Mutters
Agenda
zwölften Band
18. September 1971
Was hast du zu sagen?
Neulich gabst du mir durch Sujata eine "Neue Schöpfung" [Tuberose]...
Sie ist für DICH.
Bedeutet es, daß...
Ja.
... etwas kommen wird?
Das bedeutet, daß du nicht am Ende bist! (lachend) Du bist nicht am Ende deiner Schreibtätigkeit 1 .
(Mutter schaut Satprem lange an
und geht dann in sich)
Hast du etwas zu fragen?
Nein, und du?
Etwas zu sagen?
Nein, liebe Mutter...
(Schweigen)
Seit einigen Tagen habe ich den recht starken Eindruck, daß wir voller Gespenster sind, das heißt, daß es nicht wirklich Schwierigkeiten, Probleme, Widerstände oder sonst etwas gibt, sondern daß da ein Haufen von Phantomen und alten Dingen ist, und nur unsere Erinnerung an sie belastet uns.
Ja, das ist wahr. Das ist wahr, ich habe die gleiche Erfahrung. Wir selbst (wir, ich meine alle menschlichen Wesen) schaffen die Probleme.
Und diese Erinnerung – ein sehr lästiges Phänomen –, die Erinnerung an einen Haufen alter Dinge läßt die alten Mächte fortbestehen; aber in Wirklichkeit existiert nichts mehr – nur die Erinnerung daran ist noch da.
Ja, ja, so ist es. Das ist wirklich wahr.
(Mutter geht in sich)
Etwas zu fragen?
Nein, wie stehen die Dinge?
Welche Dinge?
Nun, die Welt und du?
Bah!... Alles ist so (Geste in der Schwebe) - alles. Sie sind bereit, sich dort oben zu schlagen [an der Grenze zwischen Indien und Bangladesh], und sie warten endlos darauf, daß man ihnen den Befehl gibt zu kämpfen. Die Armeen sind bereit, alles ist bereit, und man wartet. Alles ist so (die gleiche Geste).
Auf was wartet man denn?
Auf den Befehl der Regierung.
Aber die Regierung wird sich nie rühren!
Doch (Mutter lächelt), sie wird sich rühren. Sie wird gezwungen sein, sich zu rühren. Aber es zieht sich hin.
Jemand von der Regierung kam hierher, geschickt von einer "Kommission", aber durch ihn ist der General, der den Befehl über die Armeen hat, mit mir in Verbindung getreten, und er bittet um meine Segenswünsche. Sie sind bereit. Sie warten – man sagt ihnen "morgen, morgen, morgen"... immer morgen. Ich habe Neuigkeiten von dort.
(Schweigen)
Vor ein paar Tagen sah ich im Traum Indira Gandhi. Sie schien hier zu sein, und sie versuchte uns von etwas zu überzeugen. Was mich vor allem verblüffte, war, daß alles, was sie sagte, auf einem sehr gewöhnlichen Niveau lag, und sie erschien sehr blaß.
Sie ist beeinflußbar. Deshalb gibt es... (Geste eines Hin- und Hergezerrtseins)
Ja, sie richtet sich nicht nur nach deinem Einfluß.
Nein. Sie hört mich an, und dann vermischt es sich mit dem, was ihr die anderen sagen. Deshalb bewirkte es... (Geste eines konfusen Gedränges).
(Mutter geht lange in sich)
Wir befinden uns mitten im Übergang: es ist nicht mehr dies und noch nicht das.
Und die Konzentration der Kraft wird immer größer.
(Schweigen)
Eine seltsame Erfahrung. Der Körper fühlt, daß er nicht mehr der alten Seinsweise angehört, aber er weiß, daß er noch nicht in der neuen ist und daß er... Er ist nicht mehr sterblich und noch nicht unsterblich. Ein sehr seltsamer Zustand. Und manchmal geht man vom schrecklichsten Unwohlsein über zu... einem Wunder – wirklich seltsam... eine unbeschreibliche Glückseligkeit. Es ist nicht mehr dies, und es ist noch nicht das.
Sonderbar. (Mutter schüttelt den Kopf)
(Schweigen)
Etwas wie das Versprechen einer unglaublichen Macht und gleichzeitig die Anzeichen einer solchen Schwäche – nicht Schwäche: Störungen. Störungen und zugleich das Gefühl einer unglaublichen Macht. Beide sind so (Geste, auf der Kippe zu sein). Eine Störung in dem Sinne, daß ich, wenn ich nicht aufpasse, zum Beispiel nicht mehr essen kann. Ich muß aufpassen, ich muß mich ständig konzentrieren, um die Dinge tun zu können. Manchmal ist kein einziges Wort mehr in meinem Kopf, nichts; andere Male sehe und weiß ich, was überall geschieht.
Es ist so (dieselbe Geste wie auf einem Grat).
Ich muß aufpassen, wenn ich mit Leuten zusammen bin, sonst würden sie denken, ich werde verrückt! (Lachen)
Es ist wirklich seltsam. Zur gleichen Zeit eine totale Machtlosigkeit und eine unglaubliche Macht. Die Ergebnisse der unglaublichen Macht werden manchmal bei den Leuten hier und da sichtbar: plötzlich geschehen wunderbare Dinge. Und gleichzeitig... kann ich manchmal nicht mehr essen. Seltsam. (Mutter lacht)
1 Satprems nächstes Werk wird die Trilogie über Mutter sein: 1975 (auf deutsch erschienen beim Verlag Hinder + Deelmann).