Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1
Kapitel XIX. Leben
Prana – Kraft ist das Leben der Geschöpfe; denn von ihr sagt man, sie ist das universale Prinzip des Lebens.
Taittiriya Upanishad, II.3.
Wir erkennen also, was das Mental in seinem göttlichen Ursprung ist und in welcher Beziehung es zum Wahrheits-Bewußtsein steht, Mental, das höchste der drei niederen Prinzipien, die unser menschliches Dasein konstituieren. Es ist eine besondere Wirkensweise göttlichen Bewußtseins oder besser: die letzte Strähne dessen gesamter schöpferischen Aktion. Purusha kann durch das Mental die Beziehungen seiner eigenen verschiedenen Formen und Kräfte getrennt halten. Es erschafft die Unterschiede der äußeren Erscheinung, die für die aus dem Wahrheits-Bewußtsein gefallene Seele den Anschein radikaler Trennungen annehmen. Das Mental wird infolge dieser ursprünglichen Entstellung zum Erzeuger aller sich daraus ergebenden Verkehrtheiten, die auf uns einwirken als die dem Leben der Seele in der Unwissenheit eigentümlichen Dualitäten und Gegensätzlichkeiten. Solange das Mental aber nicht vom Supramental abgetrennt ist, unterstützt es nicht die Entstellungen und Falschheiten, sondern die vielschichtige Wirkensweise der universalen Wahrheit.
So erscheint das Mental als eine schöpferische kosmische Wirkkraft. Diesen Eindruck haben wir normalerweise nicht von unserer Mentalität. Wir sehen in ihr vielmehr in erster Linie ein wahrnehmendes Organ, das Dinge erkennt, die schon durch eine in der Materie wirkende Kraft erschaffen sind. Die einzige Urheberschaft, die wir ihr zugestehen, ist sekundäre Erschaffung von Formen, die aus den bisher durch die Kraft in der Materie entwickelten neu zusammengestellt werden. Die Erkenntnis, die wir jetzt dank der jüngsten Entdeckungen der Naturwissenschaft gewinnen, zeigt uns immer mehr, daß in dieser Kraft und in dieser Materie ein unterbewußtes Mental am Werk ist, das gewiß für sein eigenes Hervortreten verantwortlich ist: zunächst in den Formen von Leben und dann in den Formen von Mentalität selbst, anfangs im nervlichen Bewußtsein des Lebens in Pflanze und primitivem Tier, danach in den sich immer höher entfaltenden mentalen Funktionen des entwickelten Tiers und des Menschen. Wie wir schon entdeckt haben, daß Materie nur stoffliche Form von Kraft ist, so werden wir entdecken, daß materielle Kraft nur Energie-Form von Mentalität ist. Materielle Kraft ist in der Tat eine unterbewußte Tätigkeit von Willen. Wille, der in uns als das wirkt, was Licht zu sein scheint – obwohl es in Wirklichkeit lediglich ein Halb-Licht ist – und materielle Kraft, die in uns die Finsternis mangelnder Intelligenz zu sein scheint, sind eigentlich und im Wesen dasselbe. Das hat materialistisches Denken stets instinktiv, wenn auch vom falschen oder unteren Ende der Dinge her, gefühlt. Spirituelle Erkenntnis, die von der höchsten Höhe her wirkt, hat das schon lange entdeckt. Wir können also sagen: Diese materielle Welt ist erschaffen von einem unterbewußten Mental oder einer Intelligenz, die Kraft als ihre Antriebsmacht, ihre ausführende Natur, ihre prakriti offenbart.
Wenn das Mental aber, wie wir jetzt erkannt haben, keine unabhängige und ursprünglich wesenhafte Größe, sondern letztlich nur eine Wirkensweise des Wahrheits-Bewußtseins oder Supramentals ist, muß überall, wo Mentalität ist, auch Supramentalität sein. Das Supramental oder Wahrheits-Bewußtsein ist die wirkliche Schöpfermacht des universalen Seins. Selbst wenn das Mental in seinem eigenen verfinsterten Bewußtsein von seinem Ursprung getrennt ist, gibt es doch stets jene umfassendere Bewegung in seinem Wirken. Sie zwingt es, seine rechte Beziehung zu bewahren. Sie entwickelt aus ihm die unvermeidlichen Ergebnisse, die es in sich trägt. Sie bringt den richtigen Baum aus dem richtigen Kern hervor. Sie zwingt selbst das aktive Wirken von etwas so Rohem, Trägem und Verfinstertem wie der materiellen Kraft, schließlich auf eine Welt von Gesetz, Ordnung und rechter Beziehung hinzuarbeiten und nicht, wie sonst ihr Ergebnis wäre, auf ein Durcheinander von Zufall und Chaos. Offensichtlich können diese Ordnung und rechte Beziehung nur relativ sein, nicht jene höchste Ordnung und jenes erhabene Rechte, das herrschen würde, wäre das Mental nicht in seinem Bewußtsein vom Supramental gesondert. Sie ist eine Anordnung, ein System von Ergebnissen, die für das Wirken des trennenden Mentals und sein Erschaffen separativer Gegenüberstellungen, also für seine dual-konträren Seiten der einen Wahrheit, richtig und angemessen sind. Nachdem das Göttliche Bewußtsein die Idee dieser dualen oder zerteilten Darstellung seines Selbsts ersonnen und in Tätigkeit gesetzt hat, leitet es in der Real-Idee seine eigene niedere Wahrheit oder das unvermeidliche Ergebnis verschiedenartiger Beziehung von ihr ab und entwickelt sie praktisch daraus in Lebens-Substanz durch das lenkende Wirken des ganzen hinter ihr stehenden Wahrheits-Bewußtseins. Denn das ist das Eigentümliche von Gesetz und Wahrheit in der Welt, daß in rechtem Wirken das hervorgebracht wird, was im Seienden enthalten, in Wesen und Natur der Sache selbst vorausgesetzt und im Selbst-Sein und Selbst-Gesetz latent ist, svabhava und svadharma, so wie es vom göttlichen Wissen geschaut wird. Um eine jener wundervollen Formulierungen der Upanishad zu gebrauchen, die in wenigen offenbarenden Worten eine Welt von Erkenntnissen enthalten: “Der Selbst-Seiende, der als der Seher und Denker überall im Werden hervortritt, hat alle Dinge in Sich Selbst seit ewigen Zeiten in Einklang mit der Wahrheit dessen, was sie sind, richtig angeordnet” (Isha Upanishad, Vers 8).
Die dreifache Welt von Mental, Vital und Körper, in der wir leben, ist folglich nur in ihrer bisher aktuell vollendeten Evolution dreifach. Das in der Materie involvierte Leben ist in der Form von denkendem und mental bewußtem Leben hervorgetreten. Aber mit dem Mental, das in es, also auch in Leben und Materie involviert ist, ist das Supramental involviert, das Ursprung und Lenker der anderen drei ist und ebenfalls hervortreten muß. Wir suchen am Ursprung der Welt nach einer Intelligenz, denn Intelligenz ist das höchste uns bewußte Prinzip, das uns und unser ganzes Wirken und Erschaffen zu lenken und zu erklären scheint. Darum nehmen wir an: Wenn es überhaupt ein Bewußtsein im Universum gibt, muß es eine Intelligenz, ein mentales Bewußtsein sein. Aber Intelligenz beobachtet, reflektiert und verwendet nur nach dem Maß ihrer Fähigkeit das Wirken einer ihr übergeordneten Wahrheit des Seienden. Die dahinterstehende wirkende Macht muß also eine andere und überlegenere Form von Bewußtsein sein, die zu jener Wahrheit gehört. Darum müssen wir unsere Auffassung entsprechend korrigieren und feststellen: Nicht ein unterbewußtes Mental oder eine unterbewußte Intelligenz, sondern ein involviertes Supramental hat dieses materielle Universum erschaffen. Es hat das Mental aus sich herausgestellt als die unmittelbar aktive besondere Form seines in der Kraft unterbewußten Wissens-Willens und verwendet die materielle Kraft oder den im Stoff des Seienden unterbewußten Willen als seine exekutive Natur, seine prakriti.
Nun ist aber hier, wie wir sehen, Mentalität in einer speziellen Form von Kraft manifestiert, der wir den Namen Leben geben. Was ist dann Leben? Welche Beziehung hat es zum Supramental, zu dieser höchsten Trinität von saccidananda, das mittels der Real-Idee oder des Wahrheits-Bewußtseins in der Schöpfung aktiv ist? Aus welchem Prinzip in der Trinität wird Leben geboren? Durch welche göttliche oder ungöttliche Notwendigkeit der Wahrheit oder der Illusion tritt es ins Dasein? Durch die Jahrhunderte erschallt der alte Aufschrei: Leben ist ein Übel, eine Täuschung, ein Delirium, eine Verrücktheit, aus der wir in die Ruhe des ewigen Seins entfliehen müssen. Ist das so? Und wenn ja, weshalb? Warum hat der Ewige willkürlich dieses Böse auferlegt, warum hat Er Sich Selbst oder den Geschöpfen, die durch Seine furchtbare, alles täuschende maya ins Dasein gebracht wurden, dieses Delirium oder diese Verrücktheit auferlegt? Oder ist Leben vielleicht ein göttliches Prinzip, das sich auf diese Weise zum Ausdruck bringt, eine Macht der Seligkeit ewigen Seins, die sich so ausdrücken mußte und auf diese Weise in Zeit und Raum verausgabt in der ständigen Explosion der Millionen und Abermillionen Formen von Leben, die die unzählbaren Welten des Universums bevölkern?
Erforschen wir dieses Leben, wie es sich auf Erden mit Materie als seiner Basis manifestiert, so beobachten wir, daß es im Wesentlichen eine Form der einen kosmischen Energie ist, eine positive und negative dynamische Bewegung oder Strömung von ihr, ein ständiger Akt oder ein Spiel jener Kraft, die Formen aufbaut, sie durch einen kontinuierlichen Strom von Reizwirkung mit Energie auflädt und durch einen unaufhörlichen Prozeß von Auflösung und Erneuerung ihrer Substanz fördert und erhält. Dieser Vorgang zeigt uns eigentlich, daß der natürliche Gegensatz, den wir zwischen Tod und Leben sehen, ein Irrtum unserer Mentalität, eine dieser falschen Gegenüberstellungen ist, falsch vor der inneren Wahrheit, wenn auch gültig an der Außenseite praktischer Erfahrung, die unser Mental, durch äußeren Schein getäuscht, ständig in die universale Einheit hineinträgt. Tod hat nur als ein Prozeß von Leben Realität. Zersetzung und Erneuerung von Stoff, Bewahrung und Verwandlung von Form sind der dauernde Ablauf des Lebens. Tod ist bloß rasche Auflösung im Dienst der Notwendigkeiten des Lebens zur Verwandlung und Veränderung formeller Erfahrung. Selbst beim Tod des Körpers gibt es kein Aufhören des Lebens; das Material der einen Form von Leben wird nur zerbrochen, um als Material für andere Lebensformen zu dienen. In ähnlicher Weise dürfen wir sicher sein, wenn es in der körperlichen Gestalt eine mentale oder psychische Energie gibt, daß auch diese im einheitlichen Gesetz der Natur nicht zerstört wird, sondern nur aus der einen Gestalt auszieht, um durch einen Vorgang von Metempsychose, durch eine neue Körper-Beseelung, andere Gestalten anzunehmen. Alles erneuert sich selbst, nichts geht zugrunde. Infolgedessen könnte man behaupten, es gibt nur ein einziges, alles durchdringendes Leben oder eine dynamische Kraft – wobei der materielle Aspekt nur deren äußerste Bewegung ist die alle diese Formen des physischen Universums erschafft, ein unvergängliches und ewiges Leben, das auch dann, wenn die ganze Gestaltung des Universums verginge, selbst weiterexistieren und an seiner Stelle ein neues Universum hervorbringen könnte, ja in seinem Erschaffen immer weiter fortfahren müßte, wenn es nicht durch eine höhere Macht in Ruhezustand zurückgehalten oder sich selbst zurückhalten würde. In diesem Fall ist Leben nichts anderes als die Kraft, die die Formen der Welt aufbaut, erhält und zerstört. Es ist Leben, das sich in der Form der Erde ebenso manifestiert wie in der Pflanze, die auf Erden wächst, und in den Tieren, die ihr Dasein fristen durch das Verzehren der Lebens-Kraft der Pflanze oder indem sie einander auffressen. Alles Dasein ist hier ein universales Leben, das die Form von Materie annimmt. Zu diesem Zweck mag sich der Lebens-Prozeß im physischen Prozeß verbergen, bevor er als submentale Empfindungsfähigkeit und mentalisierte Vitalität hervortritt, was aber durchweg noch dasselbe schöpferische Lebens-Prinzip wäre.
Man kann einwenden: Unter Leben verstehen wir etwas anderes. Wir meinen ein besonderes Resultat der universalen Kraft, mit dem wir vertraut sind, das sich nur in Tier und Pflanze offenbart, nicht aber in Metall, Stein, Gas. Es wirkt in der Tierzelle, aber nicht im bloßen physikalischen Atom. Um auf sicherem Boden zu stehen, müssen wir also untersuchen, worin genau dieses besondere Ergebnis des Spiels der Kraft liegt, das wir Leben nennen, und wie es sich von jenem anderen Resultat des Spiels der Kraft in unbelebten Dingen unterscheidet, von dem wir sagen, es ist nicht Leben. Wir erkennen sofort, daß es hier auf Erden drei Bereiche des Spiels der Kraft gibt: das Tierreich der alten Klassifizierung, zu dem wir gehören, das Pflanzenreich und zuletzt das nur materielle Reich, von dem wir behaupten, es sei ganz ohne Leben. Wie unterscheidet sich das Leben in uns vom Leben der Pflanze und das Leben der Pflanze vom Nicht-Leben etwa des Metalls des Mineralreichs der alten Bezeichnung oder jenes neuen Reiches der Chemie, das die Naturwissenschaft entdeckt hat?
Wenn wir von Leben sprechen, meinen wir gewöhnlich das Tierleben, das sich bewegt, atmet, ißt, fühlt, begehrt. Wenn wir von Pflanzenleben sprechen, werden diese Begriffe meist als Metapher verwendet, nicht als Wirklichkeit, denn man betrachtete Pflanzenleben eher als rein materiellen Vorgang denn als biologisches Phänomen. Insbesondere ist für uns Leben mit Atmen eng verbunden. In jeder Sprache spricht man vom Lebensatem, und diese Formulierung trifft zu, wenn wir unsere Auffassung von dem ändern, was wir unter Atem des Lebens verstehen. Es ist aber offensichtlich, daß spontane Bewegung oder Fortbewegungsfähigkeit, Atmen und Essen nur Lebensvorgänge und nicht Leben an sich sind. Sie sind Mittel für das Erzeugen oder Abgeben jener ständigen Reize aussendenden Energie, die unsere Vitalität ist, und für jenen Vorgang von Auflösung und Erneuerung, durch den sie unser stoffliches Dasein unterstützt. Diese Abläufe unserer Vitalität können aber auch auf andere Weise als durch unser Atmen oder unsere Nahrung aufrechterhalten werden. Es ist bewiesene Tatsache, daß selbst menschliches Leben im Körper bestehen bleiben und bei vollem Bewußtsein fortdauern kann, wenn Atmung, Herzschlag und andere, früher für wesentlich gehaltene Bedingungen zeitweilig ausgesetzt werden. An neuen beweiskräftigen Erscheinungen der Pflanze hat man festgestellt, daß sie, wenn wir ihr auch eine bewußte Reaktion absprechen, zumindest physisches Leben hat, das mit unserem eigenen identisch und sogar im Wesen wie unser eigenes organisiert, wenn auch in seiner sichtbaren Organisation verschieden ist. Erweist sich das als richtig, müssen wir mit unseren alten, unhaltbaren und unrichtigen Vorstellungen gründlich aufräumen und, hinter Symptomen und Äußerlichkeiten, der Sache auf den Grund gehen.
Ein bedeutender indischer Physiker hat in neuerlichen Untersuchungen1 – die helles Licht auf die Probleme des Lebens in der Materie werfen müssen, wenn man seine Schlußfolgerungen anerkennt, – auf die Reaktion auf Reize als untrügliches Zeichen für die Existenz von Leben hingewiesen. Durch seine Ergebnisse ist besonders das Phänomen des Pflanzenlebens aufgehellt und in all seinen subtilen Funktionsweisen illustriert worden. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß von ihm hinsichtlich der Metalle wie der Pflanze am entscheidenden Punkt der gleiche Beweis für Vitalität erbracht wurde: die Reaktion auf einen Reiz als positiver Zustand von Leben und der negative Zustand, den wir Tod nennen – wenn auch nicht im selben Umfang und gewiß nicht so, daß sich eine wesentlich identische Organisation des Lebens beweisen läßt. Könnten aber die richtigen Instrumente von ausreichender Feinheit erfunden werden, wäre es möglich, mehr Ähnlichkeiten zwischen Metall und Pflanze zu entdecken. Selbst wenn sich das als unrichtig erweisen würde, könnte es bedeuten, daß zwar diese oder jede Lebensorganisation fehlt, dennoch könnten Anfänge von Vitalität vorhanden sein. Wenn aber im Metall Leben existiert, und sei es noch so rudimentär, muß man zugeben: es ist dort vorhanden, vielleicht involviert oder elementar und primitiv, und ebenso in Erde oder in anderen, dem Metall entsprechenden materiellen Daseinsformen. Wenn wir unsere Untersuchungen noch weitertreiben können, ohne gezwungen zu sein, dort Halt zu machen, wo unsere unmittelbaren Forschungsmittel versagen, dürfen wir aufgrund unserer gleichartigen Erfahrung der Natur sicher sein, daß so durchgeführte Forschungen uns letztlich beweisen, es gibt keinen Bruch, keine starre Grenzlinie zwischen Erde und dem in ihr geformten Metall oder zwischen Metall und Pflanze. Verfolgen wir die Synthese noch weiter, existiert diese Abgrenzung auch nicht zwischen den Elementen und Atomen, die Erde oder Metall konstituieren, also auch nicht zwischen den von ihnen konstituierten Erden und Metall. Jede Ebene dieses stufenweise aufsteigenden Daseins bereitet die nächste vor und enthält das in sich, was in der folgenden in Erscheinung tritt. Leben ist überall, verborgen oder offenbar, organisiert oder elementar, involviert oder evolviert, jedoch universal, alles durchdringend, unzerstörbar. Nur seine Erscheinungs- und Organisationsformen sind unterschiedlich. Wir müssen bedenken, daß physische Reaktion auf Reiz nur ein äußerliches Zeichen von Leben ist, ebenso wie es Atmen und Ortsveränderung bei uns sind. Vom Experimentierenden wird ein außergewöhnlicher Reiz angewandt, und es erfolgen lebhafte Reaktionen, die wir sofort im Objekt des Experiments als Anzeichen von Vitalität erkennen können. Während ihres ganzen Daseins antwortet die Pflanze ständig auf eine konstante Masse von Reizen aus ihrer Umgebung. Das heißt: in ihr ist eine konstant bereitgehaltene Kraft, die fähig ist, auf die Einwirkung von Kraft aus ihrer Umgebung zu reagieren. Es wird behauptet, die Idee einer vitalen Kraft in der Pflanze und anderen lebenden Organismen sei durch diese Experimente zerstört worden. Wenn wir aber sagen, ein stimulierender Reiz ist auf die Pflanze angewandt worden, meinen wir: eine erregte Kraft, eine Kraft in dynamischer Bewegung, sei auf dieses Objekt gerichtet worden. Und wenn wir sagen, es werde eine Reaktion gezeigt, meinen wir: Eine erregte Kraft, die zu dynamischer Bewegung und sensitiver Vibration fähig ist, antwortet auf den Schock. Es gibt vibrierende Aufnahme und Antwort wie den Willen zu wachsen und zu sein, Hinweise auf eine untermentale, eine vital-physische Organisation bewußter Kraft, die in der Form des Seienden verborgen ist. Es scheint also Tatsache zu sein: Wie im Universum eine konstante dynamische Energie in Bewegung ist, die verschiedene mehr oder minder subtile oder grobe materielle Formen annimmt, so ist auch in jedem physischen Körper oder Objekt, in Pflanze, Tier oder Metall, dieselbe konstante dynamische Kraft gespeichert und aktiv. Ein gewisser Austausch zwischen beiden liefert uns die Phänomene, die wir mit der Idee von Leben verbinden. Dieses Wirken erkennen wir als die Aktion von Lebens-Energie. Was sich so in Energien umsetzt, ist die Lebens-Kraft. Mental-Energie, Lebens-Energie, materielle Energie sind verschiedenartige Energieformen der einen Welt-Kraft.
Selbst wenn eine Gestaltung uns als tot erscheint, existiert diese Kraft in ihr noch als Potenz, wenn auch ihre vertrauten vitalen Wirkensweisen suspendiert und dabei sind, völlig aufzuhören. In gewissen Grenzen kann das, was tot ist, wieder belebt werden. Man kann die gewöhnlichen Abläufe, Reaktion und Zirkulation aktiver Energie wiederherstellen.
Das beweist, daß das, was wir Leben nennen, noch latent im Körper war, wenn auch nicht aktiv in seinen üblichen Gewohnheiten, den allgemeinen Formen physischer Tätigkeit, nervlichen Spiels und Reagierens, in seinen Gewohnheiten als Lebewesen von bewußt mentaler Reaktion. Man kann nur schwer annehmen, daß es eine andersartige Einheit, Leben genannt, ist, die einen Körper völlig verlassen hat und wieder in ihn eingeht, wenn sie fühlt, daß jemand den Körper stimuliert – wie sollte sie das aber fühlen, wenn es nichts gibt, das sie mit dem Körper verbindet? In gewissen Fällen, so bei kataleptischer Erstarrung, sehen wir, daß die äußeren physischen Anzeichen und Aktivitäten des Lebens suspendiert sind, daß aber die Mentalfunktionen noch da sind, im Besitz des Selbsts und bewußt, wenn auch unfähig, die üblichen physischen Reaktionen durchzusetzen. Gewiß trifft es nicht zu, daß der Mensch physisch tot, mental jedoch am Leben ist oder daß Leben den Körper verließ, während Mentalität ihn noch bewohnt. Hier ist vielmehr die gewöhnliche physische Tätigkeit suspendiert, während das Mental noch aktiv ist.
Ebenso werden in gewissen Formen der Trance das physische Funktionieren und das vordergründige Mental suspendiert. Sie nehmen später ihre Tätigkeit wieder auf, in manchen Fällen durch äußeren Reiz, normalerweise durch spontane Rückkehr zur inneren Aktivität. In Wirklichkeit hat sich die vordergründige Mental-Kraft in das unterbewußte Mental und die vordergründige Vital-Kraft in das subaktive Leben zurückgezogen, und entweder ist der ganze Mensch in unterbewußtes Dasein versunken, oder er zog sein äußeres Leben ins Unterbewußte zurück, während sein inneres Wesen ins Überbewußte emporgehoben wurde. Hauptsache ist jetzt für uns, daß jene Kraft, was immer sie ist, die die dynamische Lebensenergie im Körper bewahrt, ihr vordergründiges Wirken tatsächlich suspendiert hat, doch noch in der Form der organisierten Stofflichkeit wirkt. Es kommt aber ein Punkt, von dem an es nicht mehr möglich ist, die unterbrochenen Aktivitäten wiederherzustellen. Das tritt ein, wenn der Körper eine Verletzung erlitten hat, die ihn für seine gewöhnlichen Funktionen unbrauchbar oder unfähig macht, oder wenn, ohne eine solche Verletzung, der Prozeß der Auflösung einsetzt, d. h. wenn die Kraft, die die Lebensaktion erneuern sollte, völlig erlahmt gegenüber dem Druck der Kräfte aus der Umgebung, mit deren Masse von Reizen sie einen ständigen Austausch zu unterhalten pflegte. Selbst dann ist noch Leben im Körper, aber ein Leben, das nur mit dem Auflösungsprozeß der geformten Stofflichkeit beschäftigt ist, damit es in deren Elemente entweichen und mit ihnen neue Formen bilden kann. Nun zieht sich der Wille in der universalen Kraft, der die Form zusammenhielt, aus ihrer Konstitution zurück und unterstützt dafür einen Zerstreuungsvorgang. Erst dann tritt der wirkliche Tod des Körpers ein. Leben ist also das dynamische Spiel einer universalen Kraft, zu der stets mentales Bewußtsein und nervliche Vitalität in irgendeiner Form oder zumindest prinzipiell gehören und die deshalb in unserer Welt in Erscheinung tritt und sich in den Formen von Materie organisiert. Das Lebens-Spiel dieser Kraft manifestiert sich als Austausch von Reiz und Reaktion auf den Reiz zwischen den verschiedenen Formen, die die Kraft aufgebaut hat und in denen sie ständig dynamisch pulsiert. Jede Gestaltung nimmt konstant den Atem und die Energien der gemeinsamen Kraft in sich ein und gibt sie wieder aus. Jede Gestaltung lebt hiervon und ernährt sich von ihr auf verschiedene Art: entweder mittelbar, indem sie andere Formen, in denen die Energie gespeichert ist, in sich aufnimmt, oder unmittelbar, indem sie die dynamischen Entladungen absorbiert, die sie von außen empfängt. All das ist das Spiel des Lebens. Für uns ist es aber hauptsächlich dort erkennbar, wo seine Organisation so ausgebildet ist, daß wir ihre mehr äußerlichen und komplexen Bewegungen wahrnehmen können, und besonders dort, wo es an jenem nervlichen Typus vitaler Energie Anteil hat, der zu unserer eigenen Organisation gehört. Aus diesem Grund erkennen wir es gern in der Pflanze an, dort gibt es offenkundige Erscheinungsformen von Leben, – und das wird uns noch viel leichter, wenn man dort auf Symptome von Nerventätigkeit hinweisen kann und auf ein von dem unsrigen nicht sehr verschiedenes vitales System. Wir wollen aber Leben nicht anerkennen im Metall, in Erde und im chemischen Atom, wo man diese phänomenalen Entwicklungen nur schwer entdecken kann oder wo sie anscheinend überhaupt nicht existieren.
Ist es wirklich gerechtfertigt, diesen Unterschied als wesenhaft zu erklären? Was ist z. B. der Unterschied zwischen Leben in uns und Leben in der Pflanze? Wir sehen uns erstens darin von ihr unterschieden, daß wir die Macht zur Fortbewegung besitzen; das hat aber offenbar nichts mit dem Wesen der Vitalität zu tun. Zweitens besitzen wir bewußtes Empfinden, das, soweit wir wissen, noch nicht in der Pflanze entwickelt ist. Weithin werden unsere nervlichen Reaktionen – wenn auch keineswegs immer oder in vollem Umfang – von der mentalen Reaktion bewußter Empfindung begleitet. Sie hat ihren Wert ebenso für das Mental wie für das Nervensystem und für den durch die Nerventätigkeit erregten Körper. In der Pflanze scheint es aber auch Symptome nervlicher Empfindung einschließlich derer zu geben, die sich in uns als Lust und Schmerz, Wachsein und Schlafen, Heiterkeit, Stumpfheit und Ermüdung äußern, und auch der Körper ist innerlich durch diese Nerventätigkeit erregt. Doch ist kein Anzeichen vorhanden für die tatsächliche Gegenwart einer mental bewußten Empfindung. Empfindung bleibt aber Empfindung, ob sie mental bewußt oder vital empfindbar ist, und Empfindung ist eine Form von Bewußtsein. Wenn die empfindende Pflanze bei einer Berührung zurückschreckt, dürfte ein nervlicher Affekt vorliegen. Etwas in ihr hat diese Berührung nicht gern und sucht sich deshalb von ihr zurückzuziehen. Mit einem Wort, es gibt in der Pflanze ebenso eine unterbewußte Empfindung, wie es nach unseren Erkenntnissen unterbewußte Vorgänge derselben Art in uns gibt. Im menschlichen System kann man sehr wohl diese unterbewußten Wahrnehmungen und Empfindungen an die Oberfläche des Bewußtseins bringen, noch lange, nachdem sie sich ereigneten und aufhörten, das Nervensystem zu beeindrucken. Eine immer umfangreicher werdende Evidenz hat unwiderleglich in uns das Dasein einer unterbewußten Mentalität festgestellt, die viel umfangreicher ist als die bewußte. Die bloße Tatsache, daß die Pflanze kein vordergründig aufmerksames Mental besitzt, das zur Auswertung ihrer unterbewußten Empfindungen erweckt werden kann, bedeutet für die wesenhafte Identität der Phänomene keinen Unterschied. Da diese Phänomene dieselben sind, muß auch das, was sie manifestieren, dasselbe sein, und dieses ist ein unterbewußtes Mental. Es ist auch leicht möglich, daß es eine mehr rudimentäre Lebensbetätigung des unterbewußten Sinnen-Mentals im Metall gibt, obwohl es dort keine körperliche, der Nervenreaktion entsprechende Erregung gibt. Aber das Fehlen körperlicher Erregung macht für die Anwesenheit von Vitalität im Metall ebensowenig einen Unterschied, wie das Fehlen körperlicher Fortbewegung einen wesenhaften Unterschied für die Anwesenheit von Vitalität in der Pflanze macht.
Was geschieht, wenn im Körper das Bewußte unterbewußt oder das Unterbewußte bewußt wird? Der wirkliche Unterschied liegt darin, daß die bewußte Energie in einen Teil ihres Wirkens absorbiert und dort mehr oder weniger exklusiv konzentriert ist. In gewissen Formen von Konzentration hört das, was wir die Mentalität, prajnana, das vordergründig wahrnehmende Bewußtsein nennen, völlig oder fast auf, bewußt zu wirken. Dennoch geht die Tätigkeit des Körpers, der Nerven und des Sinnen-Mentals unbemerkt, doch konstant und vollkommen weiter. Sie ist ganz unterbewußt geworden. Das Mental ist nur in einer einzigen Aktivität oder in einer Kette von Aktivitäten hell aktiv. Zum Beispiel wird, während ich schreibe, der physische Akt des Schreibens weithin, manchmal völlig, vom unterbewußten Mental geleistet. Der Körper macht, wie wir sagen, unbewußt gewisse nervliche Bewegungen. Das Mental ist nur für das Denken wach, mit dem es beschäftigt ist. Der ganze Mensch kann sogar ins Unterbewußte hinabsinken. Dennoch können gewohnheitsmäßige Bewegungen, die mentales Wirken voraussetzen, weitergehen wie in vielen Erscheinungen des Schlafs. Oder der Mensch mag sich in das Überbewußte erheben und dennoch mit dem subliminalen Mental im Körper aktiv sein, wie bei gewissen Phänomenen von samadhi, der Trance im Yoga. Der Unterschied zwischen dem Empfinden der Pflanze und dem unsrigen ist also offensichtlich einfach der: In der Pflanze ist die sich im Universum manifestierende bewußte Kraft noch nicht völlig aus dem Schlaf der Materie, aus der Absorption hervorgetreten, die die wirksame Kraft vom Ursprung ihres Wirkens im überbewußten Wissen völlig trennt. Darum tut sie unterbewußt das, was sie bewußt tun wird, wenn sie im Menschen aus ihrer Absorption hervortritt und, wenn auch noch mittelbar, zu ihrem Erkenntnis-Selbst zu erwachen beginnt. Sie tut genau dieselben Dinge, nur auf andere Art und von anderem Wert in Begriffen von Bewußtsein.
Jetzt können wir begreifen: Sogar im Atom gibt es etwas, das in uns zu Willen und Begehren, dort zu Anziehung und Abstoßung wird. In ihrer Erscheinung sind sie verschieden, doch im wesentlichen ist es dasselbe wie bei uns Zuneigung und Abneigung. Wir sagen: dort ist es unbewußt oder unterbewußt. Diese Essenz von Wille und Begehren ist überall in der Natur evident. Sie sind, obwohl das noch nicht genügend beachtet wird, mit dem Ausdruck eines Unterbewußten verbunden und eigentlich dessen Ausdruck oder sozusagen ein nicht-bewußtes oder ganz involviertes Empfinden und eine Intelligenz, die alles in gleicher Weise durchdringen. Da all das in jedem Atom der Materie gegenwärtig ist, ist es notwendigerweise auch in allem gegenwärtig, was durch ein Aggregat von Atomen geformt ist. Sie sind im Atom gegenwärtig, weil sie in der Kraft gegenwärtig sind, die das Atom aufbaut und konstituiert.
Diese Kraft ist fundamental das chit-tapas oder die chit-shakti des Vedanta, Bewußtseins-Kraft, eine dem Bewußt-Seienden ursprünglich innewohnende bewußte Kraft, die sich manifestiert: in der Pflanze als nervliche Energie, erfüllt von untermentaler Empfindung, in der primitiven Tierform als Begehrens-Empfinden und Begehrens-Wille, in dem sich entwickelnden Tier als selbstbewußtes Empfinden und Kraft, im Menschen als mentaler Wille und ein Erkennen, das alles andere übertrifft. Leben ist eine Skala der universalen Energie, in der der Übergang vom Unbewußten zum Bewußtsein hergestellt wird. Eine vermittelnde Macht dessen ist in der Materie latent vorhanden oder versunken. Sie wird durch eigene Kraft ins submentale Wesen entbunden und zuletzt durch das Hervortreten des Mentals völlig befreit in die volle Entfaltungsmöglichkeit ihrer Kraftfülle.
Unerachtet aller anderen Erwägungen drängt sich dieser Schluß als logische Notwendigkeit auf, wenn wir eben diesen Vorgang, wie das Mental nach außen hervortritt, im Licht des Themas Evolution betrachten. Es ist von selbst einleuchtend, daß Leben in der Pflanze, wenn auch andersartig als im Tier organisiert, dennoch dieselbe Macht ist, gekennzeichnet durch Geburt, Wachsen und Tod, Fortpflanzung durch Samen, Tod durch Verfall, Krankheit oder Gewalt, Aufrechterhaltung durch Einnahme nährender Elemente von außen, Abhängigkeit von Licht und Wärme, Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit. Es gibt auch Zustände von Schlaf und Wachsein, Energie und Depression der Lebenskräfte, den Übergang von Kindheit zu Reife und Altern. Überdies enthält die Pflanze die Essenzen der Lebenskraft und ist darum natürliche Nahrung für Tier-Existenzen. Wenn anerkannt ist, daß sie ein Nervensystem und Reaktionen auf Reize besitzt, einen Anfang oder Unterstrom submentaler oder rein vitaler Empfindungen, wird diese Identität noch deutlicher. Doch verbleibt die Pflanze offensichtlich auf einer Zwischenstufe der Lebens-Evolution zwischen der Tier-Existenz und der “unbelebten” Materie. Gerade das muß man erwarten, wenn Leben eine Kraft ist, die sich aus der Materie entwickelt und im Mental ihren Höhepunkt erreicht. Ist dem so, müssen wir auch annehmen, daß es bereits in der Materie selbst existiert, versunken oder latent im materiellen Unterbewußtsein oder in der Nicht-Bewußtheit. Von woher könnte es sonst emportauchen? Evolution von Leben in Materie setzt seine vorhergehende Involution in dieser voraus. Sonst müßten wir annehmen, es sei eine Neuschöpfung, die auf magische und unerklärliche Weise in die Natur eingeführt wurde. Wäre sie das, müßte sie entweder eine Schöpfung aus dem Nichts oder das Ergebnis materieller Vorgänge sein, die durch nichts in den Abläufen selbst und durch kein Element verwandter Natur in ihnen begründet sind. Oder das Leben mag in unfaßbarer Weise von oben herniedergekommen sein, aus einem supraphysischen Bereich oberhalb des materiellen Universums. Die beiden ersten Annahmen können als willkürliche Auffassungen verworfen werden. Die letzte Erklärung ist möglich, sie ist auch begreiflich. In der okkulten Betrachtung der Dinge ist wahr, daß Druck aus einer Lebens-Ebene oberhalb des materiellen Universums das Hervortreten des Lebens hier unterstützt hat. Das schließt aber nicht den Ursprung von Leben aus Materie selbst als die ursprüngliche, notwendige Bewegung aus. Denn die Existenz einer Lebens-Welt oder Lebens-Ebene oberhalb der materiellen führt nicht von selbst zum Hervortreten von Leben in der Materie, wenn jene Lebens-Ebene nicht als formative Stufe im Herniederkommen von Sein durch verschiedene Grade oder Mächte des Seins selbst existiert bis hinab in die Nicht-Bewußtheit, mit dem Ergebnis, daß das Sein sich mit allen diesen Mächten seiner selbst in die Materie involviert, damit sie in einer späteren Evolution aus ihr hervortreten. Es ist keine Frage von entscheidender Bedeutung, ob Anzeichen dieses versunkenen Lebens in materiellen Dingen, noch unorganisiert oder rudimentär, zu entdecken sind, oder ob es keine solchen Hinweise gibt, da dieses involvierte Leben in tiefem Schlaf liegt. Die materielle Energie, die die Aggregate bildet, gestaltet und wieder auflöst,2 ist dieselbe Macht in einem anderen Grad ihrer selbst wie die Lebens-Energie, die sich im Geborenwerden, Wachsen und Sterben ausdrückt, wie sie sich auch, wenn sie ihre Werke von Intelligenz in schlafwandlerischer Unterbewußtheit tut, als dieselbe Macht erweist, die in einem noch anderen Grad den Status des Mentals erlangt. Ihr wahrer Charakter zeigt, daß sie die noch ungeborenen Mächte von Mental und Leben in sich enthält, wenn auch noch nicht in deren charakteristischer Organisation oder Wirkensweise.
Leben offenbart sich als überall wesenhaft dasselbe vom Atom bis zum Menschen. Das Atom enthält den unterbewußten Stoff und die Bewegung von Seiendem, die im Tier in Bewußtsein freigesetzt werden, wobei Pflanzenleben eine Mittelstufe des Weges der Evolution ist. Leben ist in Wirklichkeit ein universales Wirken von Bewußter Kraft, die unterbewußt auf die Materie und in ihr wirkt. Es wirkt, indem es Formen oder Körper erschafft, erhält, zerstört und wiedererschafft und durch das Spiel von Nervenkraft, d. h. durch Ströme von Austausch stimulierender Energie in diesen Körpern bewußtes Empfinden zu erwecken sucht. Bei diesem Vorgang gibt es drei Stufen: Die unterste ist die, in der die Vibration noch im Schlaf der Materie liegt, so völlig unterbewußt, daß sie ganz mechanisch zu sein scheint. Die mittlere Stufe ist die, in der das Leben fähig wird zu reagieren, zwar noch untermental, aber doch im Obergang zu dem, was wir als Bewußtsein kennen. Die höchste Stufe ist die, in der das Leben bewußte Mentalität in der Form mental wahrnehmbarer Empfindung entwickelt, die bei diesem Übergang zur Grundlage wird, auf der sich Sinnen-Mental und Intelligenz entfalten. Auf dieser Mittelstufe erfassen wir die Idee des Lebens als unterschieden von Materie und Mental. In Wirklichkeit ist es dasselbe auf allen Stufen und stets ein Mittelbegriff zwischen Mental und Materie. Es konstituiert letztere und ist erfüllt von der ersteren. Leben ist das Wirken Bewußter Kraft, weder eine reine Gestaltung von Stofflichkeit noch eine Wirkensweise des Mentals, das Stoff und Form zum Objekt seines gestaltenden Erfassens macht. Leben erfüllt vielmehr bewußtes Seiendes mit Energien und wird so zur Ursache und Unterstützung der Formung von Stofflichkeit und zur Vermittlung, Quelle und Stütze bewußten mentalerfassenden Begreifens. Leben befreit durch dieses vermittelnde Erfüllen des bewußten Seienden mit Energie eine Form schöpferischer Kraft des Seins zu empfindender Aktion und Reaktion, die unterbewußt oder unbewußt, absorbiert in ihren eigenen Stoff, schon am Wirken war. Es unterstützt und befreit zum Handeln das auffassende Seins-Bewußtsein, Mental genannt, und gibt ihm eine dynamische Instrumentation, so daß es nicht nur auf seine eigenen Formen einwirken kann, sondern auch auf Formen von Leben und Materie. Außerdem verbindet und unterstützt es, als Mittelbegriff zwischen Mental und Materie, den wechselseitigen Umgang beider. Das leben liefert dieses Mittel der Beziehung zueinander in den ständigen Strömungen ihrer pulsierenden Nervenenergie. Sie enthalten die Kraft der Form als ein Empfinden, um das Mental zu modifizieren, und bringen wieder Mental-Kraft als den Willen zurück, die Materie umzugestalten. Diese Nerven-Energie ist es, die wir gewöhnlich meinen, wenn wir von Leben sprechen. Es ist prana, die Lebenskraft des indischen Systems. Nerven-Energie ist aber nur die Form, die sie im Tierwesen annimmt. Diesselbe Energie von prana ist in allen Formen gegenwärtig bis hinab zum Atom, da es dem Wesen nach überall dasselbe und überall dasselbe Wirken der Bewußten Kraft ist, jener Kraft, die das stoffliche Dasein ihrer eigenen Formen unterstützt und modifiziert, Kraft mit Empfinden und Mentalität, die im Geheimen aktiv, aber zuerst in die Form involviert ist und sich auf das Hervortreten vorbereitet, um schließlich aus ihrer Involution hervorzutreten. Das ist die ganze Bedeutung jenes allgegenwärtigen Lebens, das das materielle Universum manifestiert hat und bewohnt.
1 Diese aus neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen abgeleiteten Erwägungen werden hier nicht angeführt als Illustration oder Beweis für die Natur und den Prozeß von Leben in Materie, wie sie hier entwickelt werden. Naturwissenschaft und Metaphysik (ob gegründet auf rein intellektuelle Spekulation oder, wie in Indien, letztlich auf eine spirituelle Schau und Erfahrung der Dinge) haben jede ihren eigenen Bereich und ihre eigene Forschungsmethode. Naturwissenschaft kann ihre Ergebnisse ebensowenig der Metaphysik diktieren, wie Metaphysik ihre Schlußfolgerungen der Naturwissenschaft aufzwingen kann. Wenn wir aber die vernünftige Annahme akzeptieren, daß das Seiende und die Natur in allen ihren Zuständen ein System von Entsprechungen besitzen, das eine ihnen zugrundeliegende gemeinsame Wahrheit ausdrückt, ist es erlaubt zu vermuten, Wahrheiten des physischen Universums könnten ebenso einiges Licht auf den Charakter wie die Abläufe jener Kraft werfen, die im Universum aktiv ist, zwar kein vollständiges Licht, denn Naturwissenschaft ist hinsichtlich der Reichweite ihrer Forschung notwendigerweise nicht vollständig und besitzt auch keinen Zugang zum Verständnis der okkulten Bewegungen der Kraft.
2 Geborenwerden, Wachsen und Sterben von Leben sind in ihrem vordergründigen Aspekt derselbe Prozeß von Ansammlung, Gestaltung und Auflösung, wenn sie auch in ihrem inneren Ablauf und in ihrer Bedeutung mehr als das sind. Selbst die Beseelung des Körpers durch das psychische Wesen folgt, wenn die okkulte Schau dieser Dinge korrekt ist, einem ähnlichen äußeren Vorgang. Denn die Seele zieht als Kern für das Geborenwerden die Elemente ihrer mentalen, vitalen und physischen Umhüllungen mit deren Inhalten an sich und fügt sie zusammen, weitet diese Formationen im Leben aus und läßt sie beim Weitergehen fallen; sie löst die Aggregate wieder auf und zieht ihre inneren Mächte in sich selbst zurück, bis sie in der Wiedergeburt den ursprünglichen Vorgang wiederholt.