Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1I
Kapitel XV. Wirklichkeit und integrales Wissen
Dieses Selbst wird durch die Wahrheit und durch integrale Erkenntnis gewonnen.
Mundaka Upanishad, III. 1.5.
Höre, wie du Mich hier in Meiner Ganzheit erkennen wirst..., denn selbst von den Suchern, die Erfolg hatten, erkennt kaum einer Mich in all der Wahrheit Meines Wesens.
Gita, VII. 1.3.
Dies also ist der Ursprung, dies ist die Natur und dies sind die Grenzen der Unwissenheit. Ihr Ursprung ist eine Begrenzung von Wissen. Ihr besonderer Charakter ist eine Absonderung des Wesens von seiner eigenen Vollständigkeit und ganzen Wirklichkeit. Ihre Grenzen werden durch diese absondernde Entwicklung des Bewußtseins bestimmt, denn sie schließt uns aus von unserem wahren Selbst und vom wahren Selbst und der umfassenden Natur der Dinge und zwingt uns, in einem sichtbaren Dasein an der Oberfläche zu leben. Folgendes müssen demnach Kennzeichen und entgegengesetzter Charakter der inneren Hinwendung zum Wissen sein: Rückkehr oder Fortschritt zur Vollständigkeit, das Aufheben der Begrenzung, das Niederbrechen der Absonderung, das Überschreiten der Grenzlinien und das Wiedergewinnen unserer wesenhaften und ganzen Wirklichkeit. Das begrenzte und gesonderte Bewußtsein soll durch ein wesenhaftes und vollständiges Bewußtsein ersetzt werden, das mit der ursprünglichen Wahrheit und mit der ganzen Wahrheit von Selbst und Sein identisch ist. Das integrale Wissen ist etwas, das bereits in der integralen Wirklichkeit da ist. Es ist nicht etwas Neues, das noch nicht existiert, das erst durch das Mental erschaffen, erworben, erlernt, erfunden oder aufgebaut werden muß. Vielmehr muß es entdeckt oder enthüllt werden. Es ist eine Wahrheit, die sich dem spirituellen Bemühen vom Selbst her enthüllt. Denn dort, in unserem tieferen und größeren Selbst, ist es verhüllt. Es ist der eigentliche Stoff unseres spirituellen Bewußtseins. Da wir nun in unserem äußeren Selbst zu ihm erwachen, sollen wir es in unseren Besitz bekommen. Es gibt eine integrale Erkenntnis des Selbsts, die wir wiederzugewinnen haben. Es gibt aber auch eine integrale Erkenntnis der Welt, da das Welt-Selbst auch unser eigenes Selbst ist. Es gibt zwar ein Wissen, das von unserem Mental erlernt oder konstruiert werden kann und das seinen Wert hat. Das ist aber nicht gemeint, wenn wir vom Wissen und von der Unwissenheit sprechen.
Das integrale spirituelle Bewußtsein trägt in sich ein Wissen von allen Begriffen des Seienden. Es verknüpft die höchsten mit den niedersten durch alle vermittelnden Begriffe und erlangt so ein unteilbares Ganzes. Auf der höchsten Gipfelhöhe der Dinge öffnet es sich für die Wirklichkeit des Absoluten, die unaussprechlich ist, weil überbewußt allem gegenüber außer ihrem eigenen Selbst-Innesein. Am tiefsten Ende unseres Wesens nimmt es das Unbewußte wahr, mit dem unsere Evolution anfängt. Zugleich wird es aber auch des Einen und des Alls inne, das in jenen Tiefen selbst-involviert ist. Es enthüllt in der Unbewußtheit das verborgene Bewußtsein. Seine Schau ist ausdeutend und offenbarend und bewegt sich zwischen diesen beiden Extremen. So entdeckt das integrale spirituelle Bewußtsein die Manifestation des Einen in den Vielen, die Identität des Unendlichen in der Verschiedenheit der endlichen Dinge, die Gegenwart des zeitlosen Ewigen in der ewigen Zeit. Dieses Schauen erhellt ihm die Bedeutung des Universums. Dieses Bewußtsein hebt das Universum nicht auf. Es hebt es empor und verwandelt es, indem es ihm seine verborgene Bedeutung verleiht. Es hebt nicht das individuelle Dasein auf. Es verwandelt Wesen und Natur des Individuums, indem es diesen ihre wahre Bedeutung offenbart und sie befähigt, ihre Absonderung von der Göttlichen Wirklichkeit und der Göttlichen Natur zu überwinden.
Integrales Wissen setzt integrale Wirklichkeit voraus. Denn die Macht des Wahrheits-Bewußtseins ist selbst das Bewußtsein der Wirklichkeit. Aber unsere Vorstellung und unser Empfinden von Wirklichkeit variiert mit dem Zustand und der Absicht unseres Bewußtseins, mit seiner Schau, seiner Betonung und Auffassung der Dinge. Diese Schau und diese Betonung können intensiv und exklusiv oder extensiv, inklusiv und allumfassend sein. Es ist sehr wohl möglich – und das ist in seinem Bereich eine berechtigte Maßnahme unseres Denkens und bezeichnend für ein hohes spirituelles Niveau –, das Sein des unaussprechlichen Absoluten zu bejahen, es als einzige Wirklichkeit zu betonen und für unser Selbst das individuelle Wesen und die kosmische Schöpfung zu verneinen und auszumerzen, sie aus unserer Vorstellung und unserem Empfinden von Wirklichkeit auszulöschen. Die Wirklichkeit des Universums ist brahman, das Absolute. Die Wirklichkeit des Kosmos ist brahman, das Absolute. Das Individuum ist ein Phänomen, eine vergängliche Erscheinung im Kosmos. Der Kosmos selbst ist ein Phänomen, eine größere, komplexe vergängliche Erscheinung. Die beiden Begriffe Wissen und Unwissenheit gehören nur dieser äußeren Erscheinung an. Um zum absoluten Überbewußtsein zu gelangen, müssen wir beide transzendieren: Ich-Bewußtsein und kosmisches Bewußtsein werden in jener höchsten Transzendenz zum Erlöschen gebracht, nur das Absolute bleibt übrig. Denn das absolute brahman existiert nur in seiner eigenen Identität und steht jenseits von allem Erkennen des anderen. Dort verschwindet die Vorstellung von dem Wissenden und dem Gewußten und darum auch von dem Wissen, in dem beide sich treffen und eins werden. Diese Idee wird transzendiert und verliert ihre Berechtigung, so daß das absolute brahman Mental und Rede immer unerreichbar bleiben muß. Im Gegensatz zu der Anschauung, die wir vorgetragen haben, oder in Ergänzung zu ihr – daß nämlich die Unwissenheit selbst entweder nur als ein begrenztes oder als ein involviertes Wirken des Göttlichen Wissens anzusehen ist, als begrenzt im nur partiell Bewußten und als involviert im Unbewußten – könnten wir von diesem anderen Ende der Skala der Dinge her sagen, Wissen sei nur eine höhere Unwissenheit, da es vor der absoluten Wirklichkeit haltmache, die Sich Selbst gegenüber evident, dem Mental jedoch unerkennbar sei. Diese absolute Auffassung entspricht einer Wahrheit des Denkens und einer Wahrheit höchster Erfahrung im spirituellen Bewußtsein. Für sich genommen ist das aber nicht das Ganze des vollständigen und umfassenden Denkens, und es erschöpft nicht die Möglichkeiten höchster spiritueller Erfahrung.
Die absolutistische Betrachtung von Wirklichkeit, Bewußtsein und Wissen gründet sich auf eine Richtung frühesten vedantischen Denkens. Das ist aber nicht das Ganze jenes Denkens. In den Upanishaden, der inspirierten Schrift des ältesten Vedanta, finden wir diese Bejahung des Absoluten als den aus der Erfahrung gewonnenen Begriff der äußersten, unaussprechlichen Transzendenz. Wir finden aber auch, und zwar nicht im Widerspruch dazu sondern als Ergänzung, eine Bejahung der kosmischen Divinität, einen durch Erfahrung gewonnenen Begriff vom kosmischen Selbst und vom Werden des brahman im Universum. In gleicher Weise finden wir die Bejahung der Göttlichen Wirklichkeit im Individuum. Auch das ist eine aus Erfahrung gewonnene Auffassung. Das Individuum wird nicht nur als äußerer Schein aufgefaßt sondern als ein aktuelles Werden. Anstelle der einzigen höchsten exklusiven Behauptung, die außer dem transzendenten Absoluten alles verneint, finden wir eine umfassende Annahme, die bis zu ihrer äußersten Schlußfolgerung gebracht wird. Diese Auffassung von Wirklichkeit und Wissen, die in einer einzigen Schau das Kosmische und das Absolute umschließt, stimmt grundsätzlich mit unserer eigenen überein. Denn in ihr ist beides enthalten: Die Unwissenheit ist ein halb-verhüllter Teil des Wissens, und die Welt-Erkenntnis ist ein Teil der Selbst-Erkenntnis. Die Isha-Upanishad besteht auf der Einheit und Wirklichkeit aller Manifestationen des Absoluten. Sie weist zurück, daß man die Wahrheit nur auf einen einzigen Aspekt beschränkt. Brahman ist das Unverrückbare und das Bewegliche, das Innere und das Äußere, alles, was nahe, und alles, was fern ist, ob spirituell oder in der Ausdehnung von Zeit und Raum. Es ist das Seiende und alle Werdeformen. Er ist der Reine und Schweigende, der ohne Gestaltung und Aktion ist, der Seher und Denker, der die Welt und ihre Objekte organisiert. Er ist der Eine, der zu allem wird, das wir mit unseren Sinnen im Universum wahrnehmen; der Immanente und das, worin er seine Wohnstätte aufschlägt. Die Upanishad versichert das als die vollkommene und befreiende Erkenntnis, was weder das Selbst noch seine Schöpfungen ausschließt. Der befreite Geist sieht alle diese Dinge als die Werdeformen des Selbst-Seienden in einer inneren Schau und durch ein Bewußtsein, das das Universum im eigenen Innern wahrnimmt und nicht nur äußerlich auf es schaut als auf etwas anderes als es selbst, wie das begrenzte ichhafte Mental das tut. In der kosmischen Unwissenheit zu leben, ist Blindheit. Sich aber auf einen exklusiven Absolutismus von Wissen zu begrenzen, ist ebenfalls Blindheit. Integrales Wissen heißt, brahman zu erkennen als das Wissen und die Unwissenheit zugleich und zusammen; den höchsten Zustand zu erlangen zugleich durch Werden und Nicht-Werden; die Erkenntnisse des transzendenten und des kosmischen Selbsts aufeinander zu beziehen; eine feste Grundlage im Überweltlichen und eine des Selbsts gewisse Manifestation im Weltlichen zu erreichen. Das ist der Besitz der Unsterblichkeit. Dieses ganze Bewußtsein mit seinem vollständigen Wissen ist es, das die Grundlage für das Göttliche Leben legt und dieses erreichen läßt. Daraus folgt, daß die unbedingte Wirklichkeit des Absoluten kein starres, unbestimmtes Einssein und keine Unendlichkeit sein darf, die leer ist von allem, was nicht reines Selbst-Sein ist, das man nur dadurch erlangt, daß man die Vielen und das Endliche ausschließt. Vielmehr muß sie etwas sein, das jenseits dieser Definitionen und sogar jenseits von allem liegt, das man als positiv oder als negativ beschreiben kann. Alle Bejahungen und alle Verneinungen drücken seine Aspekte aus. Durch beide zusammen, durch höchste Bejahung und höchste Verneinung, können wir zum Absoluten gelangen.
Auf der einen Seite haben wir also, uns als die Wirklichkeit dargestellt, ein absolutes Selbst-Sein, ein ewiges einziges Selbst-Seiendes. Durch die Erfahrung des schweigenden und inaktiven Selbsts oder des unabhängigen unbeweglichen purusha können wir uns diesem gestaltlosen und beziehungslosen Absoluten nahen, das Wirken der schöpferischen Macht negieren, ob es nun eine illusorische maya oder eine formbildende prakriti ist, aus dem ganzen Kreislauf im kosmischen Irrtum heraustreten in den ewigen Frieden und in das Schweigen, frei werden, von unserem personalen Dasein und uns selbst in jenem einzigen wahren Sein finden oder verlieren. Auf der anderen Seite haben wir ein Werden, das eine wahre Bewegung des Seienden ist, und beide, das Seiende und das Werden, sind Wahrheiten der einen absoluten Wirklichkeit. Die erste Anschauung gründet sich auf den metaphysischen Begriff, der die extreme Wahrnehmung des Absoluten in unserem Denken, die exklusive Erfahrung in unserem Bewußtsein als eine Wirklichkeit formuliert, die leer ist von allen Beziehungen und Bestimmungen. Das erfordert als logische und praktische Konsequenz, die Welt der Beziehungen als etwas Falsches, etwas von unrealem Wesen, etwas Nicht-Seiendes, asat, zu verneinen oder zumindest als niedere, dahinschwindende, vergängliche und pragmatische Selbst-Erfahrung aus dem Bewußtsein auszumerzen, um zur Befreiung des Geistes von seinen falschen Wahrnehmungen oder seinen niedrigen Schöpfungen zu gelangen. Die zweite Anschauung gründet sich auf die Auffassung, das Absolute könne weder positiv noch negativ eingegrenzt werden. Es steht jenseits aller Beziehungen in dem Sinne, daß es durch keine Relativitäten gebunden oder in seiner Wesensmacht begrenzbar ist: Es kann nicht durch unsere relativen Auffassungen festgelegt oder umschrieben werden, weder durch die höchsten noch die niedersten, weder durch positive noch durch negative. Es wird weder durch unser Wissen noch durch unsere Unwissenheit gebunden, weder durch unsere Auffassung vom Sein noch durch die vom Nicht-Sein. Es kann aber auch nicht durch irgendeine Unfähigkeit begrenzt werden, Beziehungen zu enthalten, zu unterhalten, zu erschaffen oder zu offenbaren. Im Gegenteil, man kann die Macht, sich in einer Unendlichkeit von Einheit und in einer Unendlichkeit von Vielheit zu manifestieren, als eine ihr ursprünglich innewohnende Kraft, als Zeichen und Ergebnis gerade ihrer Unbedingtheit ansehen. Diese Möglichkeit ist an sich schon eine ausreichende Erklärung für das kosmische Dasein. Das Absolute kann in seiner Art, einen Kosmos von Beziehungen zu manifestieren, tatsächlich nicht eingeschränkt werden; es kann aber auch nicht gezwungen werden, keinen Kosmos zu manifestieren. Es selbst ist keine bloße Leere. Denn ein inhaltsloses Absolutes ist kein Absolutes – unsere Auffassung von einem Leeren oder einem Null-Wert ist nur ein begriffliches Zeichen dafür, daß wir mental unfähig sind, es zu erkennen und zu begreifen. Es trägt in sich selbst eine gewisse unaussprechliche Wesenhaftigkeit von allem, was ist, und allem, was sein kann. Und da es in sich diese Wesenhaftigkeit und diese Möglichkeit enthält, muß es in sich auch auf irgendeine Art seiner Absolutheit entweder die dauernde Wahrheit oder die innewohnende, wenn auch verborgene, verwirklichbare Aktualität von allem enthalten, was für unser oder der Welt Dasein grundlegend ist. Diese verwirklichbare Aktualität verwirklicht, oder diese ständige Wahrheit ihre Möglichkeiten entfaltend, bezeichnen wir als Manifestation und sehen wir als das Universum.
Im Begriff oder in der Erkenntnis der Wahrheit des Absoluten gibt es also keine innewohnende unvermeidliche Konsequenz, die Wahrheit des Universums zu bestreiten oder aufzulösen. Die Vorstellung von einem wesenhaft unwirklichen Universum, das irgendwie durch eine unerklärliche Macht von Illusion manifestiert wird, das das Absolute brahman nicht anerkennt, über dem es erhaben steht und auf das es so wenig Einfluß nimmt, wie es selbst von ihm beeinflußt wird, ist im Grunde die Übertragung einer Unfähigkeit unseres mentalen Bewußtseins auf Jenes, eine Aufbürdung oder Unterstellung, adhyaropa, gleichsam um es zu begrenzen. Sobald unser mentales Bewußtsein über seine Begrenzungen hinausgeht, verliert es seine eigene Weise der Erkenntnis und seine Erkenntnismittel. Dann hat es die Neigung, inaktiv zu werden oder ganz aufzuhören. Es verliert zugleich auch seinen Halt an seinen früheren Inhalten oder neigt dazu, diese nicht weiter zu haben. Dann hat es keine kontinuierliche Auffassung mehr von der Wirklichkeit dessen, was einst für es alles gewesen ist, das wirklich war: Wir unterstellen dem absoluten parabrahman, das wir für immer ungeoffenbart auffassen, eine entsprechende Unfähigkeit oder ein Abgesondertsein von oder eine Erhabenheit über das, was so für uns unwirklich geworden ist oder als unwirklich erscheint. Es muß dann durch seine eigene Art reiner Absolutheit ebenso wie unser Mental, wenn es aufhört oder sich auslöscht, leer sein von jedem Zusammenhang mit dieser Welt der sichtbaren Manifestation, unfähig, sie anzuerkennen, um sie zu unterstützen, oder das dynamisch aufrechtzuerhalten, was ihr die Wirklichkeit gibt, – oder, falls es so etwas zur Kenntnis nehmen kann, müßte dieses seiner Art nach ein “Ist” sein, das nicht ist, eine magische maya. Es gibt aber keinen zwingenden Grund, anzunehmen, daß diese Kluft existiert. Wessen unser relatives menschliches Bewußtsein fähig oder nicht fähig ist, das ist kein Prüfstein oder Maßstab für absolute Fähigkeit. Seine Begriffe können nicht auf eine absolute Selbst-Bewußtheit übertragen werden. Was für unsere mentale Unwissenheit nötig ist, um sich selbst zu entkommen, kann keine Notwendigkeit sein für das Absolute, das sich selbst nicht zu entkommen braucht und keinen Grund hat, dem die Anerkennung zu verweigern, das für es unerkennbar ist.
Es gibt dieses ungeoffenbarte Unerkennbare. Es gibt dieses geoffenbarte Erkennbare, das unserer Unwissenheit teilweise manifest, das jedoch gänzlich manifest ist für das göttliche Wissen, das es in seiner eigenen Unendlichkeit in sich birgt. Wenn es wahr ist, daß weder unsere Unwissenheit noch unsere äußerste und allumfassende mentale Erkenntnis uns einen festen Besitz des Unerkennbaren vermitteln kann, so ist doch auch wahr, daß sich Jenes sowohl durch unser Wissen wie durch unsere Unwissenheit selbst auf verschiedene Weise manifestiert. Denn es kann nicht etwas anderes manifestieren als sich selbst, da nichts sonst existieren kann. In dieser Mannigfaltigkeit von Manifestation gibt es jenes Einssein. Durch die Verschiedenheit können wir mit dem Einssein in Kontakt kommen. Aber auch wenn wir diese Koexistenz akzeptieren, ist es immer noch möglich, ein endgültiges Urteil und einen Verdammungsspruch über das Werden zu fällen und uns für die Notwendigkeit zu entscheiden, ihm zu entsagen und in das absolute Sein zurückzukehren. Diese Entscheidung kann auf die Unterscheidung zwischen der realen Wirklichkeit des Absoluten und der partiellen und irreführenden Wirklichkeit des relativen Universums gegründet werden.
Denn wir haben in dieser Entfaltung von Wissen die beiden Begriffe des Einen und der Vielen, wie wir auch die beiden Begriffe des Endlichen und des Unendlichen haben: dessen, das wird, und dessen, das nicht wird, weil es ewig ist; dessen, das Gestalt annimmt, und dessen, das keine Gestalt annimmt; des Geistes und der Materie; des höchsten Überbewußten und des niedersten Unbewußten. In diesem Dualismus und um ihm zu entkommen, steht es uns offen, Wissen als den Besitz des einen Begriffes zu definieren und den Besitz des anderen als Unwissenheit. Das Allerhöchste für unser Leben wäre dann, daß wir uns aus der niederen Wirklichkeit des Werdens zurückziehen in die höhere Wirklichkeit des Seienden: daß wir uns aus der Unwissenheit in das Wissen emporschwingen, die Unwissenheit zurückweisen und aus den Vielen übergehen in den Einen, aus dem Endlichen in das Unendliche, aus der Form in das Formlose, aus dem Leben des materiellen Universums in den Geist, aus der Gewalt des Unbewußten über uns in das überbewußte Sein. Man nimmt bei dieser Lösung an, es bestehe eine festgelegte Gegensätzlichkeit, eine letzte Unvereinbarkeit in jedem Fall zwischen den beiden Begriffen unseres Wesens. Oder auch: wenn beide ein Mittel der Manifestation des brahman sind, sei das Niedere ein falscher oder unvollkommener Hinweis auf ihn, ein Mittel, das versagen muß, und ein System von Werten, die uns letztlich nicht zufriedenstellen können. Unbefriedigt von den Verwirrungen der Vielfalt, verächtlich selbst das Höchste an Licht, Macht und Freude ablehnend, das sie uns offenbaren kann, müssen wir über sie hinaus zu dem einen absoluten Punkt, zu dem einen absoluten Ort drängen, an dem diese ganze Selbst-Variation aufhört. Da wir infolge des Anspruchs des Unendlichen an uns nicht für immer in den Banden des Endlichen bleiben oder hier Genugtuung, Weite und Frieden finden könnten, müßten wir alle Bande der individuellen und universalen Natur zerbrechen, alle Werte, Symbole, Abbildungen, Selbst-Definitionen, Begrenzungen des Unbegrenzbaren zerstören und alle Kleinlichkeit und Zerteiltheit in jenem Selbst verlieren, das auf ewig mit der eigenen Unendlichkeit zufrieden ist. Angewidert von den Gestaltungen, desillusioniert von ihren falschen und vergänglichen Verführungen, ermüdet und entmutigt von ihrer flüchtigen Unbeständigkeit und ihrem eitlen Kreislauf der Wiederkehr müßten wir aus den Zyklen der Natur in die Formlosigkeit und unterschiedslose Leere des permanenten Seins entkommen. Voller Abscheu vor der Materie und ihrer Grobheit, ungeduldig mit dem zwecklosen Drängen und der Verwirrung des Lebens, ermüdet durch das ziellose Umherirren des Mentals und überzeugt von der Eitelkeit all seiner Zwecke und Ziele müßten wir uns befreien in die ewige Ruhe und Reinheit des Geistes. Das Unbewußte sei ein Schlaf oder ein Gefängnis. Das Bewußte sei ein Kreislauf von Bestrebungen ohne ein letztes Ziel oder das Vagabundieren wie in einem Traum. Wir müßten in das Überbewußte erwachen, wo alle Finsternis von Nacht und Halblichtern aufhöre in der vom Selbst erleuchteten Seligkeit des Ewigen. Der Ewige sei unsere alleinige Zuflucht. Alles übrige seien falsche Werte, sei die Unwissenheit und ihre Irrgärten, eine Selbst-Verwirrung der Seele in der phänomenalen Natur.
Unsere Auffassung vom Wissen und von der Unwissenheit verwirft diese Verneinung und die Gegensätzlichkeiten, auf die sie sich gründet. Sie weist hin auf eine umfassendere, wenn auch schwierigere Methode, sie miteinander zu versöhnen. Denn wir sehen, daß diese scheinbar einander entgegensetzten Begriffe vom Einen und den Vielen, von der Form und dem Formlosen, vom Endlichen und vom Unendlichen nicht so sehr Gegensätze als vielmehr komplementäre Begriffe sind. Sie sind nicht alternative Werte des brahman, als ob dieses ständig in seiner Schöpfung sein Einssein verliere, um sich in der Vielheit wiederzufinden, und, unfähig, sich in der Vielheit zu entdecken, diese wieder aufgebe, um das Einssein zu erlangen. Vielmehr sind sie doppelte und zusammengehörige Werte, die sich gegenseitig verdeutlichen. Sie sind keine hoffnungslos unvereinbaren Alternativen, vielmehr zwei Gesichter der einen Wirklichkeit, die uns dadurch zu dieser führen können, daß wir beide realisieren und nicht nur jede getrennt erproben, – auch wenn solch ein gesondertes Erproben ein legitimer, ja unvermeidlicher Schritt oder Teil des Prozesses der Erkenntnis sein mag. Wissen ist zweifelos die Erkenntnis des Einen, des Seienden. Unwissenheit heißt, daß unser Selbst das Seiende vergißt. Sie ist die Erfahrung der Abgesondertheit in der Vielfalt und ein Verbleiben oder Kreisen im falschverstandenen Irrgarten der Werde-Formen. Das wird aber durch die Seele im Werden überwunden, die in die Erkenntnis, in die Bewußtheit des Seienden emporwächst, das in der Vielheit zu all den vorhandenen Wesen wird und deshalb dazu werden kann, weil ihre Wahrheit bereits in seinem zeitlosen Sein da ist. Die integrale Erkenntnis von brahman ist ein Bewußtsein, das beides miteinander besitzt. Wenn wir ausschließlich nach dem einen von beiden jagen, wird unser Blick für die andere Seite der Wahrheit der allgegenwärtigen Wirklichkeit verschlossen. Der Besitz des Seienden, das jenseits aller Werdeformen ist, bringt uns die Freiheit von Verhaftung und Unwissenheit im kosmischen Dasein und verschafft uns dadurch jene Freiheit eines freien Besitzes des Werdenden und des kosmischen Daseins. Die Erkenntnis des Werdenden ist ein Teil des Wissens. Sie wirkt nur deshalb wie Unwissenheit, weil wir in sie eingesperrt bleiben, avidyayam antare, ohne daß wir das Einssein des Seienden besitzen, das die Grundlage des Werdens ist, sein Stoff, sein Geist, die Ursache seiner Manifestation, ohne die es nicht möglich sein könnte.
Tatsächlich ist das brahman eines, nicht nur in einem gestaltlosen Einssein jenseits jeder Beziehung, sondern gerade auch in der Vielheit des kosmischen Daseins. Da Es des Wirkens des zerteilenden Mentals bewußt, jedoch selbst nicht durch es begrenzt ist, findet es sein Einssein ebenso leicht in den Vielen, in Beziehungen, im Werden, wie wenn es sich ganz aus den Vielen, aus den Beziehungen, aus dem Werden zurückzieht. Auch wir selbst müssen es, gerade um sein Einssein völlig zu besitzen, – zumal Es hier ist, zumal alles Jenes ist – in der unendlichen Selbst-Variation des Kosmos besitzen. Eine Erklärung und Rechtfertigung für die Unendlichkeit der Vielfalt läßt sich nur finden, wenn sie in der Unendlichkeit des Einen enthalten und von ihm als Besitz gewahrt wird. Aber die Unendlichkeit des Einen ergießt sich auch in die Unendlichkeit der Vielen und behält sich auch dort zu eigen. Es ist die göttliche Stärke des freien purusha, der bewußten Seele, die sich selbst in ihrer unsterblichen Erkenntnis des Selbsts besitzt, fähig zu sein, ihre Energien ebenso zu verströmen, wie sich dabei nicht zu verlieren, sich nicht aus ihrer Grenzenlosigkeit und der Endlosigkeit von Wechselfällen und Differenzen besiegt zurückziehen zu müssen und nicht selbst durch deren Variationen aufgeteilt zu werden. Die Selbst-Variationen des Selbsts im Endlichen, in denen das Mental, das sein Wissen um sein Selbst verliert, verfangen und zerstreut ist, sind dennoch keine Verneinung des Unendlichen, sondern dessen endloser Ausdruck. Nur so haben sie für ihr Dasein Bedeutung, sie haben keinen anderen Grund: Das Unendliche findet, während es eine tiefe Freude über sein grenzenloses Wesen hat, gerade auch an dieser grenzenlosen Selbst-Begrenzung im Universum seine Wonne. Das Göttliche Wesen ist nicht unfähig, zahllose Gestalten anzunehmen. In Seinem Wesen ist Er doch jenseits aller Form und verliert, auch wenn Er die Form annimmt, nicht Seine Göttlichkeit. Vielmehr ergießt Er in sie die ganze Seligkeit Seines Wesens und das Herrliche Seiner Göttlichkeit. Dieses Gold hört nicht deshalb auf, Gold zu sein, weil es sich in alle Arten von Schmuck und in Münzen vieler Währungen und Werte ausprägt. Ebensowenig verliert die Erden-Macht, das Prinzip all dieses gestalteten materiellen Daseins, ihre unveränderliche Göttlichkeit, weil sie sich in bewohnbare Welten ausformt, in Berge und Täler verausgabt und in die Werkzeuge von Herd und Haushalt oder als hartes Metall in Waffen und Maschinen gestalten läßt. Die Materie – selbst Substanz, subtil oder dicht, mental oder materiell – ist Gestalt und Körper des Geistes. Sie wäre nie erschaffen worden, könnte sie nicht zur Grundlage für den Selbst-Ausdruck des Geistes gemacht werden. Die scheinbare Unbewußtheit des materiellen Universums enthält dunkel in sich alles, was in dem lichtvollen Überbewußten ewig selbst-enthüllt ist. Dieses in der Zeit zu enthüllen, ist die allmähliche und beabsichtigte tiefe Freude der Natur und das Ziel ihrer Zyklen.
Es gibt aber noch andere Auffassungen von Wirklichkeit, andere Begriffe von der Natur des Wissens, die wir erwägen müssen. Da ist die Ansicht, daß alles, was existiert, eine subjektive Schöpfung des Mentals, eine Konstruktion des Bewußtseins ist. Die Vorstellung von einer objektiven, selbst-seienden Wirklichkeit, unabhängig vom Bewußtsein, sei eine Illusion, da wir keinen Beweis für solch ein unabhängiges Selbst-Sein der Dinge hätten und haben könnten. Diese Art der Betrachtung mag zu der Behauptung führen, das schöpferische Bewußtsein sei die einzige Wirklichkeit, oder zur Leugnung alles Daseins und zur Behauptung, ein Nicht-Sein oder ein nicht-bewußter Nullpunkt seien die einzige Wirklichkeit. Denn in solcher Auffassung haben die vom Bewußtsein konstruierten Gegenstände keine ursprüngliche Wirklichkeit, sind sie vielmehr reine Konstruktionen. Selbst das Bewußtsein, das sie konstruiert, sei nur ein Strom von Wahrnehmungen, die den Anschein von Verbundenheit und Dauer annehmen und das Empfinden einer kontinuierlichen Zeit erschaffen. In Wirklichkeit hätten diese Dinge aber keine haltbare Grundlage, da sie nur ein Schein von Wirklichkeit seien. Das würde bedeuten: die Wirklichkeit ist ein ewiges Fehlen sowohl allen selbst-bewußten Seins als auch all dessen, das Bewegung des Seins konstituiert. Wissen hieße dann, daß wir aus dem Schein des konstruierten Universums dorthin zurücktreten. Das würde eine doppelte und vollständige Selbst-Vernichtung bedeuten, das Verschwinden des purusha und das Ende oder die Vernichtung von prakriti. Denn bewußte Seele und Natur sind die beiden Begriffe unseres Wesens. Sie umfassen alles, was wir unter Sein verstehen. Die Verneinung beider ist das absolute nirvana. Was wirklich ist, müßte also entweder ein Unbewußtes sein, in dem dieser Strom und diese Strukturen erscheinen, oder ein Überbewußtes jenseits aller Vorstellung von Selbst oder Dasein. Aber diese Anschauung des Universums trifft für die Erscheinung der Dinge nur zu, wenn wir unser vordergründiges Mental als das Ganze des Bewußtseins auffassen. Als Beschreibung des Wirkens dieses Mentals ist sie zutreffend. Hier sieht zweifellos alles aus wie der Strom und die Konstruktion eines unbeständigen Bewußtseins. Sie kann aber nicht als Darstellung des Seins im Ganzen gelten, wenn es eine größere und tiefere Selbst- und Welt-Erkenntnis gibt, ein Wissen durch Identität, ein Bewußtsein, für das ein solches Wissen normal ist, und ein Wesen, für das dieses Bewußtsein das ewige Selbst-Innesein ist. Denn dann können für dieses Bewußtsein und dieses Wesen das Subjektive und das Objektive zugleich wirklich und innerlich gewiß sein. Beide können etwas seiner selbst sein, Charakterzüge seiner Identität, die seine Existenz verbürgen.
Wenn andererseits das konstruierende Mental oder Bewußtsein wirklich und die einzige Wirklichkeit ist, könnte das Universum materieller Wesen und Gegenstände zwar Existenz haben. Diese wäre aber dann rein subjektiv-strukturell, vom Bewußtsein aus sich selbst hergestellt, durch es aufrechterhalten, um sich bei ihrem Verschwinden wieder in dieses aufzulösen. Denn es gibt sonst nichts, kein wesenhaftes Sein oder Seiendes, das die schöpferische Macht unterstützt. Andererseits gibt es aber auch kein sie erhaltendes Leeres oder Nichts. Also muß dieses Bewußtsein, das alles erschafft, selbst ein Sein oder eine Substanz haben oder sein. Wenn es Strukturen herstellen kann, müssen sie Konstruktionen aus seiner eigenen Substanz, Formen aus seinem eigenen Sein sein. Ein Bewußtsein, das nicht dasjenige eines Seienden oder nicht selbst ein Seiendes ist, muß unwirklich sein, die wahrnehmende Kraft eines Leeren oder in einem Leeren, die dort unwirkliche Konstruktionen herstellt, die aus Nichts gefertigt sind, – eine Erklärung, die man nicht leicht akzeptieren kann, es müßten denn alle anderen als ungültig erwiesen werden. So wird klar, daß das, was wir als Bewußtsein sehen, ein Wesen oder ein Seiendes sein muß, aus dessen Bewußtseinsstoff alles erschaffen ist.
Wenn wir so zur zweieinigen oder dualen Wirklichkeit von Wesen und Bewußtsein zurückgehen, können wir entweder mit dem Vedanta ein einziges ursprüngliches Wesen annehmen oder mit dem Sankhya eine Vielzahl von Wesen, denen ein Bewußtsein oder irgendeine Energie, der wir Bewußtsein beilegen, seine Konstruktionen darbringt. Wenn allein eine Vielzahl getrennter ursprünglicher Wesen wirklich ist, muß, da jedes in seinem eigenen Bewußtsein seine eigene Welt sein oder erschaffen würde, der Schwierigkeit Rechnung getragen werden, die hinsichtlich ihrer Beziehungen in einem einzigen identischen Universum besteht. Es muß ein einziges Bewußtsein oder eine einzige Energie geben, entsprechend der Sankhya-Vorstellung von einer einzigen prakriti, die das Feld der Erfahrung für viele gleiche purushas ist, worin sie einander treffen in einem identischen, vom Mental konstruierten Universum. Diese Theorie von den Dingen hat den Vorteil, daß sie der Menge der Seelen und der Menge der Dinge Rechnung trägt, und ebenso auch ihrer Erfahrung vom Einssein in der Vielfalt, während sie zugleich das gesonderte spirituelle Wachstum und Schicksal des individuellen Wesens in Betracht zieht. Wenn wir aber das Eine Bewußtsein oder die Eine Energie voraussetzen können, die eine Vielfalt von Formen ihrer selbst erschafft und in ihrer Welt eine Vielzahl von Wesen unterbringt, besteht keine Schwierigkeit, auch ein einziges ursprüngliches Wesen anzunehmen, das eine Vielheit von Wesen trägt und erhält oder sich darin ausdrückt, Seelen oder spirituelle Mächte seines Einsseins. Daraus würde auch folgen, daß alle Gegenstände und alle Gestaltungen des Bewußtseins Formen des Wesens sind. Dann muß man fragen, ob diese Pluralität und diese Gestaltungen Wirklichkeiten des einen Wirklichen Seins sind oder nur stellvertretende Personen und Leitbilder oder Symbole oder Werte, die vom Mental erschaffen wurden, um Es zu repräsentieren. Das würde weithin davon abhängen, ob dabei nur das Mental, wie wir es kennen, tätig ist oder ein tieferes und größeres Bewußtsein, dem das Mental nur Instrument im Vordergrund, ausführende Instanz seiner Anregungen ist, Medium seiner Manifestationen. Ist es das erstere, kann das vom Mental geschaute und konstruierte Universum nur subjektive, symbolische oder repräsentative Wirklichkeit besitzen. Ist es aber letzteres, können das Universum und seine natürlichen Wesen und Gegenstände wahre Wirklichkeiten des Einen Seins, Formen oder Mächte seines Wesens sein, die durch seine Wesens-Kraft manifestiert werden. Dann wäre das Mental nur der Interpret zwischen der universalen Wirklichkeit und den Manifestationen seiner schöpferischen Bewußtseins-Kraft, shakti, prakriti, maya.
Es ist klar, daß ein Mental von der Art unserer vordergründigen Intelligenz nur eine sekundäre Macht des Seins sein kann. Trägt sie doch den Stempel der Unfähigkeit und Unwissenheit als Zeichen dafür, daß sie etwas Abgeleitetes und nicht die ursprüngliche Schöpferin ist. Wir sehen, daß sie die Gegenstände, die sie beobachtet, weder erkennt noch versteht. Sie hat nicht automatisch Herrschaft über sie. Das Mental muß erst mit vieler Mühe konstruiertes Wissen und kontrollierende Macht erwerben. Diese ursprüngliche Unfähigkeit des Mentals wäre nicht vorhanden, wenn die Gegenstände seine eigenen Konstruktionen wären, Schöpfungen der Macht seines Selbsts. Vielleicht ist das deshalb so, weil das individuelle Mental nur vordergründige Macht und abgeleitetes Wissen besitzt, während es ein universales Mental gibt, das vollständig, mit Allwissenheit und Allmacht ausgestattet ist. Der Charakter des Mentals jedoch, das wir kennen, ist Unwissenheit, die nach Wissen sucht. Es erkennt nur Bruchteile. Es arbeitet mit Teilungen, um durch sie zur Summe zu gelangen und so ein Ganzes zusammenzusetzen. Es besitzt nicht das Wesen der Dinge oder ihre Totalität. Ein universales Mental gleichen Charakters könnte die Summe seiner Teilungen kraft seiner Universalität wissen, doch würde ihm noch das essentielle Wissen fehlen, ohne das es kein wahrhaft integrales Wissen geben kann. Würde ein Bewußtsein das wesenhafte und vollständige Wissen besitzen, das von der Essenz zum Ganzen und vom Ganzen zu den Teilen schreitet, so wäre das nicht mehr ein Mental, sondern ein vollkommenes Wahrheits-Bewußtsein, das automatisch im Besitz der ursprünglichen Erkenntnis des Selbsts und der Welt ist. Von dieser Basis aus müssen wir die subjektive Betrachtung der Wirklichkeit sehen. Es ist wahr, es gibt nicht so etwas wie eine objektive Wirklichkeit, die vom Bewußtsein unabhängig wäre. Zugleich liegt aber auch in der Objektivität Wahrheit. Diese besteht darin, daß die Wirklichkeit der Dinge in etwas begründet ist, das in ihrem Innern existiert und unabhängig ist von der Interpretation, die unser Mental ihnen gibt, und von den Konstruktionen, die dieses auf seiner Beobachtung errichtet. Diese Strukturen konstituieren das subjektive Bild oder die subjektive Form des Universums im Mental. Doch sind das Universum und seine Gegenstände nicht nur ein Bild oder eine Form. In ihrem Wesen sind sie Schöpfungen des Bewußtseins, jedoch eines Bewußtseins, das eines ist mit dem Seienden, dessen Substanz die Substanz des Seienden ist und dessen Schöpfungen auch aus dieser Substanz bestehen und darum wirklich sind. Von diesem Gesichtspunkt aus kann die Welt nicht nur eine rein subjektive Schöpfung des Bewußtseins sein. Die subjektive und die objektive Wahrheit der Dinge sind beide wirklich; sie sind zwei Seiten der gleichen Wirklichkeit.
In gewissem Sinne sind, um die entsprechenden und suggestiven Ausdrücke unserer Sprache zu gebrauchen, alle Dinge die Symbole, durch die wir Zugang zu Jenem suchen und uns ihm nahen müssen, durch das wir und die Dinge existieren. Die Unendlichkeit der Einheit ist das eine Symbol, die Unendlichkeit der Vielheit das andere. Da nun wiederum jedes Ding in der Vielheit auf die Einheit zurückverweist und jedes Ding, das wir endlich nennen, eine repräsentative Gestalt, die Form-Vorderseite, Silhouette, das Schattenbild eines Unendlichen ist, sind auch alle Dinge, die sich im Universum in begrenzter Form zeigen -alle seine Objekte, Geschehnisse, Ideen-Gestaltungen und Lebens-Gebilde – jedes in seiner Art ein verschlüsselter Hinweis und ein Symbol. Für unser subjektives Mental ist die Unendlichkeit des Seins ein Symbol, die Unendlichkeit des Nicht-Seins ein anderes Symbol. Die Unendlichkeit des Unbewußten und die Unendlichkeit des Überbewußten sind die beiden Pole der Manifestation des absoluten parabrahman. Unser Dasein zwischen diesen beiden Polen und unser Übergang vom einen zum anderen sind ein fortschreitendes Erfassen, eine ständige Interpretation und ein subjektiver Vorgang, durch den wir in uns diese Manifestation des Nichtoffenbaren aufbauen. Durch solche Entfaltung unseres Selbst-Seins sollen wir zum Bewußtsein seiner unaussprechlichen Gegenwart und unseres Selbsts, der Welt und all dessen kommen, das ist, sowie all dessen, das nicht ist, als der Enthüllung von etwas, das sich selbst niemals irgendeinem anderen gegenüber enthüllt als seinem eigenen ewigen und absoluten Selbst-Licht.
Aber diese Art, die Dinge zu betrachten, gehört zur Tätigkeit des Mentals, das die Beziehung zwischen dem Seienden und dem äußeren Werden interpretiert. Sie ist gültig als kraftvolle mentale Darstellung, die einer gewissen Wahrheit der Manifestation entspricht, aber dem Vorbehalt unterliegt, daß die symbolischen Werte der Dinge diese Dinge selbst nicht zu bloß bedeutungsvollen Rechnungseinheiten, zu abstrakten Symbolen wie mathematischen Formeln und anderen Zeichen machen, die vom Mental zur Erkenntnis verwendet werden. Denn Formen und Ereignisseim Universum sind Wirklichkeiten, die bedeutungsvoll sind für die Wirklichkeit. Sie sind Selbst-Ausdruck von Jenem, Bewegungen und Mächte des Seienden. Jede Gestaltung ist deshalb da, weil sie Ausdruck einer Macht von Jenem ist, das sie bewohnt. Jedes Ereignis ist eine Bewegung in dem Vorgang, durch den eine gewisse Wahrheit des Wesens in seinem dynamischen Prozeß der Manifestation herausgearbeitet wird. Diese Bedeutung ist es, die der interpretierenden Erkenntnis des Mentals und seiner subjektiven Konstruktion des Universums Gültigkeit verleiht. Unser Mental ist in erster Linie Beobachter, Interpret. In zweiter Linie und in abgeleitetem Sinn ist es Schöpfer. Tatsächlich ist dies der Wert aller mentalen Subjektivität, daß sie in sich eine gewisse Wahrheit des Wesens reflektiert, das unabhängig von der Reflexion existiert, einerlei, ob sich die Unabhängigkeit als physische Objektivität oder als supraphysische Realität darbietet, die vom Mental wahrgenommen wird, aber für die physischen Sinne nicht wahrnehmbar ist. Das Mental ist also nicht der ursprüngliche Konstrukteur des Universums. Es ist eine vermittelnde Macht, die gültig ist für gewisse Aktualitäten des Wesens. Als ein Agent, ein Vermittler, macht es Möglichkeiten wirklich und hat so seinen Anteil an der Schöpfung. Der wirkliche Schöpfer ist aber ein Bewußtsein, eine Energie, die ursprünglich dem transzendenten und kosmischen Geist innewohnt.
Es gibt eine genau entgegengesetzte Betrachtung der Wirklichkeit und des Wissens, die die objektive Wirklichkeit als die einzig völlige Wahrheit und das objektive Wissen als die einzig verläßliche Erkenntnis behauptet. Diese Betrachtung geht von der Idee aus, daß das physische Dasein das einzige fundamentale Dasein ist. Bewußtsein, Mental, Seele oder Geist werden auf die Position eines vorübergehenden Ergebnisses der physischen Energie in ihrem kosmischen Wirken verwiesen – falls Seele oder Geist überhaupt irgendwie existieren. Alles, was nicht physisch und objektiv ist, besitzt eine geringere Wirklichkeit, die vom Physischen und Objektiven abhängt Es muß sich dem physischen Mental gegenüber durch objektive Evidenz oder durch eine erkennbare und beweisbare Beziehung zur Wahrheit der physischen und äußeren Dinge rechtfertigen, bevor man ihm einen Paß auf Wirklichkeit ausstellen kann. Es ist aber evident, daß diese Lösung in ihrer Starrheit nicht annehmbar ist, da sie in sich keine Vollständigkeit besitzt, sondern nur auf eine Seite des Daseins schaut, ja, nur auf eine einzige Provinz oder einen einzigen Bezirk des Daseins und alles übrige unerklärt läßt, weil ihm keine ursprüngliche Wirklichkeit und keine Bedeutung innewohne. Wenn man das bis zu seinem Extrem verfolgt, würde diese Anschauung einem Stein oder einem Plumpudding die größere Wirklichkeit zusprechen, dem Denken, der Liebe, dem Mut, dem Genie, der Größe der Seele und dem Mental der Menschen, die einer dunklen und gefährlichen Welt gegenüberstehen und ihr gegenüber Meisterschaft erlangen, eine geringere oder abhängige Wirklichkeit oder sogar nur eine substanzlose oder verschwindende Realität. Denn in dieser Anschauung sind die Dinge, die für unsere subjektive Betrachtung so groß sind, nur gültig als Reaktionen eines objektiven materiellen Wesens auf ein objektives materielles Sein. Sie sind nur insofern gültig, als sie es mit objektiven Wirklichkeiten zu tun haben und auf diese effektiv einwirken. Die Seele ist, wenn sie überhaupt existiert, nur die Begleiterscheinung einer objektiv wirklichen Welt-Natur. Im Gegensatz dazu könnte man aber auch behaupten, das Objektive erhalte seinen Wert überhaupt nur insofern, als es eine Beziehung zur Seele hat. Es ist ein Feld, eine Gelegenheit, ein Mittel für den Fortschritt der Seele in der Zeit. Das Objektive ist als Grundlage des Subjektiven zu seiner Manifestation erschaffen. Die objektive Welt ist nur eine äußere Form für das Werden des Geistes. Sie ist hier eine erste Form, eine Basis, aber nicht das Wesenhafte, nicht die Haupt-Wahrheit des Seienden. Das Subjektive und das Objektive sind zwei notwendige Seiten der manifestierten Wirklichkeit und von gleichem Wert. Im Bereich des Objektiven an sich hat das supraphysische Objekt des Bewußtseins ebensoviel Recht, anerkannt zu werden, wie die physische Objektivität. Es darf nicht a priori als subjektive Täuschung oder Halluzination beiseitegeschoben werden.
Tatsächlich sind Subjektivität und Objektivität keine unabhängigen Wirklichkeiten; sie hängen voneinander ab. Sie sind das Seiende, das als Subjekt durch das Bewußtsein auf sich als auf das Objekt schaut, und dasselbe Seiende, das sich als Objekt seinem eigenen Bewußtsein als Subjekt darbietet. Die mehr partielle Anschauung gesteht keiner Sache substantielle Wirklichkeit zu, die nur im Bewußtsein existiert, oder, um es genauer auszudrücken, keiner Sache, für die nur das innere Bewußtsein oder der innere Sinn Zeugnis ablegen, für die aber die äußeren physischen Sinne keine Grundlage liefern oder sie nicht als substantiell erweisen. Die äußeren Sinne können aber nur dann ein verläßliches Zeugnis liefern, wenn sie ihre Darstellung des Gegenstandes dem Bewußtsein vorlegen, wenn dieses Bewußtsein ihrem Bericht eine Bedeutung beilegt, der äußerlichen Darstellung seine innere intuitive Interpretation hinzufügt und diese durch begründete Zustimmung rechtfertigt. Denn das Zeugnis der Sinne ist an sich unvollkommen, keineswegs verläßlich und gewiß nicht endgültig, da es unvollständig und stets dem Irrtum unterworfen ist. Tatsächlich haben wir kein anderes Mittel, das objektive Universum zu erkennen, als unser subjektives Bewußtsein, für das die physischen Sinne Werkzeuge sind. So wie die Welt aber nicht nur diesem Bewußtsein, sondern in diesem erscheint, so ist es auch bei uns. Wenn wir der Aussage dieses universalen Zeugen in Bezug auf subjektive oder supraphysische Objektivitäten die Wirklichkeit bestreiten, gibt es auch keinen ausreichenden Grund, seiner Aussage hinsichtlich physischer Objektivitäten Wirklichkeit zuzugestehen. Wenn die inneren und die supraphysischen Objekte des Bewußtseins unwirklich sind, hat auch das objektive physische Universum alle Aussicht, unwirklich zu sein. In jedem Fall sind Verstehen, Unterscheiden, Nachprüfen notwendig. Es müssen aber das Subjektive und das Supraphysische eine andere Methode der Nachprüfung verwenden als jene, die wir mit Erfolg auf das Physische und äußerlich Objektive anwenden. Subjektive Erfahrung kann nicht dem Zeugnis der äußeren Sinne unterworfen werden. Sie hat eigene Maßstäbe für ihr Schauen und besitzt ihre eigene Methode der Nachprüfung. Ebenso können die supraphysischen Wirklichkeiten ihrem Charakter nach nicht dem Urteil des physischen oder des Sinnen-Mentals unterworfen werden, es sei denn, sie projizieren sich ins Physische. Aber selbst dann ist ihr Urteil oft nicht kompetent oder darf nur mit Vorsicht angenommen werden. Sie können nur durch andere Sinne und durch eine Methode der Untersuchung und Bestätigung verifiziert werden, die auf ihre eigene Wirklichkeit, auf ihre eigene Natur anwendbar ist
Es gibt verschiedene Ordnungen der Wirklichkeit. Die objektive und physische ist nur eine von ihnen. Sie wirkt überzeugend auf das physische oder das nach außen gerichtete Mental, da sie für die Sinne unmittelbar einleuchtend ist, während dieses Mental für das Subjektive und das Supraphysische keine Erkenntnismittel außer fragmentarischen Zeichen, Daten und indirekten Schlüssen besitzt, die aber bei jedem Schritt dem Irrtum ausgesetzt sind. Unsere subjektiven Vorgänge und inneren Erfahrungen sind ein Bereich von Geschehnissen, die ebenso wirklich sind wie irgendwelche äußeren physischen Geschehnisse. Während aber das individuelle Mental von seinen eigenen Phänomenen etwas durch unmittelbare Erfahrung wissen kann, bleibt es unwissend hinsichtlich dessen, was im Bewußtsein anderer Menschen vor sich geht, außer wenn es durch Analogie mit seiner eigenen Erfahrung oder aufgrund solcher Zeichen, Daten oder indirekten Schlüsse urteilt, die ihm seine äußere Beobachtung liefern kann. Darum bin ich in meinem Innern mir selbst gegenüber wirklich. Aber das unsichtbare Leben anderer hat für mich nur mittelbare Wirklichkeit abgesehen davon, inwieweit es auf mein eigenes Mental, mein Leben und meine Sinne einwirkt. Das ist die Beschränkung des physischen Mentals des Menschen. Es schafft in ihm die Gewohnheit, nur das Physische für wirklich zu halten und altes anzuzweifeln oder infrage zu stellen, was nicht im Einklang steht mit der eigenen Erfahrung und dem Horizont seines Verstehens oder was nicht übereinstimmt mit seinem Standard oder der Summe seines fest erworbenen Wissens.
Diese im Ich zentrierte Haltung ist in jüngster Zeit zum gültigen Maßstab der Erkenntnis erhoben worden. Man hat implizite oder ausdrücklich das Axiom aufgestellt, alle Wahrheit müsse dem Urteil des personalen Mentals, der Vernunft und Erfahrung von jedermann unterworfen werden, oder sie müsse vor einer allgemeinen oder universalen Erfahrung sonstwie bewiesen oder zumindest beweisbar sein, um als solche gelten zu können. Offensichtlich ist das aber ein falscher Maßstab für Wirklichkeit und Erkenntnis, da das die Souveränität des normalen oder durchschnittlichen Mentals und seiner begrenzten Begabung und Erfahrung sowie die Ausschließung all dessen bedeutet, was übernormal ist oder jenseits der durchschnittlichen Intelligenz liegt. Im Extrem ist dieser Anspruch des Individuums, Richter über alles zu sein, eine ichhafte Illusion, ein Aberglaube des physischen Mentals. In der Masse ist es ein grober, vulgärer Irrtum. Was dahinter steht, ist die Wahrheit, daß jeder Mensch, entsprechend seiner Fähigkeit, für sich selbst denken und für sich selbst erkennen muß. Sein Urteil kann aber nur unter der Bedingung gültig sein, daß er bereit ist, zu lernen und sich für eine immer umfassendere Erkenntnis zu öffnen. Man kann als Grund angeben, daß es zu groben Täuschungen kommen werde und man unbestätigte Wahrheit und subjektive Phantasie in den Bereich des Wissens eindringen lasse, wenn man vom physischen Maßstab und vom Grundsatz einer persönlichen oder universalen Überprüfung abweiche. Aber Irrtum und Illusion sind immer ebenso gegenwärtig wie das Eindringen des Persönlichen und der eigenen Subjektivität in das Suchen nach Erkenntnis. Die physischen oder objektiven Maßstäbe und Methoden schließen diese nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit von Irrtum ist kein Grund dafür, den Versuch zur Entdeckung abzulehnen. Subjektive Entdeckung muß aber durch eine subjektive Methode des Forschens, der Beobachtung und Nachprüfung betrieben werden. Eine Erforschung des Supraphysischen muß geeignete Mittel und Methoden entwickeln, anwenden und erproben, die anders sind als jene, durch die man die Bestandteile physischer Objekte und Prozesse von Energie in der materiellen Natur untersucht.
Forschung aufgrund einer allgemeinen vorgefaßten Begründung abzulehnen, ist ein Obskurantismus, der für die Ausweitung der Erkenntnis ebenso schädlich ist wie es der religiöse Obskurantismus war, der sich in Europa der Ausweitung der wissenschaftlichen Entdeckung entgegenstellte. Die bedeutendsten inneren Entdeckungen können nicht vor den Richterstuhl der allgemeinen Mentalität gestellt werden, nämlich die Erfahrung des Selbst-Seins, das kosmische Bewußtsein, die innere Stille des befreiten Geistes, die unmittelbare Einwirkung von Mental auf Mental, die Erkenntnis der Dinge durch das Bewußtsein in innerem Kontakt mit einem anderen Bewußtsein oder mit seinen Gegenständen, ebenso wie die meisten irgendwie wertvollen spirituellen Erfahrungen. Davon hat diese allgemeine Mentalität keine Erfahrung und nimmt ihren eigenen Mangel an solcher Erfahrung oder ihre Unfähigkeit dazu als Beweis dafür, daß diese keine Geltung habe oder nicht existiere. Physische Wahrheit oder Formeln, Verallgemeinerungen und Entdeckungen, die auf physischer Beobachtung gegründet sind, können wohl vorgebracht werden; aber auch hier ist eine Ausbildung der Fähigkeit notwendig, bevor man wirklich verstehen und urteilen kann. Es kann doch auch nicht jeder unausgebildete Verstand der Relativitätstheorie oder anderen schwierigen wissenschaftlichen Wahrheiten folgen oder die Gültigkeit ihres Ergebnisses oder ihres Verfahrens beurteilen. Jede Wirklichkeit, jede Erfahrung muß, um als wahr gelten zu können, in der Tat der Nachprüfung durch eine gleiche oder ähnliche Erfahrung zugänglich sein. So können tatsächlich alle Menschen eine spirituelle Erfahrung machen, sie bis in ihre Konsequenzen verfolgen und sie in sich selbst als wahr bestätigen. Das ist jedoch nur möglich, wenn sie die Fähigkeit dazu erworben haben oder die inneren Methoden befolgen können, durch die diese Erfahrung und Bestätigung möglich gemacht werden. Wir müssen einen Augenblick bei diesen offensichtlichen und elementaren Wahrheiten verweilen, weil in letzter Zeit die entgegengesetzten Ideen uneingeschränkt geherrscht – sie weichen jetzt nur zurück – und der möglichen Entwicklung eines großen Erkenntnisbereiches den Weg versperrt haben. Für den menschlichen Geist ist es von größter Bedeutung, frei zu sein, um die Tiefen der inneren oder subliminalen Wirklichkeit, des Spirituellen und dessen, was noch überbewußte Wirklichkeit ist, zu erforschen und sich nicht in das physische Mental und seinen engen Bezirk objektiver äußerer, harter Fakten einzumauern. Denn nur auf diese Weise kann es zu einer Befreiung von der Unwissenheit kommen, in der unsere Mentalität steckt. Nur so können wir frei werden für ein vollständiges Bewußtsein, eine wahre und vollständige Selbstverwirklichung und -erkenntnis.
Vollständige Erkenntnis verlangt, daß wir alle möglichen Bereiche von Bewußtsein und Erfahrung erforschen und enthüllen. Denn es gibt subjektive Bereiche unseres Wesens, die hinter der offenkundigen Vorderseite liegen. Diese müssen in ihrer Tiefe erforscht werden. Alles, was als gesichert erwiesen ist, müssen wir innerhalb des Horizonts der totalen Wirklichkeit zulassen. Ein innerer Bereich von spiritueller Erfahrung ist einer der großen Bezirke des menschlichen Bewußtseins. Wir sollen in ihn eindringen bis in die tiefsten Tiefen und weitesten Weiten. Das Supraphysische ist ebenso wirklich wie das Physische. Es zu erkennen, ist Teil vollständigen Wissens. Man hat die Erkenntnis des Supraphysischen mit Mystizismus und Okkultismus zusammengebracht und den Okkultismus als Aberglauben und phantastischen Irrtum verfehlt. Das Okkulte ist aber ein Teil des Seins. Wahrer Okkultismus bedeutet nichts weiter, als daß man die supraphysischen Wirklichkeiten erforscht und die verborgenen Gesetze des Seienden und der Natur und all dessen enthüllt, das nicht oberflächlich zutage liegt. Er bemüht sich um die Entdeckung der verborgenen Gesetze des Mentals und der mentalen Energie, der geheimen Gesetze des Lebens und der Lebens-Energie, der verborgenen Gesetze des Subtil-Physischen und seiner Energien, – all dessen, was die Natur nicht in ein sichtbares Verfahren an die Oberfläche herausgestellt hat. Er versucht auch, diese verborgenen Wahrheiten und Mächte der Natur anzuwenden, um dadurch die Herrschaft des menschlichen Geistes über die gewöhnlichen Funktionen des Mentals, die gewöhnlichen Prozesse des Lebens und die gewöhnlichen Abläufe unseres physischen Daseins hinaus auszudehnen.
Im spirituellen Bereich, der für das vordergründige Mental insoweit verborgen ist, als er über das Normale hinausgeht und in die übernormale Erfahrung hineinreicht, kann man nicht nur das Selbst und den Geist entdecken, sondern auch das uns emporhebende, informierende und lenkende Licht des spirituellen Bewußtseins und der Macht des Geistes, die spirituelle Art des Erkennens und des Handelns. Diese Dinge zu wissen und ihre Wahrheiten und Kräfte in das Leben der Menschheit einzubringen, ist notwendiger Teil seiner Evolution. Wissenschaft ist auf ihre Art Okkultismus, bringt sie doch die Formeln ans Licht, die die Natur verborgen hat, und verwendet ihre Erkenntnis, um Kräfte freizusetzen, die sie nicht in ihre gewöhnlichen Verfahren einbezogen hat, um sie zu organisieren und ihre geheimen Mächte und Prozesse in den Dienst der Menschen zu stellen, ein immenses System von physischer Magie, denn es gibt keine andere – und kann keine geben – als die Verwendung geheimer Wahrheiten des Seienden, geheimer Mächte und Prozesse der Natur. Man mag sogar finden, daß eine supraphysische Kenntnis notwendig ist, um das physische Wissen zu vervollständigen, da die Abläufe der physischen Natur einen supraphysischen Faktor, eine mentale, vitale oder spirituelle Macht und Aktivität hinter sich haben, an die wir durch irgendwelche äußeren Mittel der Erkenntnis nicht herankommen können.
Aller Nachdruck, der auf die alleinige oder die fundamentale Gültigkeit des objektiv Wirklichen gelegt wird, geht von dem Empfinden aus, Materie sei die grundlegende Wirklichkeit. Es ist aber jetzt klar, daß Materie keineswegs fundamental wirklich ist. Sie ist ein Gefüge von Energie. Es wird sogar ein wenig zweifelhaft, ob das Wirken und die Schöpfungen dieser Energie an sich anders erklärlich sind denn als Bewegungen der Macht eines verborgenen Mentals oder Bewußtseins, dessen Formeln ihre Prozesse und Bau-Stufen sind. Es ist deshalb nicht länger möglich, Materie als die einzige Wirklichkeit anzunehmen. Die materielle Erklärung des Daseins war das Ergebnis einer exklusiven Konzentration, einer voreingenommenen Beschäftigung mit nur einer Bewegung des Seins. Solch eine exklusive Konzentration hat ihren Nutzen und ist deshalb auch zulässig. In jüngster Zeit wurde sie durch die vielen ins Große und die zahllosen ins Kleinste gehenden Entdeckungen der Physik gerechtfertigt. Aber eine Lösung des ganzen Problems des Daseins kann nicht auf eine exklusive einseitige Erkenntnis gegründet werden. Wir müssen nicht nur wissen, was Materie ist und was ihre Prozesse sind, sondern auch was Mental und Leben und deren Prozesse sind. Und man muß auch Geist und Seele und all das erkennen, was hinter der materiellen Oberfläche liegt. Nur dann können wir ein Wissen besitzen, das für eine Lösung des Problems vollständig genug ist. Aus demselben Grund bieten auch jene Ansichten vom Dasein, die ausschließlich oder vorwiegend Mental und Leben betonen und als die einzige fundamentale Wirklichkeit ansehen, keine genügende Voraussetzung für ihre Anerkennung. Eine solche Bevorzugung durch ausschließende Konzentration mag zu einer fruchtbaren Forschung führen, die viel Licht auf Mental und Leben wirft, kann aber nicht im Ergebnis zu einer umfassenden Lösung des Problems führen. Es kann wohl sein, daß ausschließliche oder vorwiegende Konzentration auf das subliminale Wesen, die das vordergründige Dasein als ein bloßes System von Symbolen ansieht, um die einzige Wirklichkeit des Subliminals auszudrücken, helles Licht auf das Subliminal und seine Prozesse wirft und die Mächte des menschlichen Wesens sehr weit ausdehnt. Aber das wäre an sich noch keine vollständige Lösung; es würde uns nicht erfolgreich zum integralen Wissen von der Wirklichkeit führen. In unserer Schau ist der Geist, das Selbst, die fundamentale Wirklichkeit des Seins. Aber eine ausschließliche Konzentration auf diese fundamentale Wirklichkeit, die die Wirklichkeit von Mental, Leben oder Materie ausschließt, ausgenommen deren Betrachtung als etwas dem Selbst Aufgezwungenes oder als substanzlose Schatten des Geistes, könnte zu einer unabhängigen und radikalen spirituellen Realisation verhelfen, nicht aber zu einer integralen und gültigen Erkenntnis der Wahrheit des kosmischen und individuellen Seins.
Vollständiges Wissen muß also eine Erkenntnis der Wahrheit aller Seiten des Seins sein, jedes getrennt für sich und in der Beziehung zu den anderen und ebenso der Beziehung aller zur Wahrheit des Geistes. Unser gegenwärtiger Zustand ist Unwissenheit und ein Suchen nach vielen Seiten. Wir suchen nach der Wahrheit aller Dinge. Es muß aber -wie ersichtlich ist, aus dem Drängen und der Vielartigkeit der Spekulationen des menschlichen Mentals über die fundamentale Wahrheit, die alle übrigen Wahrheiten erklärt, und über die Wirklichkeit, die allen Dingen zugrundeliegt – diese fundamentale Wahrheit der Dinge und die ihnen zugrundeliegende Wirklichkeit in einem Wirklichen gefunden werden, das zugleich fundamental und universal ist. Wenn dies entdeckt ist, muß es alles umfassen und erklären, denn: “Wenn Jenes erkannt ist, wird alles erkannt sein.” Notwendigerweise ist das fundamental Wirkliche und enthält es in sich die Wahrheit alles Seins, die Wahrheit des Individuums, die Wahrheit des Universums und die Wahrheit von allem, was jenseits des Universums ist. Wenn das Mental nach solch einer Wirklichkeit sucht und jedes Ding von der Materie aufwärts prüft, um zu sehen, ob es nicht Dieses sein könnte, ist es seinen Weg nicht dank falscher Intuition gegangen. Allein notwendig ist nun, das Forschen bis zu seinem Ziel zu bringen und die höchsten und äußersten Höhen der Erfahrung zu prüfen.
Da wir von der Unwissenheit zum Wissen voranschreiten, mußten wir zuerst die verborgene Natur und die volle Ausdehnung der Unwissenheit entdecken. Wenn wir auf diese Unwissenheit schauen, in der wir gewöhnlich gerade aufgrund unserer gesonderten Existenz in einem materiellen, in einem räumlichen und zeitlichen Universum leben, sehen wir, daß sich diese auf ihrer verborgenen Seite, von welcher Richtung wir sie auch betrachten oder uns ihr nahen, auf die Tatsache einer vielseitigen Unwissenheit über das Selbst zurückführen läßt: Wir wissen nichts vom Absoluten, das der Ursprung alles Seins und alles Werdens ist. Darum nehmen wir partielle Tatsachen des Seienden und vergängliche Beziehungen des Werdens für die ganze Wahrheit des Seins: Das ist die erste, die ursprüngliche Unwissenheit. Wir wissen nichts von dem raumlosen, zeitlosen, unbeweglichen und unveränderlichen Selbst. Darum nehmen wir die beständige Beweglichkeit und Veränderlichkeit des kosmischen Werdens in Zeit und Raum für die ganze Wahrheit des Seins: Das ist die zweite, die kosmische Unwissenheit. Wir wissen nichts von unserem universalen Selbst, vom kosmischen Sein, dem kosmischen Bewußtsein, von unserer unendlichen Einheit mit allem Seienden und Werden. Darum nehmen wir unsere begrenzte ichhafte Mentalität, Vitalität, Körperlichkeit für unser wahres Selbst und betrachten alles andere als das Nicht-Selbst: Das ist die dritte, die ichhafte Unwissenheit. Wir wissen nichts von unserem ewigen Werden in der Zeit. Darum nehmen wir dieses kleine Leben in einer kleinen Spanne von Zeit, in einem winzigen Feld von Raum, als unseren Anfang, unsere Mitte und unser Ende: Das ist die vierte Unwissenheit, die der Zeit. Gerade innerhalb dieses kurzen, vergänglichen Werdens wissen wir nichts von unserem umfassenden und komplexen Wesen, von dem in uns, was im Verhältnis zu unserem vordergründigen Werden überbewußt, unterbewußt, innenbewußt, umweltbewußt ist. Darum nehmen wir das Werden an der Oberfläche mit seiner kleinen Auswahl von äußeren mentalisierten Erfahrungen für unser ganzes Dasein: Das ist die fünfte, die psychologische Unwissenheit. Wir wissen nichts von der wahren Konstitution unseres Werdens. Darum nehmen wir Mental oder Leben oder Körper oder zwei von diesen oder alle drei für unser wahres Prinzip oder für die ganze Summe dessen, was wir sind: Dabei verlieren wir aus dem Auge, was sie konstituiert, was sie durch seine verborgene Gegenwart bestimmt und was durch sein Hervortreten ihre Wirkweisen uneingeschränkt bestimmen soll: Das ist die sechste, die konstitutionelle Unwissenheit. Als Ergebnis all dieser Unwissenheiten verfehlen wir die wahre Erkenntnis, Lenkung und Freude unseres Lebens in der Welt. Darum wissen wir in unserem Denken und Wollen, in unserem Empfinden und Handeln nichts von den Fragen, die die Welt an uns stellt, und reagieren an jedem Punkt falsch oder unvollkommen auf sie; wir irren umher in einem Labyrinth von Irrtümern und Begehren, von Ringen und Versagen, von Schmerz und Lust, von Sünde und Straucheln, verfolgen einen krummen Weg und tasten blind nach einem wechselnden Ziel: Das ist die siebte, die praktische Unwissenheit.
Unser Begriff von der Unwissenheit wird notwendig unseren Begriff vom Wissen bestimmen und damit auch das Ziel menschlichen Strebens und den Zweck kosmischen Bemühens, da unser Leben die Unwissenheit ist, die zugleich das Wissen leugnet und danach sucht. Integrales Wissen wird also die Aufhebung der siebenfachen Unwissenheit durch die Entdeckung dessen bedeuten, was in ihr verfehlt ist und was sie nicht weiß, nämlich eine siebenfache Offenbarung des Selbsts in unserem Bewußtsein. Das bedeutet: Erkenntnis des Absoluten als des Ursprungs aller Dinge; Wissen vom Selbst, vom Geist, vom Seienden und vom Kosmos als dem Werden des Selbsts, dem Werden des Seienden und einer Manifestation des Geistes; Erkenntnis der Welt als eins mit uns im Bewußtsein unseres wahren Selbsts, wodurch wir unsere Trennung von ihm durch die trennende Idee und das Leben des Ichs aufheben; Erkenntnis unserer psychischen Wesenheit und ihrer unsterblichen Dauer in der Zeit über Tod und Erden-Dasein hinaus; Erkenntnis unseres größeren und inneren Seins hinter unserer Außenseite; Erkenntnis unseres Mentals, Lebens und Körpers in ihrer wahren Beziehung zu dem Selbst im Innern und zum überbewußten spirituellen und supramentalen Wesen über ihnen; schließlich Erkenntnis der wahren Harmonie und des rechten Gebrauchs unseres Denkens, Wollens und Handelns und eine Umwandlung unserer ganzen Natur in einen bewußten Ausdruck der Wahrheit des Geistes, des Selbsts, des Göttlichen Wesens und der vollständigen spirituellen Wirklichkeit.
Das ist aber kein intellektuelles Wissen, das gelernt und in unserer gegenwärtigen Bewußtseins-Form zur Vollendung gebracht werden kann. Es muß eine Erfahrung, ein Werden, eine Umwandlung des Bewußtseins, eine Verwandlung des Wesens sein. Das weist hin auf den evolutionären Charakter des Werdens und auf die Tatsache, daß unsere mentale Unwissenheit nur eine Stufe in unserer Evolution ist. Das integrale Wissen kann also durch eine Evolution unseres Wesens und unserer Natur Zustandekommen. Das bedeutet offenbar einen langsamen Prozeß in der Zeit, wie er die anderen evolutionären Transformationen begleitet hat. Gegen diese Schlußfolgerung steht aber die Tatsache, daß die Evolution jetzt bewußt geworden ist. Ihre Methode und ihre Stufen brauchen keineswegs denselben Charakter zu haben wie bisher, wo sie in ihrem Verlauf unterbewußt war. Da das integrale Wissen aus einer Umwandlung des Bewußtseins hervorgehen muß, kann es durch einen Prozeß gewonnen werden, in dem unser Wille und unsere Anstrengung eine Rolle spielen, in dem sie ihre eigenen Schritte entdecken und ihre Methode anwenden können. Sein Wachsen in uns kann durch bewußte Selbst-Transformation fortschreiten. Notwendig ist also, daß wir sehen, welches wahrscheinlich das Prinzip dieses neuen Prozesses der Evolution ist und welches die Bewegungen des integralen Wesens sind, die zwangsläufig daraus hervorgehen, mit anderen Worten: welches die Art des Bewußtseins ist, das die Basis des göttlichen Lebens bilden muß, und wie dieses Leben gestaltet werden oder sich selbst gestalten mag, wie es sich materialisieren oder, wie man auch sagen könnte, wie es sich “verwirklichen” mag.