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Mutters

Agenda

elften Band

31. Januar 1970

Jemand schrieb mir aus Frankreich, er habe alles mögliche versucht, aber nichts sei ihm gelungen, und er sei völlig verzweifelt... Daraufhin antwortete ich ihm folgendes:

(Mutter reicht Satprem eine Notiz)

In dem Augenblick, wo alles verloren scheint, kann alles gerettet werden. Wenn man das Vertrauen in die eigene Kraft verloren hat, muß man an die Göttliche Gnade glauben.

Das kann vielen Leuten helfen.

Dies wurde schon ich weiß nicht wieviele Male gesagt, aber es scheint immer noch notwendig, es zu wiederholen.

(Schweigen)

Das alte System des Privateigentums bricht jetzt in der Welt zusammen. Wie immer vollzieht sich das jedoch auf eine widerliche Art... Hier haben sie im ganzen Land eine ekelhafte Spioniererei eingesetzt gegen Leute, die ihr Geld gewinnbringend von einem Ort zu einem anderen schaffen. Mir ist das egal, denn ich tue nichts dergleichen, nur weiß ich, daß es hier Leute gibt, die das tun. Und ich will keine Scherereien bekommen.

Man hat S angezeigt, weil sie Geld hatte (ich weiß nicht genau, worum es ging, ich verstehe nichts davon), jedenfalls ging dieses Geld zu einem Freund in Amerika, und dieser Freund hat es ihr wieder geschickt, damit sie darüber verfügen kann. Daraufhin wurde sie aufgefordert, diesbezüglich Erklärungen abzugeben. Aber alles war völlig korrekt... Nun, ich will damit sagen, daß selbst der Ashram unter Verdacht steht.

Falls dich also jemals einer ins Vertrauen zieht, dann sag ihm: "Seien Sie vorsichtig!"

Stell dir vor, die Leute, die S befragten, gaben vor, vom Radio zu kommen. Was für niederträchtige, kleine Lügengeschichten! Sie erschienen und behaupteten, sie kämen vom Radio. Natürlich hat sie sie empfangen. Dann stellten sie ihr Fragen wie: "Haben Sie Geld erhalten? Von wem und wie?..." Woraufhin sie die Wahrheit sagte, das war ganz normal. Danach schrieb sie mir. Ich gab den Brief an C weiter und fragte ihn: "Was ist denn das für eine Geschichte?" Er erklärte mir, daß hier bereits mehrere Leute auf diese Weise belästigt wurden... Sie haben überall im Land ein Überwachungssystem aufgebaut, um verdächtige Leute zu schnappen.

Ich verstehe übrigens nichts davon. Was kann denn schlimm daran sein, Geld von hier statt von dort zu bekommen? Keine Ahnung! Was ist falsch daran? Das ist mir unverständlich.

Es geht wohl mehr um die Lust am Mogeln als um sonstwas – eine oder zwei Rupien mehr, was ist das schon? Das ist nichts. Man reizt die Leute bloß, indem man ihnen sagt: "Das ist verboten". Dadurch bekommen sie sofort Lust, es zu tun.

Aber in der indischen Verfassung steht ein Paragraph, daß persönliches Eigentum in keiner Weise beschlagnahmt werden dürfe, das heißt, man bestätigt das Recht auf persönliches Eigentum. Das wollen sie abändern, indem sie sagen, daß es "Fälle" gibt, wo es beschlagnahmt werden kann. Du verstehst also...

Natürlich weiß ich, daß es vorbei ist, es wird verschwinden – das persönliche Eigentum gehört der Vergangenheit an. Nur... Die Russen hatten erklärt, daß der Staat die Person ersetze, und (lachend) was geschah dann mit dem Staat? – Der Staat bereicherte sich auf Kosten aller. Jetzt sind sie dabei, das wieder rückgängig zu machen. Aber anstatt von dieser Erfahrung zu profitieren, wollen andere Länder nur die gleiche Dummheit wiederholen...

Keiner hat bisher zu sagen gewagt: Das Geld ist eine Kraft, und es gehört niemandem, aber es muß von der selbstlosesten und weitblikkendsten Person (oder mehreren Personen) des Landes gehandhabt werden.

So weit sind wir noch nicht.

Bei weitem nicht!

Das wird noch einige Jahrhunderte dauern – vielleicht nicht ganz so lange.

(Schweigen)

Es ist sehr einfach, man wagt nicht, den Leuten direkt zu sagen: "Ihr habt kein Geld mehr, es gehört euch nicht", aber man hindert sie, es auszugeben, wie und wo sie wollen – ihr habt dazu kein Recht mehr! Ihr habt kein Recht mehr, damit zu tun, was ihr wollt; man nimmt es euch nicht weg, aber ihr dürft es nicht verwenden. Zu was nützt es dann?

(Schweigen)

Es bedeutet eine ENORME Befriedigung, sagen zu können: "Ich besitze nichts – nichts." (Mutter lacht)... Als Sri Aurobindo noch hier war, beklagte sich jemand über den "Luxus", in dem ich angeblich lebte, worauf ihm Sri Aurobindo antwortete: "Die Mutter betrachtet die Kleider, die sie anzieht, nicht als ihr persönliches Eigentum, sondern man hat sie ihr geliehen, damit wir eine gutaussehende Mutter haben, und wenn sie ihren Posten abtreten sollte, würde sie auch auf die Kleider verzichten." (Mutter lacht von ganzem Herzen)

Ich versichere dir, das Leben ist komisch.

(langes Schweigen)

Hast du Neuigkeiten von deinem Buch? 1

Nein, liebe Mutter.

Die Person, die sich darum kümmern sollte, hat auch keine Neuigkeiten?

Nein, nichts Neues. Ich weiß nicht genau, wie ich mich bezüglich dieses Buches verhalten soll. Nicht, daß es mich beunruhigt, aber... ich mache mir Gedanken. Ich frage mich, ob es geführt wird?

Weißt du, mein Kind, MEHR UND MEHR und mit absoluter Sicherheit SEHE ich – sehe und fühle ich: ALLES ist entschieden.

Alles ist entschieden.

Jedes Ding hat seinen Sinn – der sich uns entzieht, weil unsere Sicht nicht weit genug reicht.

Und verstehst du, wenn es anders wäre, dann hätte das Leben, die Existenz und letztendlich die Welt überhaupt keinen Sinn.

Ja.

Dies ist meine felsenfeste Überzeugung. Ich SEHE es – es ist etwas, das ich sehe. Wie soll ich sagen?... Ich bin dabei, für diese Überzeugung zu zahlen. Der Körper erlebt bei seinem Machtwechsel (was ich als Übertragung der Macht bezeichne) schwierige Augenblicke, wirklich schwierige Augenblicke, und deshalb hätte es von einer gewöhnlichen Sicht aus betrachtet überhaupt keinen Sinn, weil, wie es scheint, die Schwierigkeiten im Laufe der "Umwandlung" immer größer werden, aber... für die wahre Sicht (wenn man sich IN der wahren Sicht befindet) ist die noch verbleibende Lüge der Grund für all die Unannehmlichkeiten (die verbleibende Mischung). Sogar auf der rein materiellen Ebene... (auf der Gefühlsebene wurde das schon vor langer Zeit erobert: mit dem Verschwinden der Begierden sind auch ALLE Sorgen verschwunden und durch ein immerwährendes und völlig aufrichtiges Lächeln ersetzt worden – nicht aufgrund irgendeines Willens, sondern mühelos, natürlich und spontan); ich will sagen, daß dies PHYSISCH, materiell ist: Unpäßlichkeiten, Schwierigkeiten und all dies. Im Körper ist es dasselbe. Es ist dasselbe, aber... physisch ist man weniger weit fortgeschritten; die Materie transformiert sich langsamer [als die höheren Ebenen], so kommt es zu mehr Widerstand.

In jeder Minute und in jedem Fall ist die einzige Lösung... (Geste der Hingabe): "Was Du willst." Das heißt die Aufhebung der Vorlieben und Wünsche. Selbst die Vorliebe, nicht zu leiden.

Man kann sich nur sehr schwer vorstellen, daß dieses Bewußtsein... Man versteht gut, daß es in der Unendlichkeit und in der Ewigkeit alles führt, aber führt es auch alles bis ins winzigste Detail?... Da fällt es einem schwer zu...

Auch im Mikroskopischen.

Im Mikroskopischen.

Genau das sah ich – ich verstehe den Grund. Das Problem stellte sich mir heute morgen: Das individuelle Bewußtsein, sei es noch so umfassend, kann sich nicht vorstellen, d.h. konkret begreifen, daß die Möglichkeit besteht, gleichzeitig das Bewußtsein von allem zu haben. Denn das individuelle Bewußtsein ist nicht so beschaffen. Und genau deshalb fällt es ihm schwer zu verstehen, daß DAS Bewußtsein ein Bewußtsein von ALLEM zugleich besitzt: im Ganzen, in der Totalität und im kleinsten Detail. Dies...

Ja, das ist schwierig... Aber es ist ermutigend!

Ach, das gibt einem eine große Ruhe... Ich erzählte dir doch vor einigen Tagen, daß der Körper diese Erfahrung hatte zu sterben, ohne zu sterben, und daß diese Erfahrung dem Körper zeigte: "Gut... es ist gut." Zu akzeptieren, ohne... (wie soll ich sagen?), mühelos EINZUWILLIGEN. Und dann ist es vorbei. Die ganze alte Illusion, daß man mit der Auflösung des Körpers verschwinden wird, ist schon seit langem nicht mehr da. Jetzt ist der Körper selbst vollkommen davon überzeugt, daß sogar, wenn er auf diese Weise zerstreut wird, dies nur sein Bewußtseinsfeld erweitert... Ich weiß nicht einmal, wie ich das erklären soll, denn dieses Gefühl des Persönlichen und der Notwendigkeit des Persönlichen für das Bewußtsein ist verschwunden.

Ich sehe sehr wohl, und der Körper merkt deutlich, daß er nur aufgrund seines Widerstands – seines Widerstands gegenüber der Wahrheit – zu leiden vermag. Überall da, wo eine vollständige Einwilligung besteht, verschwindet der Schmerz augenblicklich.

(Schweigen)

Dasselbe gilt für die Länder und Staaten: Es ist derselbe Machtwechsel. Statt einer persönlichen Macht wird es eine göttliche Macht sein, und derselbe Machtwechsel verursacht das unsägliche Chaos, das wir erleben – wegen des Widerstandes.

(langes Schweigen)

Je mehr sich ein Teil des Wesens (egal welcher) dem Augenblick des Übergangs nähert, das heißt, je mehr er zu diesem Übergang bereit ist, desto größer wird seine Empfindlichkeit. In dem Augenblick, wo man über das Stadium der Probleme hinausgelangen und von der universellen Sicht aus sehen kann, werden die Probleme für die persönliche Empfindlichkeit spürbar schärfer. Dies hatte ich früher schon bemerkt; jetzt wiederholt es sich für den Körper. Seine Empfindlichkeit wird... erschreckend. Leute, die nicht wissen, warum das so ist, sind wirklich entsetzt... Die Möglichkeit des Unwohlseins, des... Dasselbe gilt auch für die Probleme. Für diejenigen, die das WISSEN und die verstanden haben, ist dies die Gelegenheit, einen letzten Fortschritt zu machen und sich so zu verhalten: (Mutter öffnet ihre Handflächen nach oben).

Das, was sich noch der Illusion hingibt, etwas Getrenntes zu sein, muß sich im Grunde auflösen. Es muß sich sagen: "Das geht mich nichts an, ich existiere nicht." Dies ist die beste Haltung, die es einnehmen könnte. Dann... tritt es ein in den großen universellen Rhythmus.

(Meditation)

 

1 Der Sannyasin, der seit einem Jahr in Paris auf einen Verleger wartet. Am Vorabend hatte Satprem einen Brief an Mutter geschrieben, um sie zu fragen: "Wird das Schicksal des Sannyasin von Sri Aurobindo geleitet?" Er hatte den Brief jedoch nicht abgeschickt, sondern hatte ihn in seiner Aktenmappe mitgebracht, ohne ihn zu erwähnen.

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