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Mutters

Agenda

zehnten Band

28. Juni 1969

Hier, dies erhielt ich von der kleinen S.U., immer noch zu deinem Buch:

(Mutter reicht einen Brief)

Liebe Mutter,

Welche Idee steht hinter dem folgenden Satz aus dem Abenteuer des Bewußtseins: "Leider verfügen wir [die westlichen Menschen] über zuviel Scharfsinn, als daß uns ein klarer Blick für das bliebe, was wir praktisch umsetzen könnten, während Indien nicht anspruchsvoll genug ist, um sein äußeres Leben auf den Stand seiner inneren Einsicht zu bringen."

(Mutter lächelt und diktiert sofort:)

Das bedeutet, daß im Westen (besonders in Frankreich) die intellektuelle Entwicklung der spirituellen Entwicklung und der Verbindung mit den höheren Bereichen weit voraus ist, während in Indien das innere Bewußtsein entwickelter war als der intellektuelle Bereich.

Man könnte den Abschnitt auch folgendermaßen übersetzen:

Der Westen drückt mehr aus, als er wirklich weiß.

Indien weiß mehr, als es auszudrücken vermag.

Das genügt.

*
*   *

(Dann liest Satprem Mutter den Artikel vor, den er für
das italienische Fernsehen geschrieben hat.)

Es ist für Paolo, für das italienische Fernsehen.

Du könntest ihn mir vielleicht vorlesen...

Interessiert es dich?... Ich nannte den Artikel: "Der große Sinn".

(Lesung)

Es ist die Zeit des Großen Sinns.

Wir schauen nach rechts oder links, wir bauen Theorien auf, reformieren unsere Kirchen, erfinden Supermaschinen, und wir demonstrieren auf den Straßen, um die Maschine zu zerstören, die uns erstickt – wir kämpfen im kleinen Sinn. Wenn das irdische Boot dabei ist zu versinken, spielt es dann noch eine Rolle, ob die Passagiere nach links oder rechts ertrinken, unter einer schwarzen oder roten oder himmelblauen Fahne? Unsere Kirchen sind bereits versunken: sie reformieren nur noch ihren Staub. Unser Patriotismus vernichtet uns, unsere Maschinen vernichten uns, unsere Kirchen vernichten uns, und wir bauen noch mehr Maschinen, um aus der Maschine herauszukommen. Wir fliegen zum Mond, doch wir kennen nicht einmal unser eigenes Herz und unsere irdische Bestimmung. Wir wollen das Bestehende verbessern, aber dazu ist jetzt keine Zeit mehr: Läßt sich Fäulnis verbessern?...

(Mutter verkneift sich ein Lachen)

... Jetzt ist die Zeit für ETWAS ANDERES. Etwas Anderes heißt: nicht das Gleiche mit Verbesserungen.

Aber wie sollen wir vorgehen?

Man predigt uns Gewalt oder Gewaltlosigkeit. Aber das sind nur zwei Gesichter derselben Lüge, das Ja oder Nein derselben Machtlosigkeit: die kleinen Heiligen sind mit dem Rest gescheitert, und die anderen wollen die Macht an sich reißen – welche Macht? Die der Staatsmänner? Werden wir darum kämpfen, wer den Schlüssel des Gefängnisses erhält? Oder um ein anderes Gefängnis zu bauen? Oder wollen wir wirklich herauskommen? Die Macht kommt nicht aus dem Gewehrlauf, genauso wenig, wie die Freiheit aus dem Bauch der Toten springen kann – schon seit dreißig Millionen Jahren haben wir auf Kadaver, Kriege und Revolutionen gebaut. Wir wiederholen stets nur das gleiche Muster. Vielleicht ist es an der Zeit, auf etwas anderes zu bauen und den Schlüssel zur wahren Macht zu finden...

Das ist großartig, mein Kind, großartig!

... Wir müssen mit dem Großen Sinn schauen.

Dies sagt der Große Sinn:

Er sagt, daß wir vor soundso vielen Millionen Jahren geboren wurden – als Molekül, Gen, ein Stück zuckendes Plasma –, und wir haben einen Dinosaurier, eine Krabbe und einen Affen hervorgebracht. Und wäre unser Auge auf halbem Wege stehengeblieben, könnten wir mit Recht sagen, der Pavian sei der Gipfel der Schöpfung, und es lasse sich nichts Besseres erreichen, außer vielleicht unsere Affenfähigkeiten zu verbessern oder ein vereinigtes Königreich von Affen aufzubauen... Und vielleicht begehen wir heute denselben Irrtum in unserem Betonwald. Wir haben enorme Mittel im Dienste mikroskopischer Bewußtseinsfähigkeiten erfunden, glänzende Kunstgriffe im Dienste der Mittelmäßigkeit und noch mehr Kunstgriffe, um den Kunstgriff zu überwinden. Aber ist der Mensch wirklich das Ziel all dieser Jahre der Anstrengung? Abitur und eine Waschmaschine für alle?

Der Große Sinn, der Wahre Sinn sagt uns, daß der Mensch nicht das Ende ist. Wir suchen nicht den Triumph des Menschen, nicht die Verbesserung des intelligenten Zwerges, sondern einen anderen Menschen, eine andere Rasse hier auf Erden.

Sri Aurobindo sagte: "Der Mensch ist ein Übergangswesen." Wir befinden uns mitten in diesem Übergang, er zerbirst allüberall: in Biafra, in Israel, in China, auf dem Boul'Mich' 1 . Der Mensch fühlt sich unwohl in seiner Haut.

Und der Große Sinn, der Wahre Sinn sagt uns: Das einzig Wichtige ist, uns an die Arbeit zu machen, um diesen anderen Menschen vorzubereiten und an unserer eigenen Evolution mitzuwirken, anstatt in der ausweglosen alten Menschlichkeit im Kreise zu laufen und falsche Mächte zu ergreifen...

Hör' zu, du sagst: "Um einen anderen Menschen vorzubereiten"; wäre es nicht besser zu schreiben: "Um ein anderes WESEN vorzubereiten"?

Ja, richtig.

... Das einzig Wichtige ist, uns an die Arbeit zu machen, um dieses andere Wesen vorzubereiten und an unserer eigenen Evolution mitzuwirken, anstatt in der ausweglosen alten Menschlichkeit im Kreise zu laufen und falsche Mächte zu ergreifen, um über ein falsches Leben zu regieren.

Aber wo liegt der Hebel für die Transmutation?

Er liegt innen.

Innen gibt es ein Bewußtsein, innen gibt es eine Macht: dieselbe, die schon im Dinosaurier drängte, in der Krabbe, im Affen und im Menschen – die noch weiter drängt, noch weiter gehen will, sich in eine immer vollkommenere Form kleidet, je mehr ihr Instrument wächst, und die ihre eigene Form ERSCHAFFT. Wenn wir den Hebel dieser Macht ergreifen könnten, würde sie selber ihre neue Form schaffen, dies ist der Hebel der Transmutation. Anstatt die Evolution über Jahrmillionen fruchtloser und schmerzlicher Versuche weiterkriechen zu lassen, über unnütze Tode und künstliche Revolutionen, die nichts revolutionieren, können wir die Zeit verkürzen, können wir eine konzentrierte Evolution vollziehen – wir können die bewußten Schöpfer des neuen Wesens sein.

Tatsächlich ist dies die Zeit des Großen Abenteuers. Die Welt ist verschlossen, außen gibt es keine Abenteuer mehr, nur noch Roboter, die auf den Mond gehen, und unsere Grenzen werden überall bewacht – von Rom bis Rangun überwachen uns dieselben Bürokraten der großen Mechanik, knipsen unsere Karten, prüfen unsere Köpfe und durchsuchen unsere Taschen – außen gibt es keine Abenteuer mehr! Das Abenteuer ist innen – die Freiheit ist innen, der Raum ist innen, und die Transformation unserer Welt vollzieht sich durch die Kraft des Geistes. Denn in Wahrheit war diese Kraft schon immer da, erhaben, allmächtig, die Evolution vorantreibend: der verborgene Geist wuchs, um zum manifestierten Geist auf der Erde zu werden, und wenn wir Vertrauen haben, wenn wir diese höchste Macht suchen, wenn wir den Mut haben, in unsere Herzen hinabzusteigen, dann ist alles möglich, denn Gott ist in uns.

Zu dumm, daß es kein anderes Wort als "Gott" gibt.

Ja.

Läßt sich da nicht etwas anderes finden?

Das ist großartig, wirklich ausgezeichnet. Nur dieses eine Wort...

(Schweigen)

Der EINE ginge nicht?

Nur werden es die Leute beim Hören nicht verstehen... Könnte man sagen: "das verborgene höchste Licht"?

Aber das schmälert es sehr.

Es ist großartig, mein Kind, wirklich inspiriert. Nur dieses eine Wort... Schon seit so langer Zeit zerbreche ich mir den Kopf, um etwas zu finden...

Der EINE in Großbuchstaben ist gut, wenn es geschrieben ist, aber gesprochen...

Gott ist ein schreckliches Wort. God ist noch schrecklicher. Und was wird es auf italienisch sein?

(Schweigen)

Ist "das Göttliche" zu unpersönlich?

Nein, man kann sagen: "Das verborgene Göttliche"... oder "Das verborgene Wunder wuchs, um das auf der Erde manifestierte Wunder zu werden ..."?

Ja, das Göttliche oder das Wunder. Aber ich denke immer an die Übersetzungen – es wird übersetzt werden... Ich weiß nicht.

Frage Paolo, und laß ihn wählen zwischen "Wunder" und "das Göttliche". Erkläre ihm die Idee. Auf englisch ist the Divine jedenfalls weitaus besser als God 2 .

Ja, gewiß.

Es geht darum, die Idee bestehen zu lassen, ohne das Wort zu verwenden.

Aber der Text ist sehr gut... Genau das, was gesagt werden muß.

 

1 Der berühmte Boulevard Saint-Michel in Paris, gegenüber der Sorbonne, Schauplatz der Studentenaufstände vom Mai 1968.

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2 Schließlich blieben wir doch beim Wort "Gott".

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