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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel XXV. Der Knoten der Materie

Ich kann mich nicht mittels der Gewalt oder der Dualität zur Wahrheit des lichten Herrn hinbewegen... Wer sind die, die das Fundament der Falschheit schützen? Wer sind die Wächter des unwirklichen Wortes?

Damals gab es kein Sein und kein Nicht-Sein, die Mittelwelt war nicht, noch der Äther, noch was jenseits ist. Was bedeckte alles? Wo war es? In wessen Zuflucht? Was war jener dichte und tiefe Ozean? Es gab weder Tod noch Unsterblichkeit, noch das Wissen von Tag und Nacht. Jenes Eine lebte ohne Atem durch sein Selbst-Gesetz, es gab weiter nichts und auch nichts jenseits davon. Am Anfang war Finsternis verborgen durch Finsternis, all dies war ein Ozean von Nicht-Bewußtheit. Als das universale Wesen durch Zersplitterung verhüllt wurde, da wurde durch die Macht seiner Energie Jenes Eine geboren. Dieses regte sich zuerst als Begehren im Innern; das war die Anfangs-Saat des Mentalen. Die Seher der Wahrheit entdeckten den Aufbau des Seienden im Nicht-Seienden durch einen Willen im Herzen und durch die Gedanken; deren Strahl dehnte sich horizontal aus. Aber was gab es unterhalb davon, und was gab es darüber? Es gab die, die säen, es gab Hoheiten, es gab unten das Selbst-Gesetz, es gab den Willen darüber.

Rig Veda, V.12.2,4; X.129.1-5.

Ist also der Schluß, zu dem wir gekommen sind, korrekt - und es ist bei den Gegebenheiten, aufgrund deren wir arbeiten, nichts anderes möglich–, dann hat die scharfe Trennung, geschaffen zwischen Geist einerseits und Materie andererseits durch praktische Erfahrung und lange Gewohnheit des Mentals, keine grundlegende Realität mehr. Die Welt ist eine Einheit in Verschiedenheit, ein mannigfaltiges Einssein. Sie ist kein ständiger Versuch zu einem Kompromiß zwischen ewigen Disharmonien, kein fortdauernder Kampf zwischen unversöhnlichen Gegensätzen. Ein unabänderliches Einssein, das unendliche Verschiedenheit erzeugt, ist ihr Fundament und Anfang. In der Mitte scheint ihr wirklicher Charakter hinter offensichtlicher Zertrennung und Kampf ständige Aussöhnung zu sein, die alle möglichen grundverschiedenen Dinge zu gewaltigen Zwecken in einem geheimen Bewußtsein und Willen kombiniert, der stets ein einziger Wille und Herr seiner gesamten eigenen komplexen Aktion ist. Wir müssen also vermuten, daß eine Erfüllung des hervortretenden Willens und Bewußtseins und eine triumphierende Harmonie der Zielgedanke der Welt ist. Substanz ist die Form dieses Bewußtseins, auf die es einwirkt. Von dieser Substanz ist Materie das eine Ende, Geist das andere. Beide sind eins: Geist ist die Seele und Wirklichkeit dessen, was wir mit den Sinnen als Materie erfahren, Materie ist Form und Körper dessen, was wir als Geist realisieren.

Gewiß gibt es einen großen praktischen Unterschied. Auf ihn sind die ununterbrochene Reihe und ständig emporsteigenden Grade des Welt-Daseins gegründet. Wir sagten: Substanz ist bewußtes Sein, das sich den Sinnen als Objekt darbietet, so daß das Werk der Welt-Gestaltung und der kosmischen Progression auf der Grundlage der jeweils vollzogenen Sinnen-Beziehung voranschreiten kann. Es braucht aber nicht nur eine einzige Basis zu geben, nicht nur ein fundamentales Prinzip der Beziehung, die zwischen Sinnen und Substanz unveränderlich geschaffen wäre. Im Gegenteil, es gibt eine aufsteigende und sich entwickelnde Reihe. Wir gewahren eine andere Substanz, in der reines Mental als in seinem natürlichen Medium wirkt, die weit subtiler, flexibler, plastischer ist als alles, was unsere physischen Sinne als Materie erfassen können. Wir können von einer Mental-Substanz sprechen, weil wir eines subtileren Mediums gewahr werden, in dem Formen entstehen und Wirken stattfindet. Wir können auch von einer Substanz reiner dynamischer Lebens-Energie sprechen, die anders ist als die subtilsten Formen materieller Substanz und deren physisch empfindbare Kraftströmungen. Geist selbst ist reine Substanz des Seienden, die sich nicht mehr physischen, vitalen oder mentalen Sinnen als Objekt darbietet, sondern dem Licht einer rein spirituell wahrnehmenden Erkenntnis, in der das Subjekt zu seinem eigenen Objekt wird, d. h. in der das Zeitlose und flaumlose seiner selbst innewird in einer rein spirituell sich selbst begreifenden Selbst-Ausdehnung als der Basis und des Ur-Materials allen Daseins. Jenseits dieser Grundlage verschwindet alle bewußte Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt in absoluter Identität; dort können wir nicht mehr von Substanz sprechen.

Darum ist es ein rein begrifflicher – ein spirituell, jedoch nicht mental begrifflicher – Unterschied, der zu jener praktischen Unterscheidung führt, die den Stufengang erschafft, der vom Geist durch das Mental hinab zur Materie führt und wieder empor von der Materie durch das Mental zum Geist. Das wirkliche Einssein wird aber niemals aufgehoben. Wenn wir zur ursprünglichen und integralen Betrachtung der Dinge kommen, sehen wir, daß die Einheit niemals wirklich vermindert oder eingeschränkt war, selbst nicht in den gröbsten Verdichtungen der Materie. Brahman ist nicht nur die Ursache, fördernde Macht sowie das innewohnende Prinzip des Universums, es ist auch sein Material, sein einziges Material. Auch Materie ist brahman, sie ist nichts anderes und nicht verschieden von ihm. Wäre Materie tatsächlich vom Geist abgeschnitten, so wäre das nicht so. Sie ist aber, wie wir gesehen haben, nur eine abschließende Form und ein objektiver Aspekt des Göttlichen Seins, wobei die Allheit Gottes stets in ihr und hinter ihr gegenwärtig ist. So wie diese scheinbar grobe und träge Materie überall und immer durchdrungen wird von einer mächtigen, dynamischen Kraft des Lebens, so wie dieses dynamische, aber scheinbar unbewußte Leben in sich ein immer wirkendes, nicht sichtbares Mental verborgen trägt, von dessen geheimen Vorgängen es die sichtbare Energie ist, so wie dieses unwissende, unerleuchtete und tastende Mental im lebenden Körper von seinem eigenen wirklichen Selbst, vom Supramental, gefördert und souverän gelenkt wird, das in gleicher Weise auch in der nicht-mentalisierten Materie vorhanden ist so sind die gesamte Materie ebenso wie alles Leben, Mental und Supramental nur Erscheinungsweisen des brahman, des Ewigen, des Geistes, des saccidananda, der nicht nur in ihnen allen wohnt, sondern der alle diese Dinge ist, wenn auch kein einziges von ihnen Sein absolutes Sein ausmacht.

Aber es gibt eben diese begriffliche Verschiedenheit, diese praktische Unterscheidung. In ihr scheint die Materie, auch wenn sie nicht wirklich vom Geist abgeschnitten ist, doch praktisch so eindeutig abgetrennt, so verschieden, in ihrem Gesetz so entgegengesetzt, und das materielle Leben scheint so sehr die Negation alles spirituellen Seins zu sein, daß die Ablehnung dieses materiellen Lebens als der einzige Abkürzungsweg aus der Schwierigkeit erscheint – wie er es zweifellos auch ist. Aber ein Abkürzungsweg oder ein Kurzschluß ist keine Lösung. Immerhin liegt in der Materie zweifellos die Hauptschwierigkeit. Sie verursacht das Hindernis: Wegen der Materie ist Leben grob, begrenzt und von Tod und Leid befallen. Wegen der Materie ist das Mental mehr als halb-blind, seine Flügel sind beschnitten, seine Füße an das Gestänge des engen Käfigs gekettet. So wird es zurückgehalten von der Weite und Freiheit droben, deren es bewußt ist. Darum ist der ausschließlich nach dem Geist Suchende von seinem Gesichtspunkt aus gerechtfertigt, wenn er, angewidert vom Schlamm der Materie, abgestoßen durch die tierhafte Grobheit des Lebens oder ungeduldig wegen der Enge der Selbst-Gefangenschaft und dem nach unten gerichteten Blick des Mentals, entschlossen ist, aus all dem auszubrechen und durch Inaktivität und Schweigen in die bewegungslose Freiheit des Geistes zurückzukehren. Das ist jedoch nicht der einzige Gesichtspunkt. Wir brauchen ihn auch nicht deshalb als die integrale und höchste Weisheit zu betrachten, weil er durch leuchtende, goldene Vorbilder in hohen Ehren gehalten und verherrlicht worden ist. Vielmehr wollen wir uns von aller Leidenschaft und Auflehnung befreien, den Sinn dieser göttlichen Ordnung des Universums erforschen und gerade wegen dieser schwierigen Verknotung und Verwirrung im Gewebe einer Materie, die den Geist verleugnet, die einzelnen Fäden untersuchen, sie voneinander trennen und durch eine andere Lösung entwirren als dadurch, daß wir den Knoten mit Gewalt durchschneiden. Wir müssen zuerst die Schwierigkeit dieses Gegensatzes völlig, haargenau, notfalls eher übertrieben als abgemildert, feststellen und uns dann nach einem Ausweg umschauen.

Der fundamentale Widerspruch, den die Materie dem Geist entgegensetzt, liegt zunächst darin, daß sie der höchste Grad des Prinzips der Unwissenheit ist. Hier hat Bewußtsein sich in eine Form seiner Werke verloren und seines Selbsts so vergessen, wie etwa ein Mensch, der in eine Sache äußerst vertieft ist, nicht nur vergessen könnte, wer er ist, sondern daß er überhaupt existiert, so daß er zeitweilig ganz zu dem Werk werden kann, das gerade ausgeführt wird, und zu der Kraft, die es bewirkt. Es scheint, als ob der selbst-erleuchtete Geist, der seiner selbst hinter allem Wirken der Kraft unendlich bewußt und ihr Meister ist, verschwunden sei und überhaupt nicht existiere. Vielleicht ist Er irgendwo, hat scheinbar aber nur eine rohe, unbewußte, materielle Kraft zurückgelassen, die immerzu erschafft und zerstört, ohne sich selbst zu erkennen, noch um das zu wissen, was sie schafft oder warum sie es überhaupt erschafft oder weshalb sie es sofort wieder zerstört, wenn sie es erschaffen hat: Sie weiß das nicht, denn sie hat kein Mental. Sie kümmert sich nicht darum, denn sie hat kein Herz. Das ist zwar nicht die wirkliche Wahrheit, gerade nicht des materiellen Universums, da hinter dieser täuschenden Erscheinungswelt ein Mental, ein Wille, ja noch etwas Größeres steht als das Mental oder mentaler Wille. Doch stellt das materielle Universum dem Bewußtsein, das in ihm aus seiner Nacht emportaucht, zunächst gerade dieses finstere Scheinbild als Wahrheit hin. Sollte es aber nicht Wahrheit sondern Lüge sein, ist es doch eine höchst effektive Lüge, denn sie bestimmt entscheidend die Bedingungen unseres phänomenalen Daseins und bedrängt all unser Sehnen und Bemühen.

Es ist das schauerliche, schreckliche, erbarmungslose Mirakel des materiellen Universums, daß aus diesem Nicht-Mental ein Mental, zumindest Mentalfunktionen hervortreten, die inmitten jener weitverbreiteten Unwissenheit existieren, welche das Gesetz des Universums ist, die nun schwächlich nach Licht ringen, individuell hilflos und nur dann weniger hilflos sind, wenn sie zur Selbstverteidigung ihre individuelle Schwäche zu Gemeinschaften organisieren. Aus dieser herzlosen Nicht-Bewußtheit und innerhalb ihrer unerbittlichen Jurisdiktion wurden Herzen geboren, voller Sehnsucht, gequält und unter der Last der blinden, gefühllosen Grausamkeit dieses eisernen Daseins blutend, einer Grausamkeit, die ihnen ihr Gesetz auferlegt und in ihrem Empfindungsvermögen fühlbar wird als brutal, wild, schauerlich. Was aber ist im Grunde hinter den Erscheinungen dieses scheinbaren Geheimnisses? Wir können erkennen, daß es das Bewußtsein ist, das sich selbst verloren hatte, das nun wieder zu sich selbst zurückkehrt, das langsam und schmerzvoll aus dieser riesenhaften Selbst-Vergessenheit als Leben auftaucht, das empfindend sein möchte, das halb-empfindend, dumpf empfindend ist, ganz empfindet und schließlich danach ringt, mehr als nur empfindend zu sein, das wieder in göttlicher Art seiner selbst bewußt, frei, unendlich, unsterblich werden will. Bis dahin muß es aber weiter unter einem Gesetz wirken, das das Gegenteil von alledem ist, unter den Bedingungen der Materie, d. h. also gegen die Gewalt der Unwissenheit. Die Bewegungen, denen es folgen, die Werkzeuge, die es verwenden muß, sind für es von dieser groben und zerteilten Materie verfertigt und legen ihm bei jedem Schritt Unwissenheit und Beschränkung auf.

Der zweite fundamentale Widerspruch der Materie gegen den Geist ist ihre äußerste Gebundenheit an ein mechanisches Gesetz und ihr Widerstand gegen alles, was sich zu befreien sucht, in Gestalt kolossaler Trägheit. Nicht, daß Materie an sich träge wäre. Sie ist vielmehr unendliche Bewegung, unfaßbare Kraft und schrankenlose Aktion, deren grandiose Bewegungen unsere ständige Bewunderung verdienen. Während aber Geist frei ist, Herr seiner selbst und seiner Werke, nicht durch sie gebunden, Schöpfer des Gesetzes und nicht sein Untertan, ist diese riesenhafte Materie durch ein festes mechanisches Gesetz streng an Ketten gelegt. Das Gesetz ist ihr aufgezwungen, sie versteht es nicht, noch hat sie es je begriffen. Vielmehr arbeitet sie ohne Bewußtheit, wie eine Maschine schafft, die nicht weiß, wer sie geschaffen hat, durch welche Abläufe sie wirkt und zu welchem Ziel. Wenn dann Leben erwacht und die physische Form und materielle Kraft zu beherrschen und alle Dinge nach seinem Willen und für seine Bedürfnisse zu verwenden sucht und wenn später Mental bewußt wird und das Wer, das Warum und das Wie seiner selbst und aller Dinge zu erkennen sucht und vor allem sein Wissen dazu verwenden will, das eigene, freiere Gesetz und sein vom Selbst gelenktes Wirken den Dingen aufzuerlegen, scheint die materielle Natur zunächst nachzugeben, sogar zuzustimmen und zu helfen, wenn auch erst nach Kampf, widerstrebend und nur bis zu einem gewissen Punkt. Jenseits dessen aber widersetzt sich Materie mit hartnäckiger Trägheit, Obstruktion und Negation und überzeugt sogar Leben und Mental, daß sie nicht weitergehen und ihren Teilsieg nicht bis zum Ende ausfechten können. Leben kämpft darum, sich auszuweiten, zu verlängern, und hat einen gewissen Erfolg. Wenn es aber seine äußerste Weite und die Unsterblichkeit sucht, stößt es auf die eiserne Obstruktion der Materie und findet sich an die Enge und an den Tod gefesselt. Das Mental versucht, dem Leben zu helfen. Es will dabei seinen eigenen Impuls erfüllen, alle Erkenntnis zu umfassen, alles Licht zu werden, Wahrheit zu besitzen und Wahrheit zu sein, Liebe und Freude regieren zu lassen und Liebe und Freude zu sein. Es gibt aber stets das Abgleiten vom Weg, Irrtum und Grobheit der materiellen Lebensinstinkte und die Verneinung und Behinderung der materiellen Sinne und physischen Werkzeuge. Immer verfolgt Irrtum seine Erkenntnis. Finsternis ist der unzertrennliche Gefährte und Hintergrund seines Lichts. Wahrheit wird mit Erfolg gesucht. Sie hört aber auf, Wahrheit zu sein, wenn sie gerade ergriffen ist, und das Suchen muß weitergehen. Es gibt Liebe, aber sie kann keine wahre Befriedigung finden. Freude ist da, sie kann sich aber nicht rechtfertigen. Beide schleppen als Ketten hinter sich her oder werfen als ihren Schatten, was ihr eigener Gegensatz ist: Zorn und Haß, Gleichgültigkeit, Überdruß, Kummer und Schmerz. Die Trägheit, mit der die Materie auf die Forderungen von Mental und Leben antwortet, verhindert den Sieg über die Unwissenheit und über die brutale Kraft, die die Macht der Unwissenheit ist.

Wollen wir wissen, warum das so ist, erkennen wir, daß der Erfolg dieser Trägheit und Behinderung von einer dritten Macht der Materie herrührt. Der dritte fundamentale Widerspruch, den Materie gegen den Geist erhebt, liegt darin, daß Materie in höchstem Grade das Prinzip von Zerteilung und gegenseitigem Kampf ist. Obwohl in Wirklichkeit unteilbar, ist gerade die Teilbarkeit ihre ganze Aktions-Basis, von der je abzuweichen ihr verboten zu sein scheint. Denn ihre beiden einzigen Methoden zur Vereinigung sind entweder der Zusammenschluß von Einheiten oder eine Angleichung, die die Zerstörung der einen Einheit durch die andere voraussetzt. Diese beiden Methoden zur Einung sind ein Bekenntnis zur ewigen Zerteilung, da auch die erstere eher äußerlich zusammenfügt als wirklich vereinigt und durch ihr eigenes Prinzip die ständige Möglichkeit und deshalb letztlich die Notwendigkeit von Trennung des Verbundenen und seine Auflösung zugibt. Beide Methoden beruhen auf Tod. Die eine verwendet ihn als Mittel zum Leben, die andere als dessen Bedingung. Beide setzen für die Welt-Existenz ständigen gegenseitigen Kampf der zerteilten Einheiten voraus. Jede ist bemüht, sich durchzusetzen, ihre Zusammenschlüsse aufrechtzuerhalten, das zu zwingen oder zu zerstören, was sich ihr widersetzt, es in sich hineinzunehmen, anderes Leben als Nahrung zu verzehren. Dabei sind aber die zerteilten Einheiten zur Revolte gegen jeden Zwang, gegen Zerstörung und Angleichung durch Verschlingen sowie zur Flucht vor alledem getrieben. Wenn das vitale Prinzip mit seinen Aktivitäten in der Materie hervortritt, findet es dort für sein gesamtes Wirken nur diese Basis vor und ist gezwungen, sich unter das Joch zu beugen. Es muß das Gesetz von Tod, Begehren, Einschränkung und diesen ständigen Kampf akzeptieren, zu verzehren, zu besitzen, zu herrschen, was wir als den ersten Aspekt des Lebens kennen. Wenn das mentale Prinzip sich in der Materie offenbart, muß es von Form und Material her, in denen es wirkt, dasselbe Prinzip der Beschränkung akzeptieren. Es muß suchen ohne gesichertes Finden. Es muß ständig verbinden und das Auseinanderfallen seiner Gewinne und der Bestandteile seiner Werke erfahren. So scheint es, daß die vom Menschen, dem mentalen Wesen, gewonnene Erkenntnis niemals endgültig ist, frei von Zweifeln und Verleugnung. Sein ganzes Mühen scheint dazu verurteilt, in einem Rhythmus von Aktion und Reaktion, von Machen und Rückgängigmachen, in Zyklen von Erschaffen, kurzem Erhalten und langer Zerstörung zu verlaufen ohne einen bestimmten und gesicherten Fortschritt.

Besonders und höchst verhängnisvoll ist es, daß Unwissenheit, Trägheit und Zerteilung der Materie dem in ihr hervortretenden vitalen und mentalen Dasein das Gesetz von Schmerz und Leiden aufzwingen, die Unruhe und Unzufriedenheit mit ihrem Status von Zerteilung, Trägheit und Unwissenheit. Unwissenheit an sich würde zu keinem Leiden der Unzufriedenheit führen, wenn das mentale Bewußtsein völlig unwissend wäre, wenn es in einer Gewohnheits-Schale steckenbleiben könnte, ohne daß es seiner eigenen Unwissenheit bewußt wird, oder wenn es nichts ahnen würde von dem unendlichen Meer von Bewußtsein und Erkenntnis, das sein Leben umgibt. Aber gerade zu diesem Ahnen erwacht das in der Materie hervortretende Bewußtsein. Zuerst fühlt es seine Unkenntnis der Welt, in der es lebt und die es erkennen und beherrschen muß, um glücklich zu sein. Zweitens wacht in ihm die Erkenntnis auf, wie öde und beschränkt letztlich dieses Wissen ist, wie mager und unsicher die Macht und das Glück sind, die es einbringt. So tritt in ihm das unendliche Bewußtsein, ein Wissen und wahres Wesen hervor, in dem allein es überlegenes, unendliches Glück finden könnte. Auch die Behinderung durch Trägheit würde keine Unruhe und Unzufriedenheit mit sich bringen, wenn das vitale, in der Materie auftauchende Empfinden völlig träge wäre, wenn es zufrieden gehalten werden könnte mit seinem eigenen halb-bewußten, begrenzten Dasein, ohne dessen gewahr zu werden, daß es eine unendliche Macht und ein unsterbliches Sein gibt, worin es als dessen Teil und doch getrennt von ihm lebt; oder wenn es nichts in sich besäße, das es zu dem Bemühen antreibt, wirklich an dieser Unendlichkeit und Unsterblichkeit teilzunehmen. Aber gerade das zu suchen und zu fühlen, wird alles Leben von Anfang an getrieben. Es fühlt seine Unsicherheit sowie die Notwendigkeit zu überdauern und den Kampf um seine Erhaltung und Selbst-Bewahrung. So werden dem Leben schließlich die Grenzen seines Daseins bewußt, und es fühlt immer mehr den Antrieb, Weite und Dauer, das Unendliche und das Ewige zu gewinnen.

Wenn das Leben im Menschen völlig selbst-bewußt wird, erreicht dieses unvermeidliche Ringen, Mühen und Sehnen seinen Höhepunkt. Leid und Zwietracht der Welt werden zu brennend empfunden, als daß sie noch geduldig ertragen werden könnten. Der Mensch mag sich lange Zeit beruhigen, indem er sich mit seinen Beschränkungen abzufinden sucht oder seinen Kampf auf so viel Herrschaft begrenzt, als er über die von ihm bewohnte materielle Welt gewinnen kann, auf einen gewissen physischen oder mentalen Sieg seiner progressiven Erkenntnis über das, was in seinem Unbewußten fixiert ist, auf einen Sieg seines kleinen konzentrierten bewußten Willens und dessen Macht über seine dumpf-getriebenen schauerlichen unbewußten Kräfte. Aber auch hier stößt er auf Beschränkung, auf den armseligen Mangel an Beweiskraft auch der besten Ergebnisse, die er erzielen kann. So ist er gezwungen, darüber hinauszuschauen. Das Endliche in ihm kann sich nicht auf die Dauer zufriedengeben, solange es einer Endlichkeit bewußt wird, die umfassender ist als es, oder eines Unendlichen jenseits von ihm, nach dem es weiterstreben kann. Und selbst wenn das Endliche so zufriedengestellt werden könnte, kann doch das nur scheinbar endliche Wesen, das sich als ein in Wirklichkeit unendliches fühlt, oder das einfach die Gegenwart, den Impuls oder das Drängen eines Unendlichen in seinem Inneren empfindet, nie zufrieden werden, ehe nicht diese beiden ausgesöhnt sind, ehe es nicht das Unendliche besitzt oder in gewissem Grad und Maß dessen Eigentum ist. Der Mensch ist solch eine endlich scheinende Unendlichkeit. Er kommt nicht um das Suchen nach der Unendlichkeit herum. Er ist der erstgeborene Sohn der Erde, der unbestimmt des Gottes in seinem Inneren, seiner Unsterblichkeit oder seines Bedürfnisses nach Unsterblichkeit bewußt wird. Sein Suchen nach Erkenntnis ist eine Peitsche, die ihn vorwärtstreibt, ist wie ein Kreuz, an das er geschlagen wird, bis er es in eine unerschöpfliche Quelle von Licht, Freude und Macht umwandeln kann.

Diese fortschreitende Entwicklung, diese wachsende Offenbarung göttlichen Bewußtseins, diese Manifestation von Kraft, Wissen und Willen, die sich in die Unwissenheit und Trägheit von Materie verloren hatte, könnte wohl ein glückliches Aufblühen sein, das von Freude zu größerer, zuletzt unendlicher Freude weitergeht, wenn es nicht das Prinzip der strengen Zerteilung gäbe, von dem Materie ausgegangen ist. Weil der Einzelne in seinem persönlichen Bewußtsein eines abgesonderten und begrenzten Mentals, Lebens und Körpers eingeschlossen ist, wird verhindert, was sonst das natürliche Gesetz unserer Entwicklung wäre. Dadurch kommt in den Körper das Gesetz von Anziehung und Abstoßung, von Verteidigung und Angriff, von Zwietracht und Schmerz. Da jeder Körper eine begrenzte bewußte Kraft ist, fühlt er sich dem Angriff, der Einwirkung, dem gewalttätigen Kontakt einer anderen ebenso begrenzten bewußten Kraft oder universaler Kräfte ausgesetzt. Wo er den Einbruch dieser Kräfte fühlt oder unfähig ist, das auf ihn einwirkende und sein empfangendes Bewußtsein miteinander zu harmonisieren, erleidet er Unbehagen und Schmerz, wird er angezogen oder zurückgestoßen, muß er sich verteidigen oder angreifen. Immer steht er unter der Forderung, das auf sich zu nehmen, was er nicht erleiden will oder kann. Im Mental der Gefühle und im Sinnen-Mental ruft das Gesetz der Zerteilung dieselben Reaktionen hervor. Hier sind es die höheren Werte von Kummer und Freude, Liebe und Haß, Unterdrückung und Niedergeschlagenheit, die alle in Begriffen des Verlangens ausgeprägt werden. Durch Verlangen werden sie in Anstrengung und Bemühen umgeformt, durch die Anstrengung in ein Übermaß und einen Mangel an Kraft, in Unfähigkeit, in den Rhythmus von Erfolg und Enttäuschung, Besitzen und Zurückweichen und in ständiges Ringen, Unruhe und Verdrießlichkeiten. In das Mental als Ganzes bringt dieses Prinzip der Zerteilung nicht ein göttliches Gesetz, demgemäß eine weniger umfassende Wahrheit in eine umfassendere Wahrheit einströmt, schwächeres Licht in helleres Licht emporgehoben, ein niederer Wille einem höheren, ihn transformierenden Willen unterworfen wird und eine dürftige Befriedigung fortschreitet zu edlerer und vollständigerer Zufriedenheit. Vielmehr bringt dieses Gesetz ähnliche Dualitäten mit sich: Wahrheit wird verfolgt von Irrtum, Licht von Finsternis, Macht von Unfähigkeit, Freude am Erstreben und Erlangen vom Schmerz des Mißerfolgs und der Unzufriedenheit mit dem Erreichten. Zusammen mit dem Kummer von Leben und Körper nimmt das Mental seine Anfechtungen auf sich und wird des dreifachen Mangels und Ungenügens unseres natürlichen Wesens inne. All das bedeutet die Verleugnung von ananda, die Verneinung der Trinität von saccidananda und schließlich, wenn die Verneinung unüberwindlich sein sollte, Sinnlosigkeit des Daseins. Wenn sich das Sein nach außen hin in das Spiel von Bewußtsein und Kraft verausgabt, muß es diese Bewegung nicht nur für sich selbst suchen, sondern in diesem Spiel auch Befriedigung finden. Wenn im Welten-Spiel keine wahre Befriedigung gefunden werden kann, muß es offensichtlich zuletzt aufgegeben werden als eitler Versuch, gewaltiger Fehler, Fieberwahn des sich verkörpernden Geistes.

Das ist die ganze Grundlage der pessimistischen Weltanschauung -sie ist vielleicht optimistisch im Blick auf jenseitige Welten und Zustände, aber pessimistisch bezüglich des irdischen Lebens und des Schicksals des mentalen Menschen in seinen Beziehungen zum materiellen Universum. Denn sie versichert: Es sei eitel Selbsttäuschung, für das Welt-Spiel ein Ziel, eine göttliche Absicht und höchste Erfüllung zu suchen, da der wahre Charakter des materiellen Daseins Zerteilung ist. Der wirkliche Kern des verkörperten Mentals sei Selbst-Beschränkung, Unwissenheit und Egoismus. Nur in einem Himmel des Geistes, nicht in der Welt, oder höchstens in der wahren Stille des Geistes, nicht aber in dessen Aktivitäten in der Erscheinungswelt könnten wir wieder Sein und Bewußtsein mit der göttlichen Selbst-Seligkeit vereinigen. Das Unendliche könne sein Selbst nur dadurch wiedergewinnen, daß es den Versuch, sein Selbst im Endlichen zu finden, als Irrtum und falschen Schritt verwerfe. Auch könne das Hervortreten eines mentalen Bewußtseins im materiellen Universum keine Verheißung göttlicher Erfüllung mit sich bringen. Denn das Prinzip der Zerteilung gehöre nicht eigentlich der Materie an sondern dem Mental. Materie sei nur eine Illusion des Mentals. Das Mental führe sein Gesetz der Zerteilung und Unwissenheit in die Materie ein. Darum könne das Mental innerhalb dieser Illusion nur sich selbst finden. Es könne nur zwischen den drei Begriffen des von ihm geschaffenen zerteilten Daseins herumirren. Hier könne es weder die Einheit des Geistes noch die Wahrheit des spirituellen Seins finden.

Nun trifft zwar zu: das Prinzip der Zerteilung in der Materie kann nur eine Schöpfung des zerteilten Mentals sein, das sich ins materielle Dasein hinabgelassen hat. Denn dieses materielle Dasein hat kein Selbst-Sein, es ist kein ursprüngliches Phänomen, sondern eine von einer alles zerteilenden Lebens-Kraft erschaffene Form, die die Konzeptionen eines alles zerteilenden Mentals ausarbeitet. Indem das zerteilende Mental das Wesen in diesen Erscheinungen der Unwissenheit, Trägheit und Zerteilung von Materie herausarbeitet, hat es sich selbst verloren und in ein von ihm geschaffenes Verließ eingesperrt, wo es in selbst-geschmiedeten Ketten gebunden ist. Sollte es wahr sein, daß das zerteilende Mental das erste Prinzip der Schöpfung ist, müßte es ebenso auch die letzt-mögliche Errungenschaft in der Schöpfung sein: Und dann wäre das mentale Wesen, das vergebens mit Leben und Mental ringt, diese nur bewältigt, um selbst von ihnen überwältigt zu werden, und das ewig einen ergebnislosen Rundlauf wiederholt, auch das letzte und höchste Wort kosmischen Seins. Aber keine solche Konsequenz ergibt sich. Im Gegenteil, es ist der unsterbliche, unendliche Geist, der sich selbst in das dichte Gewand materieller Substanz eingehüllt hat und dort durch die höchste schöpferische Macht des Supramentals wirkt. Es läßt die Zerteilung des Mentals und die Herrschaft des niedersten oder materiellen Prinzips nur als anfängliche Voraussetzungen für ein gewisses evolutionäres Spiel des Einen in den Vielen zu. Wenn, mit anderen Worten, nicht nur ein mentales Wesen in den Formen des Universums verborgen ist sondern das unendliche Wesen, Wissen und Wollen und wenn dieses aus der Materie zuerst als Leben und dann als Mental hervortritt und alles übrige von ihm noch gar nicht geoffenbart ist, muß das Emportauchen von Bewußtsein aus dem scheinbaren Nicht-Bewußten auf andere und vollkommenere Art begriffen werden. Das Erscheinen eines supramentalen spirituellen Wesens, das seinem mentalen, vitalen und körperlichen Wirken ein höheres Gesetz als das des zerteilenden Mentals auferlegt, ist nicht mehr unmöglich. Im Gegenteil, es ist das natürliche, unvermeidliche Schlußergebnis der Eigenart kosmischen Seins.

Ein solches supramentales Wesen würde, wie wir gesehen haben, das Mental aus der Verknotung durch sein zerteiltes Dasein befreien und die Individualisierung des Mentals lediglich als mögliche untergeordnete Aktion des alles umfassenden Supramentals verwenden. Ebenso würde es das Leben aus der Verknotung seines zerteilten Daseins befreien und die Individualisierung des Lebens lediglich als nützliche untergeordnete Aktion der Einen Bewußten Kraft verwenden, die ihr Wesen und ihre Freude in einer unterschiedlichen Einheit zur Erfüllung bringt. Gibt es dann einen Grund, daß der Mensch nicht auch das körperliche Dasein von dem jetzigen Gesetz des Todes, der Zerteilung, des gegenseitigen Verzehrens befreien und die Individualisierung des Körpers lediglich als untergeordneten Begriff des einen göttlichen Bewußten Seins für die Freude des Unendlichen an der Endlichkeit dienstbar machen sollte? Warum sollte dieser Geist nicht in seiner souveränen Verfügung über die Form frei und auch im Wandel seines Gewandes aus Materie bewußt unsterblich, Besitzer seiner Selbst-Seligkeit in einer Welt sein, die dem Gesetz von Einheit, Liebe und Schönheit untertan ist?

Wenn durch den Menschen, den Bewohner des irdischen Seins, letztlich diese Umwandlung des Mentalen in das Supramentale bewirkt werden soll, ist es dann nicht möglich, daß er einen göttlichen Körper ebenso wie ein göttliches Mental und göttliches Leben entwickeln kann? Sollte diese Formulierung für unsere gegenwärtigen begrenzten Auffassungen von menschlicher Entwicklungsmöglichkeit zu schockierend sein, lautet die Frage: Könnte der Mensch nicht in der Entfaltung seines wahren Wesens, von dessen Licht, Freude und Macht zu göttlicher Verwendung von Mental, Leben und Körper kommen, wodurch die Herabkunft des Geistes in die Gestaltungen zugleich menschlich und göttlich gerechtfertigt würde?

Dieser höchsten irdischen Möglichkeit könnte nur eines im Wege stehen, daß unsere gegenwärtige Anschauung von der Materie und ihren Gesetzen die einzig mögliche Beziehung zwischen Sinnen und Substanz, zwischen dem Göttlichen Wesen als dem Wissenden und dem Göttlichen Wesen als Objekt darstellt, oder daß andere Beziehungen zwar möglich, hier jedoch unmöglich sind, nur auf höheren Seinsebenen gesucht werden müßten. In diesem Fall hätten wir unsere göttliche Erfüllung in jenseitigen Himmeln zu suchen, wie das die Religionen versichern. Ihre anderen Verheißungen vom Reich Gottes oder dem Reich der Vollkommenheit auf Erden müßten dann als Illusion abgetan werden. Dann könnten wir hier nur eine Vorbereitung erstreben oder einen inneren Sieg erlangen. Wenn wir Mental, Leben und Seele im Inneren befreit haben, müßten wir uns zurückziehen aus dem unüberwundenen und unüberwindlichen materiellen Prinzip, aus einer nicht-regenerierten unwandelbaren Erde, um anderswo unsere göttliche Substanz zu finden. Es gibt jedoch keinen Grund, diese unsere Entwicklung begrenzende Schlußfolgerung anzunehmen. Ganz gewiß gibt es auch andere Zustandsformen, selbst der Materie. Es gibt zweifellos eine aufsteigende Reihe göttlicher Stufenfolgen von Substanz. Es gibt die Möglichkeit, daß sich das materielle Wesen durch die Annahme eines Gesetzes umgestaltet, das höher ist als das ihm jetzt eigene, das dennoch das seine ist, da es in seinen geheimen Bereichen stets latent und potentiell vorhanden war.