ihrem Hintergrund dieses Geheimnis der Natur. Aber das ist nur eine Machtentfaltung äußeren Lebens, und dieses Leben ist nicht der höchste oder letzte Inbegriff unseres Wesens. In uns gibt es ein Mental, in uns wirken eine Seele und ein Geist. Unser Leben besitzt keinen wahren Wert, wenn es nicht ein wachsendes Bewußtsein, ein sich entfaltendes Mental enthält und wenn Mental und Leben nicht Instrument, Mittel zur Befreiung und zur Erfüllung für die Seele, für den innewohnenden Geist sind.

Der Fortschritt des Mentals, das Wachsen der Seele, und gerade des Mentals und der Seele im Kollektiv, hängen aber vom Einzelnen ab, von seiner ausreichenden Freiheit und Unabhängigkeit, von seiner gesonderten Macht, das auszudrücken und ins Wesen hervorzubringen, was in der Masse noch unausgedrückt, noch nicht aus dem Unterbewußten entfaltet, noch nicht von innen nach außen hervor- oder aus dem Überbewußten herniedergebracht worden ist. Das Kollektiv ist eine Masse, ein Feld zur Gestaltung. Der einzelne Mensch ist es, der die Wahrheit erahnt, die Form gestaltet; er ist der Schöpfer. In der Masse verliert das Individuum seine innere Führung und wird zu einer Zelle im Massen-Körper, der durch den Willen, die Idee des Kollektivs oder durch den Massen-Impuls angetrieben wird. Er muß beiseite stehen, seine gesonderte Wirklichkeit innerhalb des Ganzen behaupten, sein eigenes Mental, das aus der allgemeinen Mentalität herausragt, bewahren, sein eigenes Leben erhalten, das sich in der allgemeinen Lebens-Uniformität ebenso von den anderen unterscheidet, wie sein Körper etwas Einzigartiges, in der allgemeinen Körperlichkeit Unterscheidbares entwickelt hat. Er muß sich schließlich sogar in sich selbst zurückziehen, um sich selbst zu finden. Erst wenn er sich gefunden hat, kann er spirituell mit allen eins werden. Wenn er dieses Einssein nur im Mental, im Vital, im Physischen zu erlangen sucht und noch keine genügend starke Individualität besitzt, kann er durch das Massen-Bewußtsein überwältigt werden und die Erfüllung seiner Seele, seines Mentals und seines Lebens verlieren. Er kann dann nur zu einer Zelle im Massen-Körper werden. Das kollektive Wesen mag dadurch stark und beherrschend werden. Wahrscheinlich verliert es aber seine Formbarkeit, seine evolutionäre Bewegung. Die großen evolutionären Perioden der menschlichen Geschichte haben in Gemeinschaften stattgefunden, in denen sich das Individuum aktiv, mental, vital und spirituell lebhaft entwickelt hat. Aus diesem Grund hat die Natur das Ich erfunden, damit sich das Individuum aus der Unbewußtheit und Unterbewußtheit der Masse herauslösen und zu einem unabhängigen, lebendigen Mental, einer Lebens-Macht, einer Seele und einem Geist wird, dank deren es sich mit der Welt seiner Umgebung koordinieren kann, aber nicht in ihr ertränkt wird, als Sonderwesen zu existieren aufhört und dadurch seine Wirkungskraft verliert. Denn das Individuum ist zwar gewiß ein Teil des kosmischen Wesens, aber auch mehr als das: Es ist eine Seele, die aus der Transzendenz herabgekommen ist. Das kann jedoch der Mensch nicht auf einmal manifestieren, da er der kosmischen Unbewußtheit noch zu nahe steht, aber noch nicht weit genug zu der ursprünglichen Überbewußtheit emporgekommen ist. Er muß sich erst als das mentale und vitale Ich finden, bevor er sich als die Seele oder den Geist finden kann.

Doch bedeutet das Finden seiner ichhaften Individualität noch nicht, daß er sein Selbst erkennt. Das wahre spirituelle Individuum ist nicht das Mental-Ich, das Lebens-Ich, das Körper-Ich. Diese erste Bewegung ist vorwiegend ein Werk von Wille, Macht, ichhafter Selbst-Durchsetzung. Erst in zweiter Linie ist sie ein Werk von Erkenntnis. Darum muß eine Zeit kommen, da der Mensch tiefer hinabschauen muß unter diese dunkle Außenseite seines ichhaften Wesens und zu versuchen hat, sich selbst zu erkennen. Er muß sich auf den Weg machen, den wirklichen Menschen zu finden. Ohne das würde er bei der primären Erziehung der Natur halt machen und niemals weitergehen zu ihren tieferen und umfassenderen Lehren. Wie groß auch sein praktisches Wissen und seine Tüchtigkeit ist, er würde damit doch nur wenig höher stehen als das Tier. Zuerst soll er seinen Blick auf seine eigene Psyche richten und deren natürliche Elemente unterscheiden – das Ich, das Mental mit seinen Instrumenten, das Leben und den Körper–, bis er entdeckt, daß sein ganzes Dasein vor der Notwendigkeit steht, eine andere Erklärung zu finden als nur diejenige durch die natürlichen Elemente. Der Mensch braucht ein Ziel für sein Handeln, das etwas anderes ist als ichhafte Selbst-Behauptung und Befriedigung. Er mag das in der Natur und in der Menschheit suchen und so auf seinem Weg damit anfangen, seine Einheit mit der ganzen übrigen Welt zu entdecken. Er mag das Ziel auch in der Übernatur, in Gott suchen und so den Weg zur Entdeckung seiner Einheit mit dem Göttlichen Wesen betreten. In der Praxis versucht er diese beiden Wege und bemüht sich unter dauernden Schwankungen, sich in aufeinanderfolgenden Lösungen festzulegen, die am besten zu den verschiedenen Teil-Entdeckungen passen mögen, die er auf seiner doppelten Bahn von Suchen und Finden gemacht hat.

Durch alles aber, was der Mensch auf dieser Stufe noch beharrlich entdecken, erkennen und erfüllen will, sucht er immer nur sein Selbst. Seine Erkenntnis der Natur, seine Erkenntnis Gottes sind nur Hilfen zu dieser Erkenntnis seines Selbsts, zur Vervollkommnung seines Wesens und zum Erreichen des höchsten Zieles seines individuellen Selbst-Seins. Auf die Natur und den Kosmos gerichtet, mag es die Gestalt einer Selbst-Erkenntnis und Selbst-Beherrschung – im mentalen und vitalen Sinn – und einer Herrschaft über die Welt annehmen, in der wir uns befinden. Ist die Erkenntnis auf Gott gerichtet, mag es auch diese Form, jedoch in einem höheren, spirituellen Empfinden für Welt und Selbst annehmen oder sich in jener anderen, uns so bekannten und für das religiöse Mental so entscheidenden Gestalt äußern, im Suchen nach der individuellen Erlösung, entweder in einem jenseitigen Himmel oder indem das gesonderte Selbst sich in ein höchstes Selbst oder in ein höchstes Nicht-Selbst versenkt – in die Seligkeit oder das Nirvana. Bei alledem ist es aber das Individuum, das eine individuelle Selbst-Erkenntnis und das Ziel seines gesonderten Daseins sucht, wobei dann alles übrige, sogar Altruismus, Liebe zur Menschheit und Dienst an ihr, das Auslöschen oder die Vernichtung des eigenen Ichs – in was für subtilen Verkleidungen auch immer – als Hilfen und Mittel eingesetzt wird für das alles andere überragende Ziel, die Realisierung der Individualität. Es mag so aussehen, als sei das nur ein ausgeweiteter Egoismus. Dann wäre das gesonderte Ich die Wahrheit des Wesens des Menschen, das in ihm fortdauert bis zum Ende oder bis er schließlich von ihm durch seine Selbst-Auslöschung in der gestaltlosen Ewigkeit des Unendlichen befreit ist. Hier liegt aber ein tieferes Geheimnis verborgen, das seine Individualität und deren Verlangen rechtfertigt. Es ist das Geheimnis des spirituellen und ewigen Individuums, des purusha.

Vollkommenheit oder Befreiung – im Westen Erlösung genannt – kann wegen der spirituellen Person, der Gottheit im Individuum, nur etwas Individuelles, nicht Kollektives sein. Denn welche Vervollkommnung man auch für das Kollektiv erstreben mag, sie ist nur durch die Vollkommenheit der Individuen erreichbar, die sie konstituieren. Weil der individuelle Mensch Jenes ist, besteht für ihn die dringende Notwendigkeit, daß er sein Selbst findet. Indem er sich völlig an den Höchsten überantwortet und hingibt, erreicht er im vollkommenen Selbstopfer sein vollkommenes Selbst-Finden. Wenn der Mensch das mentale, vitale, physische, selbst das spirituelle Ich ausschaltet, hat das formlose und grenzenlose Individuum den Frieden und die Freude, daß es in seine eigene Unendlichkeit entkommt. In der Erfahrung, daß es nun nichts und niemand, aber auch alles und jedermann, oder daß es das Eine ist, jenseits von allen Dingen, absolut, bewirkt das brahman im Individuum diese ungeheure Verschmelzung oder diese wunderbare Vereinigung, Yoga, seiner ewigen Wesens-Einheit mit seiner unermeßlichen, allumfassenden oder höchsten, alles transzendierenden Einheit des ewigen Seins. So ist es unbedingt erforderlich, über das Ich hinauszukommen, doch kann man nie in ein Jenseits vom Selbst gelangen, außer durch höchstes und allumfassendes Erkennen. Denn das Selbst ist nicht das Ich. Es ist eins mit dem All und mit dem Einen. Wenn wir es finden, entdecken wir das All und den Einen in unserem Selbst: Der Widerspruch, die Sonderung, verschwindet. Das Selbst jedoch, die spirituelle Wirklichkeit, verbleibt, vereint mit dem Einen und dem All durch jenes zur Befreiung führende Verschwinden des Ichs.

Diese höhere Selbst-Erkenntnis beginnt also, sobald der Mensch über seine Voreingenommenheit für die Beziehung von Natur und Gott zu seinem vordergründigen Wesen, zu seinem äußerlich erscheinenden Ich hinauskommt. Ein erster Schritt dazu ist, daß er weiß, dieses Leben ist nicht alles. Er soll seine eigene Ewigkeit in der Zeit begreifen, diese subjektive Fortdauer, die man die Unsterblichkeit der Seele nennt, erkennen und ihrer konkret bewußt werden. Wenn er weiß, daß es Zustandsformen jenseits des Materiellen gibt, und wenn er in dem lebt, was hinter ihm und vor ihm liegt, wenn er schließlich einer Prä-Existenz und einer darauffolgenden Post-Existenz bewußt wird, ist er auf dem Weg, seine vorübergehende Unwissenheit zu verlieren, indem er sich über die unmittelbaren Augenblicke der Zeit hinaus in den Besitz seiner eigenen Ewigkeit ausweitet. Ein anderer Schritt nach vorwärts liegt darin, daß er versteht, sein vordergründiger Wach-Zustand ist nur ein kleiner Teil seines Wesens, und daß er beginnt, den Abgrund des Unbewußten und die Tiefen des Unterbewußten und des Subliminalen auszuloten und sich in die Höhen des Überbewußten emporzuschwingen. Auf diese Weise beseitigt er immer mehr die psychologische Unwissenheit über sein Selbst. Ein dritter Schritt geschieht, wenn er herausfindet, daß in ihm noch etwas anderes vorhanden ist als sein instrumentales Mental, Leben und Körperwesen. Er entdeckt hier nicht nur eine unsterbliche, sich immer weiter entfaltende individuelle Seele, die seine Natur stützt und fördert, sondern ein ewiges unveränderliches Selbst und den Geist. Dann lernt er, was die Kategorien seines spirituellen Wesens sind, bis er schließlich entdeckt, daß alles in ihm Ausdruck des Geistes ist, und die Verbindung zwischen seinem niederen und seinem höheren Sein erkennt. So macht er sich ans Werk, seine konstitutionelle Unwissenheit vom Selbst zu beseitigen. Indem er Selbst und Geist entdeckt, findet er Gott. Er erkennt, daß es jenseits des Vergänglichen ein Selbst gibt: Er erlangt die Schau von jenem Selbst im kosmischen Bewußtsein als von der Göttlichen Wirklichkeit hinter der Natur und hinter dieser Welt der Wesen. Sein Mental öffnet sich für den Gedanken oder für das Empfinden des Absoluten, von dem das Selbst, das Individuum und der Kosmos so viele Gesichter sind. So löst sich allmählich die starre Gewalt der kosmischen, ichhaften, ursprünglichen Unwissenheit über sich selbst. Versucht er nun, sein Dasein in die Prägeform dieser sich ausweitenden Selbst-Erkenntnis zu gießen, werden seine ganze Lebens-Anschauung und Lebens-Motivierung, sein Denken und Handeln fortschreitend umgestaltet und transformiert. Seine praktische Unwissenheit über sich selbst, über seine Natur und über das Ziel seines Daseins nimmt immer mehr ab. Nun hat er den Pfad beschritten, der aus der Lüge und dem Leiden eines begrenzten und zerteilten Daseins in den vollkommenen Besitz und Genuß des wahren und vollständigen Seins führt.

Im Verlauf dieses Fortschreitens entdeckt er Schritt für Schritt die Einheit der drei Kategorien, von denen er ausgegangen ist. Denn er findet erstens, daß er in seinem manifestierten Wesen eins ist mit dem Kosmos und mit der Natur. Mental und Körper, die Seele in der Aufeinanderfolge der Zeit, das Bewußte, das Unterbewußte und das Überbewußte, diese Elemente in ihren verschiedenen Beziehungen zueinander und das Ergebnis dieser Beziehungen bilden den Kosmos und die Natur. Er findet aber auch, daß in allem, was hinter ihnen steht oder worauf sie sich gründen, er eins ist mit Gott. Denn das Absolute, der Geist, das raumlose und zeitlose Selbst sowie das Selbst, das sich im Kosmos manifestiert und Herr der Natur ist – all das ist es, was wir unter Gott verstehen. In alledem geht sein eigenes Wesen zurück auf Gott und leitet seinen Ursprung von dorther ab. Er ist der Absolute, das Selbst, der Geist, der sich selbst in einer Vervielfältigung seines Selbsts in den Kosmos hinausprojiziert und in der Natur verhüllt hat. In diesen beiden Vergegenwärtigungen entdeckt der Mensch seine Einheit mit allen anderen Seelen und Wesen – in relativer Weise in der Natur, da er mit ihnen eins ist in Mental, Vitalität, Materie und in jedem kosmischen Prinzip und Resultat, wie verschieden sie auch an Energie und im Wirken der Energie, in der Anordnung des Prinzips und der Anlage des Ergebnisses sein mögen, in absoluter Weise jedoch in Gott, da das Eine Absolute das Eine Selbst, der Eine Geist immer das Selbst aller, ihr Ursprung und Besitzer ist, der sich an ihrer Vielfalt erfreut. Die Einheit von Gott und Natur muß sich ihm unfehlbar manifestieren. Denn er findet am Ende, daß der Absolute in all diesem Relativen da ist. Er sieht, daß jedes andere Prinzip eine Manifestation des Geistes ist. Er entdeckt, daß das Selbst zu allen diesen Werdeformen geworden ist. Er fühlt, daß shakti, die Macht des Wesens und Bewußtseins des Herrn aller Wesen, die Natur ist und im Kosmos wirkt. So gelangen wir in der Weiterentwicklung unserer Selbst-Erkenntnis zu dem, durch dessen Entdeckung alles als eins mit unserem Selbst erkannt wird und durch dessen Besitz wir alles in unserem eigenen Selbst-Sein besitzen und genießen.

In gleicher Weise muß aufgrund dieser Einheit die Erkenntnis des Universums das Mental des Menschen zu der gleichen umfassenden Offenbarung führen. Denn er kann nicht die Natur als Materie, als Kraft und als Leben erkennen, ohne daß er dazu getrieben wird, die Beziehung des mentalen Bewußtseins zu diesen Prinzipien zu ergründen. Sobald er dann die wahre Art des Mentals erkennt, muß er unvermeidlich über jede vordergründige Erscheinung hinausgehen. Er muß den Willen und die Intelligenz enthüllen, die insgeheim im Wirken der Kraft und in den materiellen und vitalen Phänomenen wirksam sind. Er muß das als Einheit im wachen Bewußtsein, im Unterbewußtsein und im Überbewußtsein erkennen. Er muß die Seele im Körper des materiellen Universums entdecken. Wenn er so der Natur durch diese Kategorien hindurch nachgeht, in denen er seine Einheit mit dem ganzen übrigen Kosmos erkennt, findet er eine Über-Natur hinter allem, was in Erscheinung tritt, eine höchste Macht des Geistes in der Zeit und jenseits der Zeit, im Raum und jenseits des Raumes, eine bewußte Macht des Selbsts, das durch sie zu allen Werde-Erscheinungen wird, eine bewußte Macht des Absoluten, der durch sie alle Relativitäten offenbart. Mit anderen Worten, er erkennt sie nicht nur als materielle Energie, als Lebens-Kraft, als Mental-Energie, als die vielen Gesichter der Natur, sondern als die Macht des Wissens-Willens des Göttlichen Herrn des Seienden, als die Bewußt-seins-Kraft des selbst-seienden Ewigen und Unendlichen.

Das Suchen des Menschen nach Gott, das schließlich zu dem Glühendsten und Erhabensten all seines Suchens wird, beginnt mit seinen ersten vagen Fragen, die er an die Natur richtet, und mit einem Empfinden, daß es sowohl in ihm selbst wie auch in ihr etwas Unsichtbares gibt. Selbst wenn, wie die moderne Wissenschaft behauptet, die Religion vom Animismus, von der Geister-Verehrung, vom Dämonen-Kultus und von der Vergöttlichung der Naturkräfte ausging, so verkörpern letztere nur in primitiven Gestaltungen eine im Unterbewußten verhüllte Intuition, ein dunkles und unwissendes Gefühl von verborgenen Einflüssen und unberechenbaren Kräften oder ein vages Empfinden, daß es ein Seiendes, einen Willen, eine Intelligenz in dem gibt, was für uns unbewußt zu sein scheint, daß etwas Unsichtbares hinter dem Sichtbaren existiert, daß der insgeheim bewußte Geist in den Dingen sich in jeglichem Wirken der Energie verausgabt. Daß die ersten Wahrnehmungen davon noch dunkel und in primitiver Weise unangemessen sind, darf uns nicht davon abhalten, den Wert oder die Wahrheit dieses hohen Strebens des menschlichen Herzens und Mentals anzuerkennen. Die verschiedenen Wege unseres Suchens – einschließlich derer der Wissenschaft selbst – müssen von einer dunklen und unwissenden Wahrnehmung verborgener Wirklichkeiten ausgehen und zu der immer heller werdenden Schau der Wahrheit fortschreiten, die zu uns zuerst vermummt, durch die Nebel der Unwissenheit verhüllt kommt. Der Anthropomorphismus ist eine in Bildern ausgedrückte Anerkennung der Wahrheit, daß der Mensch das, was er ist, nur deshalb ist, weil Gott das ist, was Er ist, und daß es nur eine einzige Seele und einen einzigen Körper der Dinge gibt und daß die Menschheit sogar in ihrer Unvollkommenheit die vollständigste hier erreichte Manifestation und daß Göttlichkeit die Vollkommenheit dessen ist, was sich im Menschen noch in Unvollkommenheit vorfindet. Daß er überall sich selbst sieht und dies alles als Gott verehrt, ist ebenso wahr. Aber auch hier hat er in verworrener Weise seine tastende Hand der Unwissenheit auf die Wahrheit gelegt: daß sein eigenes Wesen und Jenes Wesen eines sind, daß dieses hier ein partieller Reflex von Jenem ist und daß er, wenn er sein größeres Selbst überall findet, Gott findet und der Wirklichkeit in den Dingen, der Wirklichkeit alles Seins nahekommt.

Eine Einheit hinter der Verschiedenheit und der Disharmonie ist das Geheimnis der Unterschiedlichkeit der menschlichen Religionen und Philosophien. Denn sie alle gelangen zu irgendeinem Abbild oder verborgenen Hinweis. Sie berühren irgendeine Seite der einen Wahrheit oder fassen irgendeinen von den Myriaden Aspekten ins Auge:

Ob die Religionen und Philosophien die materielle Welt undeutlich als den Leib des Höchsten Wesens ansehen,

oder das Leben als ein großes Pulsieren des Atems Göttlichen Seins, oder die Dinge als die Gedanken des kosmischen Mentals,

ob sie wahrnehmen, daß es in Wirklichkeit nur einen Geist gibt, der größer ist als alle diese Dinge, ihr subtiler und doch wunderbarer Ursprung und Schöpfer,

oder ob sie Gott nur im Unbewußten finden,

oder als das eine Bewußte in den unbewußten Dingen,

oder als ein unaussprechliches überbewußtes Sein, das wir nur dadurch erreichen können, daß wir unser irdisches Wesen hinter uns lassen und Mental, Vital und Körper zunichte machen,

oder ob sie dadurch die Zerteilung in Gegensätze überwinden, daß sie wahrnehmen, Er ist alle diese Wesen zusammen, und furchtlos die ungeheuren Konsequenzen dieser Schau auf sich nehmen,

ob sie Ihn allumfassend als das kosmische Sein anbeten oder ob sie Ihn und sich selbst, wie es die Positivisten tun, nur in der Menschheit verehren,

ob sie, im Gegenteil, von der Schau des zeitlosen und raumlosen Unveränderlichen hingerissen, Ihn in Natur und Kosmos verwerfen,

ob sie Ihn in unterschiedlichen befremdenden oder schönen Kulten oder in vergrößerten Formen des menschlichen Ichs verehren,

oder, weil Er im vollkommenen Besitz der Eigenschaften ist, nach denen der Mensch trachtet, Sein Göttliches Wesen anbeten, wie es sich ihnen als die erhabenste Macht, Liebe, Schönheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Weisheit offenbart,

ob sie Ihn als den Herrn der Natur, den Vater und Schöpfer,

oder als die Natur selbst und als die universale Mutter wahrnehmen, sich Ihm als dem Liebenden nahen, der die Seelen zu Sich zieht,

oder ob sie Ihm als dem verborgenen Meister aller Werke dienen, sich vor dem Einen Gott beugen,

oder vor der vielgestaltigen Gottheit,

ob sie den Einen Göttlichen Menschen,

oder das Eine Göttliche Wesen in allen Menschen entdecken,

oder ob sie in noch umfassenderer Weise den Einen gewahren, dessen Gegenwart es uns möglich macht, daß wir im Bewußtsein oder im Wirken oder im Leben mit allen Wesen geeint sind,

daß wir geeint werden in Zeit und Raum mit allen Dingen, geeint mit der Natur und ihren Einflüssen und sogar mit ihren unbelebten Kräften -

die Wahrheit hinter all diesen Aspekten muß immer dieselbe sein, da alles der eine Göttliche Unendliche ist, den alle suchen.

Da alles jenes Eine ist, muß es diese endlose Verschiedenartigkeit in dem geben, wie sich die Menschheit Ihm naht, um Ihn zu besitzen. Es war notwendig, daß der Mensch Gott auf so verschiedene Weise suchen sollte, damit er dazu kommt, Ihn ganz zu erkennen. Aber erst, wenn die Erkenntnis ihre höchsten Aspekte erreicht, ist es möglich, daß sie zu ihrer größten Einheit gelangt. Das höchste und das umfassendste Schauen ist das weiseste, denn in ihm ist alles Erkennen in dessen umfassender Bedeutung vereinigt. Man erkennt dann: Alle Religionen sind die Zugangswege zu einer einzigen Wahrheit. Alle Philosophien sind die divergierenden Gesichtspunkte, die von verschiedenen Seiten eine einzige Wirklichkeit betrachten lassen. Alle Wissenschaften treffen sich in einer höchsten Wissenschaft. Denn das, was alle unsere Mental-Erkenntnis, alle Sinnen-Erkenntnis und übersinnliche Schau sucht, findet sich am vollständigsten in der Einheit von Gott, Mensch und Natur und in allem, was in der Natur ist.

Das brahman, das Absolute, ist der Geist, das zeitlose Selbst, das Selbst, das die Zeit besitzt, der Herr der Natur, der Schöpfer, der den Kosmos in sich enthält und allen Wesen immanent ist, die Seele, aus der alle Seelen entspringen und zu der sie hingezogen werden. Das ist die Wahrheit des Seienden so, wie das höchste Gott-Begreifen des Menschen es schaut. Dasselbe Absolute, das in allem Relativen manifestiert ist, der Geist, der sich im kosmischen Mental und Leben und in der Materie verkörpert und dessen Selbst-Ausdruck als Energie die Natur ist, so daß alles, was sie zu erschaffen scheint, das Selbst und der Geist ist, auf verschiedene Weise in Seinem eigenen Wesen Seiner eigenen bewußten Kraft gegenüber manifestiert, damit Er Sich an seinem unterschiedlichen Sein erfreuen kann, – das ist die Wahrheit über das Seiende, zu der den Menschen seine Erkenntnis der Natur und des Kosmos hinführt und die er erlangen wird, wenn seine Natur-Erkenntnis sich eint mit seiner Gott-Erkenntnis. Diese Wahrheit des Absoluten ist die Rechtfertigung für die Zyklen der Welt; sie negiert diese nicht. Das Selbst-Seiende ist zu all diesen Werde-Erscheinungen geworden. Das Selbst ist die ewige Einheit aller dieser Daseins-Formen – “ich bin Er”. Kosmische Energie ist nichts anderes als die bewußte Kraft dieses Selbst-Seienden: Durch diese Energie nimmt Es mittels der universalen Natur unzählige Gestaltungen seiner selbst an. Durch seine göttliche Natur kann Es, das Universale umfassend, jedoch transzendent über ihm verbleibend, in diesen Gestaltungen zum individuellen Besitz seines vollständigen Seins gelangen, wenn man seine Gegenwart und Macht in dem Einen, in allen und in den Beziehungen des Einen mit allen fühlt. Das ist die Wahrheit des Seienden, zu der sich das vollständige Erkennen des Menschen seiner selbst in Gott und in der Natur erhebt und ausweitet. Ein dreieiniges Wissen, das vollständige Wissen von Gott, das vollständige Wissen von sich selbst und das vollständige Wissen von der Natur gibt dem Menschen sein hohes Ziel. Es verleiht dem Ringen und Mühen der Menschheit eine erhabene und volle Bedeutung. Im eigenen Bewußtsein des Menschen ist die bewußte Einheit aller drei, Gott, Seele und Natur, die gesicherte Grundlage dafür, daß er vollkommen wird und alle Harmonien realisiert: Das wird sein höchster und umfassendster Stand sein, sein Status eines göttlichen Bewußtseins und göttlichen Lebens. Seine Initiative dazu ist der Ausgangspunkt für die vollständige Evolution seiner Selbst–, Welt- und Gott-Erkenntnis.