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Mutters

Agenda

dreizehnten Band

10. März 1972

(Ein Gespräch mit dem Architekten von Auroville. Dieser bittet um Geld "für Brandschutzmaßnahmen" nach dem letzten Unfall.)

Hier gibt es nicht mehr genug Geld, und dort haben sie erst recht nicht genug... Denn im Denken der Leute kommt es aufs gleiche heraus [der Ashram und Auroville], und so wissen sie nicht mehr, wem sie es geben sollen.

In der Außenwelt wird so viel Geld verschwendet – manche Leute wissen nicht einmal, was sie damit anfangen sollen.

Wieviel wäre denn für die Sicherheit Aurovilles nötig?

(Der Architekt:) Wir müssen das untersuchen, liebe Mutter. Ich glaube, man bräuchte vielleicht ein- oder zweihundertausend Rupien für ganz Auroville (für Brunnen und Wasserspritzen). Das wären die sofortigen Maßnahmen, aber wir müssen auch an die Zukunft denken: Wie sollen wir Auroville weiterentwickeln, jetzt, wo es angefangen worden ist? Es geht vor allem darum, zu wissen, ob wir nicht versuchen sollten, Geld zu sammeln, Leute in der ganzen Welt um persönliche Spenden zu bitten, so daß jeder einige Rupien, Francs, Dollars beisteuert, damit Auroville durch diese individuellen Beiträge aufgebaut wird. Vielleicht sollte jetzt so eine Aktion in verschiedenen Ländern und in Indien gestartet werden? Denn die finanzielle Situation in Auroville verschlechtert sich – sie ist schlechter, als sie vor einem halben Jahr war, und der Geldbedarf steigt, folglich... Ich weiß nicht, vielleicht ist die Lösung, einfach zu warten, aber Sie wissen das besser.

(nach einem langen Schweigen)

Was könnte man tun? Hast du eine Idee?

Vor langer Zeit hatte L [ein indischer Industrieller] eine Idee, und ich möchte noch einmal mit ihm darüber sprechen. Sie bestand darin, die Leute individuell, im Sinne einer Beteiligung, für Auroville zu interessieren. Ich kenne die finanzielle Situation in Indien nicht genau...

Die finanzielle Situation Indiens ist MISERABEL. Denn früher erhielt es viel Geld von Amerika, und das hat fast ganz aufgehört. Sie ist sehr schlecht – Indien ist arm geworden, und das ist ärgerlich. Sonst könnten wir um Mittel bitten, aber sie stecken wirklich in Schwierigkeiten.

Vielleicht sind andere Länder dazu bereit.

Aber ja!

Deutschland könnte helfen, und vielleicht die USA. Das müßte aber in einer koordinierten Aktion geschehen, nicht aufs Geratewohl.

Ja, ja!

Man müßte es versuchen.

Wenn ich nur einen Plan hätte... Ich habe mich nie um diese Dinge gekümmert, aber wenn es einen akzeptablen Plan gäbe, könnte ich damit arbeiten. Ich weiß wirklich nicht, was zu tun ist.

Ich werde nachher mit N sprechen und sehen, wie er darüber denkt. Dann kann man Ihnen mögliche Lösungen unterbreiten. Die Dinge so zu lassen, wie sie sind, erscheint mir als eine vielleicht mögliche, aber riskante Lösung.

Riskant.

Ich glaube, wir müssen etwas unternehmen. Aber ich kann nicht sagen, was, denn ich weiß es nicht – praktisch weiß ich nicht, was zu tun ist.

So viele Jahre lang brauchte ich nur einen Druck auszuüben, um Geld zu bekommen, und es kam. Aber das war für den Ashram. Jetzt hat der Ashram nicht einmal das, was er braucht, und ich kann so viel Druck ausüben, wie ich will: nichts kommt. Die Leute wissen nicht mehr, wo sie geben sollen: da ist dies und jenes und dies und das... sie verstehen nicht mehr!

Gib mir einen Plan, und ich werde damit arbeiten!

Es herrscht eine zu große Zerstreuung, liebe Mutter.

Ja, ja!

Man weiß nicht mehr, woran man ist: da ist die "Sri Aurobindo Society", "Sri Aurobindo's Action", "Sri Aurobindo dies und das ..." Das führt zu einer Zersplitterung.

Aber wenn man ihnen das sagt – und insbesondere, wenn du es N [von der Sri Aurobindo Society] sagst, wird er antworten: "Ja, natürlich, Sri Aurobindo's Action [U.s Projekt] muß verschwinden." Und jeder sagt: Ich selbst muß bleiben... Das ist keine Lösung.

Die Lösung ist, daß alle sich einigen, liebe Mutter: die Einheit.

Ja, ja, genau.

Anstatt sich zusammenzutun (wo jeder seinen Platz in einer harmonischen Einheit hat), zieht jeder in seine Richtung. Im wesentlichen gilt es, einen moralischen Fortschritt zu machen.

Das, worauf du gestoßen bist: Der Mangel an Einheit ist die Ursache aller Schwierigkeiten.

Selbst der Ashram ist davon befallen: jede Abteilung betrachtet sich als eine separate Einheit. Und weil kein Zusammenhalt mehr existiert, läuft es nicht mehr gut.

Ich kann nicht mehr von Ort zu Ort gehen und eine starke Aktion in Gang setzen; ich kann es nicht mehr, ich bin hier gebunden.

Das ist es, du hast die Ursache erfaßt. Wenn du einen Arbeitsplan aufstellen könntest, werden wir sehen. Genau das brauchen wir – wir müssen alle Bemühungen koordinieren und auf eine Einheit hinarbeiten.

Von Anfang an herrschte dieser Mangel an Einheit, und jetzt fehlt mein direkter Einfluß, weil ich hier gebunden bin. Ich kann ihnen noch so oft sagen: "Ihr seid nicht dazu da, euch selbst darzustellen: ihr seid doch alle gleich!" – Aber sie verstehen das einfach nicht! Und (lachend) das Ergebnis: N ist krank und U fühlt sich schlecht.

Im Grunde läuft es immer auf dasselbe hinaus: ein GROSSER, ernsthafter und aufrichtiger individueller Fortschritt ist nötig, und dann geht alles gut.

Die Atmosphäre ist gestört, der Zusammenhalt ist verloren gegangen.

Wenn du mitarbeiten willst, wäre das großartig. Ich brauche jemanden, der überall hingehen, nach dem Rechten schauen und mit den Leuten sprechen kann – um eine Einheit auf höherer Ebene herzustellen. Das wäre eine wirklich großartige Arbeit.

Und wenn dies einmal getan ist, wäre es leicht. Das Geld fehlt nicht, aber es wird verschwendet und zerstreut.

N denkt immer nur an die Sri Aurobindo Society. Er gibt Hundertausende von Rupien für Landkäufe aus, und so versickert dieses Geld einfach, anstatt für die allgemeine Arbeit eingesetzt zu werden1... Ich habe ihm das gesagt, aber er hat nicht verstanden. Das Ergebnis ist, daß er heute krank ist.

So ist das.

Der Erfolg ist gewiß, aber unter der einen Bedingung, daß wir uns vereinen. Wir wollen der Welt die Einheit predigen – anständigerweise sollten wir zumindest selber ein Beispiel dafür geben.

Statt dessen geben wir ein Beispiel für alles, was man nicht tun soll.

Besuchern sagen wir: "Wir streben die Einheit der Menschheit an." – Wir streiten uns und predigen gleichzeitig die Einheit der Menschheit. Das ist einfach lächerlich! Wir können uns nicht einmal auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

Ich sage ihnen das immer wieder, aber sie verstehen nicht.

Willst du mir helfen?

Ja, liebe Mutter.

Gut. Willst du, daß wir zusammenarbeiten?

Ja, liebe Mutter.

Gut.

Ich bin bereit, mit N zu sprechen, wenn Sie mich dazu ermächtigen.

Ja, sprich mit N, das wird ihm guttun.

Ich werde sehr brüderlich mit ihm sprechen, sehr aufrichtig, denn ich habe ihm viel zu sagen.

Gut, gut.

Wenn er wütend wird, sag ihm: "Gut, sprechen Sie mit Mutter!" Dann...

Ich werde versuchen, erst mit N zu sprechen, er ist der schwierigste. Nachher werde ich mit U reden.

U ist sehr intelligent und wird sehr gute Antworten parat haben. (Mutter lacht)

Ich habe schon mit U gesprochen und kenne seine Antworten.

Aber U beginnt sich zu ändern, denn er ist ein äußerst intelligenter Mann, er hat verstanden, daß er sich ändern muß.

Ich bin mit dir.

*
*   *

(Der Architekt geht weg.  Dann tritt R ein, eine amerikanische Schülerin.)

Ich könnte es so ausdrücken: Fortschritt oder Tod. Es ist unerläßlich, daß alle den nötigen Fortschritt machen, sonst... (Geste der Auflösung)

Dieser Brand war sehr symbolisch – du weißt, daß es einen schrecklichen Brand gab.

(R:) Ja, ja. Ich wollte wissen, was seine symbolische Bedeutung ist.

Verstehst du, wir predigen die Einheit, wir sagen, daß die Menschheit eins sein soll, daß alle Anstrengungen auf einen allgemeinen Fortschritt und auf die Ankunft des Supramentals hinzielen sollen... und jeder zieht mit aller Kraft in seine Richtung.

Deshalb wollte ich euch sagen: "Tut, was ihr sagt, sonst werdet ihr untergehen!"

Wir haben keinerlei Recht, der Welt die Einheit zu predigen, wenn wir ihr nur das Beispiel einer großen Entzweiung geben... Das ist so einfach, daß ein Kind es verstehen könnte – und sie verstehen nicht.

Bei mir nimmt die Macht des Bewußtseins ständig zu; die physische Macht ist im Moment – ich sage im Moment – praktisch auf null reduziert. Ich bin gezwungen, hier zu bleiben, ich kann mich um nichts kümmern und muß mich damit begnügen, Leute zu empfangen. Deshalb brauche ich Leute, die die aktive Arbeit verrichten, die ich vorher tat und jetzt nicht mehr tun kann... (Mutter ist außer Atem). Ich kann nicht mehr mit der Kraft sprechen, die ich früher hatte – das Physische ist dabei, eine Transformation durchzumachen. Sri Aurobindo hatte recht, als er sagte (denn einer von uns beiden mußte gehen, und ich bot mich dafür an): "Nein, dein Körper kann durchhalten, er hat die Kraft, sich zu transformieren." – Es ist nicht leicht. Ich kann wirklich sagen, daß es nicht leicht ist. Und mein Körper ist guten Willens, er ist wirklich guten Willens. Im Moment ist er dabei ..., nun, er ist nicht mehr hier und noch nicht dort. Der Übergang ist nicht leicht. Ich sitze hier fest wie eine alte Frau und kann die Arbeit nicht mehr tun.

Wenn ich durchhalte, wird es mit hundert Jahren gut sein. Das weiß ich, ich bin absolut überzeugt, daß ich neue Energien bekommen werde. Aber ich muß durchhalten...

(Schweigen)

Jetzt fehlt es an Geld. Das Geld fehlt, weil es verstreut ist. Die Leute wissen nicht, wofür sie es geben sollen, so geben sie nichts mehr: "Soll ich es hierhin oder dorthin geben?" Also geben sie nichts mehr.

(Schweigen)

Ich kann sehen, ich habe wirklich Gelegenheit genug, das zu sehen: Wenn ich wegginge, hätte ich niemanden hier, es wäre unser Untergang.

(R.:) Oh, der totale Zusammenbruch – nichts!

Wenn die Arbeit getan werden soll und wenn Auroville gebaut werden soll, muß ich demnach nicht nur in meinem Körper bleiben, sondern der Körper muß auch kräftig werden.

Ich weiß das. Alles hängt vom göttlichen Willen ab – Er sagt es mir aber nicht! Ich habe den Eindruck, wenn ich Ihn frage... (ein- oder zweimal stellte ich in schwierigen Augenblicken die Frage hinsichtlich des Körpers), und dann (lachend) scheine ich ein Lächeln zu sehen, weißt du, ein Lächeln, so groß wie die ganze Welt, aber keine Antwort.

Ich kann das Lächeln immer noch sehen: "Versuch nicht, es zu wissen, die Zeit ist noch nicht gekommen!"

(die Uhr schlägt)

Wenn es uns bloß gelänge, immer im wahren Bewußtsein zu bleiben, dann wäre es... ein Lächeln. Aber wir neigen stets zum Tragischen. Das ist unsere Schwäche.

Nur unsere Begrenztheit schafft das Drama. Wir sind zu klein – zu klein und zu kurzsichtig. Aber... das Bewußtsein weiß – es weiß.2

 

1 N wird sich bald als "Eigentümer" Aurovilles ausgeben. Alles von ihm gekaufte Land ließ er auf den Namen seiner "Society" statt auf Aurovilles Namen eintragen.

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2 Aufzeichnung uber dieses Gespräches wurde in Aschrame, und, es ist am meisten wahrscheinlicher, ist für immer verlorengegangen. Der Schüler bewahrte die Audioaufzeichnung selbst, aber in der Regel da konkret diese Aufzeichnung des Architekten schien und Р damals ihm schien es, dass es besser ist, diese Aufzeichnung dem neuen Helfer der Mutter, nach der Übersetzung der Aufzeichnung zur Aufbewahrung zu übergeben.

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