Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1
Kapitel XXVII. Das siebenfache Geflecht des Seienden
In der Unwissenheit meines Gemüts frage Ich nach diesen Stufen der Götter, die im Inneren errichtet sind. Die allwissenden Götter haben das einjährige Kind genommen und sieben Garne um es gewoben, um dieses Gewebe zu machen.
Rig Veda, I.164.5
Bei unserer Erforschung der sieben großen Prinzipien des Seienden, die die Seher des Altertums als die Grundlage und siebenfältige Art alles kosmischen Daseins festlegten, haben wir jetzt die Stufenfolge von Evolution und Involution erkannt und sind bis zur Basis des Wissens gelangt, nach dem wir streben. Wir legten als Ursprung, Inhalt, anfängliche und letzte Wirklichkeit all dessen, was im Kosmos existiert, das dreieinige Prinzip von transzendentem und unendlichem Sein, Bewußtsein und Seligkeit dar, das die Art göttlichen Wesens ist. Bewußtsein hat zwei Aspekte: einen erleuchtenden und einen wirksamen, Zustand und Macht von Selbst-Erkenntnis und Zustand und Macht von Selbst-Kraft, wodurch sich das Seiende in seinem statischen Zustand wie in seiner dynamischen Bewegung selbst besitzt. Denn in seiner schöpferischen Aktion weiß es durch allmächtiges Selbst-Bewußtsein alles, was latent in seinem Inneren ist; es bringt das Universum seiner Macht-Möglichkeiten durch eine allwissende Selbst-Energie hervor und regiert es. Diese schöpferische Aktion des All-Seienden hat ihre Verknüpfung im vierten vermittelnden Zwischen-Prinzip des Supramentals oder der Real-Idee, worin ein mit Selbst-Sein und Selbst-Gewahren geeintes göttliches Wissen und ein in völligem Einklang mit diesem Wissen befindlicher substantieller Wille – denn er ist selbst in seiner Substanz und Natur jenes selbst-bewußte, in erleuchtetem Wirken dynamische Selbst-Sein – unfehlbar Bewegung, Form und Gesetz der Dinge in richtiger Übereinstimmung mit ihrer selbst-seienden Wahrheit und in Harmonie mit den Bedeutungen ihrer Manifestation entfalten.
Die Schöpfung hängt ab von dem zweieinigen Prinzip von Einheit und Vielfalt, sie bewegt sich zwischen beiden. Sie ist eine Vielfalt von Idee, Kraft und Form, die der Ausdruck ursprünglicher Einheit ist. Und sie ist ewige Einheit, die Grundlage und Wirklichkeit der vielfältigen Welten ist und ihr Spiel möglich macht. Supramental verwirklicht sich darum durch die doppelte Fähigkeit: durch verstehende und wahrnehmende Erkenntnis. Fortschreitend von der wesenhaften Einheit zu der sich daraus ergebenden Vielfalt versteht es alle Dinge in sich als sich selbst, das Eine in seinen vielfältigen Aspekten. Und es nimmt alle Dinge gesondert wahr als Gegenstände seines Willens und Wissens. Zwar sind für sein ursprüngliches Selbst-Bewußtsein alle Dinge ein einziges Wesen, ein einziges Bewußtsein, ein einziger Wille, eine einzige Seligkeit im Selbst und die ganze Bewegung der Dinge ein einziger und unteilbarer Ablauf. In seiner Aktion schreitet aber das Supramental von der Einheit fort zur Vielfalt und wieder von der Vielfalt zur Einheit und erschafft so eine geordnete Beziehung zwischen ihnen sowie den äußeren Anschein, doch keine bindende Wirklichkeit, einer Zerteilung: eine subtile, nicht-zertrennende Teilung, eher eine Abgrenzung und Bestimmung innerhalb des Unteilbaren. Das Supramental ist die göttliche Gnosis, die die Welten erschafft, regiert und in ihrem Bestehen erhält: es ist die verborgene Weisheit, die sowohl unser Wissen wie unsere Unwissenheit trägt.
Wir haben auch entdeckt, daß Mental, Leben und Materie ein dreifacher Aspekt dieser höheren Prinzipien sind, die, soweit das unser Universum betrifft, dem Prinzip der Unwissenheit untergeordnet wirken, jener vordergründigen und scheinbaren Selbstvergessenheit des Einen in seinem Spiel der Teilung und Vielfalt. In Wirklichkeit sind diese drei Prinzipien nur untergeordnete Mächte der göttlichen Vierfaltigkeit: Das Mental ist eine untergeordnete Macht des Supramentals, das sich auf die Basis der Zerteilung stellt und hier tatsächlich die dahinterstehende Einheit vergißt, obwohl es fähig ist, durch Wiedererleuchtung vom Supramental her zu ihr zurückzukehren. In ähnlicher Weise ist Leben eine untergeordnete Macht des Energie-Aspekts von saccidananda. Es ist Kraft, die die Form und das Spiel bewußter Energie vom Standpunkt der vom Mental geschaffenen Zertrennung her ausarbeitet. Materie ist die Form der Substanz des Wesens, die das Sein von saccidananda annimmt, wenn es sich dieser Aktion seines eigenen Bewußtseins und seiner Kraft in der äußeren Erscheinungswelt unterwirft.
Hinzu kommt noch ein viertes Prinzip, das an der Verbindungsstelle von Mental, Leben und Körper in Erscheinung tritt. Wir nennen es die Seele. Sie erscheint uns aber in doppelter Weise: vordergründig als die Begehren-Seele, die nach Besitz und Genuß der Dinge strebt, und dahinter, weitgehend oder völlig durch die Begehren-Seele verborgen, die wahre seelische Wesenheit, der wirkliche Speicher für die Erfahrungen des Geistes. Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß dieses vierte Prinzip im Menschen eine Projektion und Aktion des dritten göttlichen Prinzips unendlicher Seligkeit ist. Sein Wirken geschieht jedoch in den Begriffen unseres Bewußtseins und unter den Bedingungen der Seelen-Evolution in dieser Welt. Wie das Sein des Göttlichen Wesens seiner Natur nach unendliches Bewußtsein und die Selbst-Macht dieses Bewußtseins ist, so ist die Natur seines unendlichen Bewußtseins lautere unendliche Seligkeit. Besitz des Selbsts und Innesein des Selbsts sind das Wesen seiner Selbst-Seligkeit. Auch der Kosmos ist ein Spiel dieser göttlichen Selbst-Seligkeit, und die Seligkeit dieses Spiels gehört völlig dem Allumfassenden. Aber wegen des Wirkens von Unwissenheit und Zerteilung wird sie im einzelnen Menschen in dessen subliminalem und überbewußtem Wesen zurückbehalten. Sie fehlt in unserem vordergründigen Dasein. Wir müssen sie suchen, finden und in Besitz nehmen, indem wir das individuelle Bewußtsein zur Universalität und Transzendenz hin entwickeln.
Wir können also, wenn wir wollen, acht statt sieben Prinzipien aufstellen. (Die Seher des Veda sprechen von sieben Strahlen, aber auch von acht, neun, zehn oder zwölf.) Dann erkennen wir, daß unser Dasein eine Art Widerschein des göttlichen Seins ist, eine umgekehrte Ordnung von Auf- und Abstieg in folgender Reihenfolge:
Sein Materie
Bewußtseins-Kraft Leben
Seligkeit Seele
Supramental Mental
Das Göttliche Wesen kommt aus dem reinen Sein herab in das kosmische Wesen durch das Spiel von Bewußtseins-Kraft und Seligkeit sowie durch das schöpferische Medium Supramental. Wir steigen zum göttlichen Wesen empor von der Materie durch die Entwicklung von Leben, Seele und Mental sowie durch das erleuchtende Medium Supramental. Die Verknüpfung zwischen diesen beiden Hemisphären, der höheren und der niederen, parardha und aparardha, ist dort, wo Mental und Supramental zusammentreffen, mit einem Vorhang dazwischen. Bedingung für das göttliche Leben in der Menschheit ist, daß der Vorhang zerrissen wird. Denn das Mental kann sein göttliches Licht im all-umgreifenden Supramental wiedergewinnen, die Seele ihr göttliches Selbst im alles besitzenden, all-wonnevollen ananda verwirklichen, Leben seine göttliche Macht im Spiel einer allmächtigen Bewußten Kraft neu erwerben, Materie sich für ihre göttliche Freiheit als eine Form göttlichen Seins öffnen, wenn der Schleier zerrissen wird, das höhere Wesen erleuchtend in die Natur des niederen Wesens herabkommt und das niedere kraftvoll in die Art des höheren emporsteigt. Sollte es für die Evolution, die gegenwärtig ihre Krone und ihr Haupt hier im menschlichen Wesen findet, ein Ziel und nicht nur zweckloses Herumirren im Kreis und individuelle Flucht aus diesem Kreislauf geben und sollte die unendliche Machtmöglichkeit dieser menschlichen Kreatur, die allein hier zwischen Geist und Materie dasteht in der Vollmacht, zwischen beiden zu vermitteln, einen anderen Sinn haben, als zuletzt aus der Enttäuschung des Lebens aufgeweckt zu werden durch Verzweiflung und Abscheu vor dem kosmischen Bemühen und dann alles ganz abzulehnen, – muß gerade solch erleuchtende und machtvolle Umwandlung und das Hervortreten des Göttlichen Wesens in der menschlichen Kreatur jenes hoch-erhabene Ziel und jene höchste Sinnerfüllung sein.
Bevor wir uns aber den psychologischen und praktischen Bedingungen zuwenden können, unter denen eine solche verklärende Umgestaltung aus nur wesenhafter Möglichkeit zur dynamischen Macht der Verwirklichung werden kann, haben wir noch viel zu bedenken. Müssen wir doch nicht nur die wesentlichen Prinzipien der Herabkunft von saccidananda in das kosmische Dasein klar erkennen, was wir bereits getan haben, sondern auch den umfassenden Plan seiner hiesigen Ordnung und die Art und Aktion der manifestierten Macht von Bewußter Kraft, die über den Bedingungen regiert, unter denen wir jetzt existieren. Zuerst müssen wir erkennen, daß die sieben oder acht von uns untersuchten Prinzipien für die gesamte kosmische Schöpfung wesentlich sind. Sie sind hier, manifestiert oder noch nicht manifestiert, in uns selbst, in diesem “einjährigen Kind”, das wir noch sind, – denn wir sind noch weit davon entfernt, die Erwachsenen der evolutionären Natur zu sein. Die höhere Dreieinigkeit ist Ursprung und Basis allen Daseins und seines Spiels, und der gesamte Kosmos ist Ausdruck und Wirken ihrer wesenhaften Wirklichkeit. Kein Universum kann nur eine Form des Wesens sein, die absolutem Nicht-Sein entsprungen wäre, sich in einer absoluten Leere gestaltet hätte und nun dasteht vor dem Hintergrund einer nicht-seienden Öde. Das Universum muß entweder selbst eine Gestalt des Seins sein innerhalb des unendlichen Seins, das jenseits aller Gestaltung ist, oder es ist notwendigerweise selbst das All-Sein. Wenn wir unser Selbst mit dem kosmischen Wesen einen, sehen wir, daß es in Wahrheit beides zugleich ist. Das heißt, es ist der All-Seiende, der Sich Selbst ausformt in eine unendliche Reihe von Rhythmen innerhalb Seiner eigenen, alles umgreifenden Ausdehnung Seiner Selbst als Zeit und Raum. Wir sehen darüber hinaus, daß diese oder jede kosmische Aktion unmöglich ohne das Spiel einer unendlichen Kraft des Seins geschehen kann, die alle diese Formen und Bewegungen hervorbringt und lenkt. Und diese Kraft setzt genauso die Aktion eines unendlichen Bewußtseins voraus oder ist selbst diese Aktion, denn sie ist ihrer Natur nach kosmischer Wille, der alle Beziehungen bestimmt und sie durch seine Art des Erkennens wahrnimmt. Er könnte sie aber nicht so bestimmen und wahrnehmen, wenn es nicht hinter dieser Art kosmischen Erkennens ein umgreifendes Bewußtsein gäbe, damit durch es die Beziehungen des Wesens in der sich entwickelnden Gestaltung oder im Werden seiner selbst, was wir das Universum nennen, verursacht, festgehalten, fixiert und reflektiert werden.
Schließlich muß eine unermeßliche Selbst-Seligkeit Ursache, Wesen und Ziel des kosmischen Daseins sein, da Bewußtsein auf diese Weise allwissend und allmächtig, in völlig erleuchtetem Besitz seiner selbst ist und ein so erleuchteter Besitz mit Notwendigkeit und seiner wahren Natur nach Seligkeit ist (es kann nichts anderes sein). Der Seher des Altertums sagt: “Gäbe es nicht diesen allumfassenden Äther von Seins-Seligkeit, in dem wir wohnen, und wäre diese Wonne nicht unser eigener Äther, könnte niemand atmen, niemand leben.” Die Selbst-Seligkeit mag unterbewußt werden, scheinbar unserem äußeren Menschen verloren gehen, muß aber nicht nur dort an den Wurzeln unseres Wesens vorhanden, sondern alles Dasein muß dem Wesen nach das Suchen und Streben sein, diese Seligkeit zu entdecken und zu besitzen. In dem Maße, in dem sich die menschliche Kreatur im Kosmos selbst findet, muß sie zu einer Erfahrung dieser geheimen Ekstase erwachen: in Willen und Macht oder in Licht und Erkenntnis oder in Wesen und Weite oder in Liebe und Freude selbst. Freude des Wesens, Entzücken in der Realisation durch Erkenntnis, Wonne am Besitzen durch Wille und Macht oder durch schöpferische Kraft, Ekstase der Einung in Liebe und Freude, das sind die höchsten Begriffe sich ausbreitenden Lebens, denn sie sind das Wesen des Seins selbst in seinen verborgenen Wurzeln und auf seinen noch unsichtbaren Höhen. Überall, wo kosmisches Dasein sich manifestiert, müssen also diese drei hinter ihm und in ihm sein.
Aber unendliches Sein, Bewußtsein und Seligkeit brauchten überhaupt nicht in sichtbares Wesen herauszutreten; und wenn sie es tun, müßte es kein kosmisches Dasein, könnte es einfach eine Unendlichkeit von Gestaltungen sein ohne festgelegte Ordnung oder Beziehung, wenn sie nicht den vierten Begriff, das Supramental oder die göttliche Gnosis, in sich enthalten, entfalten und aus sich hervorbringen würden. In jedem Kosmos muß es eine Macht von Wissen und Willen geben, die aus einer unendlichen Potentialität feststehende Beziehungen fixiert, die Früchte aus den Saaten entfaltet, den mächtigen Rhythmus kosmischen Gesetzes ablaufen läßt und die Welten schaut und regiert als ihr unsterblicher und unendlicher Seher und Herrscher. (“Der Seher, der Denker, Er, der überall im Werden hervortritt, der Selbst-Seiende.” Isha Upanishad, 8) Diese Macht ist in Wirklichkeit nichts anderes als Er Selbst, saccidananda. Sie erschafft nichts, was nicht in ihrem Selbst-Sein enthalten ist. Aus diesem Grund ist alles kosmische und wirkliche Gesetz nichts von außen her Auferlegtes; es kommt vielmehr von innen. Alle Entwicklung ist Selbst-Entwicklung, alle Saat und ihre Früchte sind Saat einer Wahrheit der Dinge und Früchte aus dieser Saat, bestimmt durch ihre potentiellen Kräfte. Aus demselben Grund ist kein Gesetz absolut, denn nur das Unendliche ist absolut, und alles enthält in sich endlose, weit über seine determinierte Form und den festgelegten Ablauf hinausgehende Entfaltungsmöglichkeiten, die nur durch eine Selbst-Begrenzung von seiten der Idee bestimmt werden, die aus unendlicher Freiheit im Inneren hervorgeht. Diese Macht der Selbst-Begrenzung wohnt notwendigerweise in dem Grenzenlosen All-Seienden. Das Unendliche wäre nicht das Unendliche, wenn es nicht eine vielfältige Endlichkeit annehmen könnte. Das Absolute wäre nicht das Absolute, wenn ihm in Wissen, Macht, Willen und Manifestation seines Wesens eine grenzenlose Fähigkeit zur Selbst-Bestimmung versagt wäre. Dieses Supramental ist also die Wahrheit oder Real-Idee, die in aller kosmischen Kraft und Existenz eingeboren ist. Sie ist notwendig, obwohl sie selbst unendlich bleibt, um Beziehung, Ordnung und die großen Linien der Manifestation festzulegen, zu kombinieren und aufrechtzuerhalten. In der Sprache der vedischen Rishis ist dieses Supramental, ebenso wie Unendliches Sein, Bewußtsein und Seligkeit die drei erhabensten und geheimen Namen des Namenlosen sind, der vierte Name: der vierte für Jenes in seinem Herabkommen, der vierte für uns in unserem Aufstieg (turiyam svid, “ein gewisses Viertes”, auch turiyam dhama genannt, die vierte Station oder Balance der Kräfte des Seins).
Aber die niedere Trilogie Mental, Leben und Materie ist auch für alles kosmische Wesen unentbehrlich, zwar nicht unbedingt in der Form oder mit der Wirkensweise und unter den Bedingungen, die wir auf Erden oder in diesem materiellen Universum kennen, wohl aber in einer vielleicht erleuchteten, machtvollen, subtilen Art von Wirken. Denn das Mental ist im wesentlichen jene Fähigkeit des Supramentals, die mißt und begrenzt, ein besonderes Zentrum fixiert und von da aus die kosmische Bewegung und die gegenseitigen Einwirkungen darin beobachtet. Zugegeben, in einer bestimmten Welt, Ebene oder kosmischen Anordnung braucht das Mental nicht begrenzt zu sein, oder vielmehr brauchte der Mensch, der das Mental als untergeordnete Fähigkeit verwendet, nicht unfähig zu sein, die Dinge von anderen Mittelpunkten oder Standpunkten, ja vom wirklichen Zentrum des Alls her oder in der Unermeßlichkeit universaler Selbst-Ausstrahlung zu schauen. Wenn er sich aber normalerweise nicht für gewisse Zwecke göttlicher Aktivität fest auf seinen eigenen Standpunkt zu stellen vermag, wenn es nur die universale Selbst-Ausstrahlung oder unendliche Zentren ohne festlegende oder frei begrenzende Aktion für jeden einzelnen gäbe, käme kein Kosmos zustande, sondern nur ein Wesen, das in Sich Selbst, in seine Gedanken und Träume tief versunken ist, wie etwa ein schöpferischer Mensch oder ein Dichter in unbestimmter, freier, ungeformter Weise nachsinnt, bevor er an die entscheidende Arbeit der Schöpfung geht. Solch einen Zustand muß es auf der unendlichen Stufenleiter des Seins irgendwo geben, ist aber nicht das, was wir unter Kosmos verstehen. Welche Ordnung dort auch herrschen mag, es muß eine Art nicht festgelegter, nicht bindender Ordnung sein, wie sie etwa das Supramental entwickelt haben kann, bevor es sich zum Werk festgelegter Entwicklung, Abmessung und des gegenseitigen Einwirkens von Beziehungen aufmachte. Für ein solches Abmessen und gegenseitiges Einwirken ist das Mental notwendig, obwohl es dabei seiner selbst nur als einer untergeordneten Wirkungsweise des Supramentals bewußt werden mag und die gegenseitige Einwirkung von Beziehungen auf der Basis einer sich selbst einsperrenden Ichhaftigkeit entfaltet, wie wir sie in der irdischen Natur am Werke sehen.
Nachdem nun das Mental existiert, folgen Leben und Form von Substanz nach; denn Leben ist einfach die nähere Bestimmung von Kraft und Tätigkeit, von Beziehung und gegenseitiger Einwirkung der Energie aus vielen festliegenden Zentren des Bewußtseins, – festliegend, aber nicht unbedingt örtlich oder zeitlich, sondern als ständige Koexistenz von Wesen oder Seelen-Formen des Ewigen, der die kosmische Harmonie trägt und erhält. Dieses Leben mag sehr verschieden von dem Leben sein, wie wir es kennen oder begreifen. Im wesentlichen wäre aber dort dasselbe Prinzip wirksam, das wir hier als Vitalität gestaltet sehen, – das Prinzip, dem die Denker des indischen Altertums den Namen vayu oder prana, Lebens-Stoff, gaben, der substantielle Wille und die Energie im Kosmos, die sich in bestimmter Form, Aktion und bewußter Dynamik des Wesens auswirken. Auch Substanz kann sehr verschieden sein von unserer Anschauung und Empfindung eines materiellen Körpers, viel subtiler, viel weniger starr gebunden an ihr Gesetz von Selbst-Zerteilung und gegenseitigem Widerstand. Körper und Gestalt könnten Instrumente sein, kein Gefängnis. Doch wäre für das gegenseitige Einwirken im Kosmos eine gewisse Bestimmung von Form und Substanz immer notwendig, selbst wenn es nur ein mentaler Leib oder etwas noch Strahlenderes, Subtileres, noch machtvoller und freier Reagierendes wäre als der freieste mentale Körper.
Daraus ergibt sich: Wo immer Kosmos ist, kann solch ein Vordergrund, wie er vom Wesen herausgestellt wird, nur eine illusorische Verkleidung oder äußere Erscheinung seiner wirklichen Wahrheit sein, auch wenn anfangs nur eines der Prinzipien sichtbar hervortritt, und selbst wenn dieses zuerst das einzige Prinzip der Dinge zu sein scheint und alle übrigen Prinzipien, die später in der Welt hervortreten mögen, nichts anderes zu sein scheinen als dessen Form und Ergebnisse und nicht an sich selbst unentbehrlich für das kosmische Dasein. Wo auch nur ein Prinzip im Kosmos manifest ist, müssen alle übrigen nicht nur vorhanden und passiv verborgen sein, sondern insgeheim wirken. In einer gegebenen Welt mag die Stufenleiter und Harmonie des Seienden alle sieben Prinzipien in mehr oder weniger hohem Grad von Aktivität offen besitzen. In einer anderen Welt mögen sie alle in einem einzigen Prinzip involviert sein, das in dieser Welt zum primären oder fundamentalen Prinzip der Evolution wird, aber eine Evolution des Involvierten muß es dort geben. Die Evolution der siebenfältigen Macht des Wesens, die Realisation seines siebenfachen Namens, muß die Bestimmung jeglicher Welt sein, die offenkundig mit der Involution aller Mächte in eine einzige anfängt.1 Darum war das materielle Universum der Natur der Dinge nach daran gebunden, aus seinem verborgenen Leben ein sichtbares Leben, aus seinem verborgenen Mental ein sichtbares Mental zu entwickeln. Es muß derselben Art der Dinge nach in der Evolution von seinem verborgenen Supramental zum sichtbaren Supramental und vom im Inneren verborgenen Geist zur dreieinigen Herrlichkeit von saccidananda fortschreiten. Die einzige Frage ist, ob die Erde der Schauplatz für dieses Hervortreten und das menschliche Geschöpf sein Instrument und Träger auf diesem oder einem anderen materiellen Schauplatz, in diesem oder einem anderen Zyklus des unermeßlichen Kreislaufs der Zeit sein soll. Die Seher des Altertums glaubten an diese Möglichkeit für den Menschen und hielten das für seine göttliche Bestimmung. Der moderne Denker faßt nicht einmal diesen Gedanken, oder er negiert oder bezweifelt ihn, wenn er auftaucht. Hat er die Vision des Übermenschen, ist dieser nur Träger höherer Grade von Mentalität oder Vitalität. Er gibt nicht zu, daß ein anderer Typus auftauchen kann, schaut nicht über die jetzigen Prinzipien hinaus, denn diese haben uns bis jetzt Begrenzung und Kreislauf auferlegt. Es wohnt aber in dieser fortschreitenden Welt mit diesem menschlichen Geschöpf, in dem der göttliche Funke entzündet wurde, die wirkliche Weisheit wahrscheinlich eher bei dem höheren Streben als bei der Verneinung dieses Strebens und der Hoffnung, die sich selbst begrenzt und einschränkt innerhalb jener engen Mauern sichtbarer Möglichkeiten, die uns doch nur Zwischenstation, Heim für unsere Übung sind. In der spirituellen Ordnung der Dinge ist die Wahrheit, die auf uns herabzukommen bereit ist, um so größer, je höher wir unseren Blick und unser Streben richten, da diese Wahrheit schon hier in uns existiert und nach ihrer Befreiung aus der Umhüllung verlangt, die sie in der geoffenbarten Natur verborgen hält.
1 In einer gegebenen Welt brauchte es keine Involution zu geben, sondern alle übrigen Prinzipien könnten einem einzigen untergeordnet oder in ihm enthalten sein. In einer solchen Weltordnung ist Evolution nicht notwendig.