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Mutters

Agenda

neunten Band

4. Dezember 1968

(Mutter ist noch immer erkältet)

Was gibt's Neues? Nichts?

Doch: V 1 hat das Bild des Mannes aus dem Vatikan gesehen, und er hat den Eindruck bestätigt, er sagte: "Ja, das ist er."

Das ist er also... (Mutter betrachtet das Foto)

Merkwürdig, dabei ist er ein intelligenter Mann. Aber diese Leute sind Heuchler; sie denken eine Sache und handeln nach einem ganz anderen Prinzip.

Der Mann ist nicht unempfänglich – er wäre fähig zu verstehen.

Mir erscheint er als grausam.

Grausam ...

V sieht das auch so: "He can kill" [Er geht über Leichen].

He can kill... das ist möglich.

Das ist die andere Seite seiner Natur. Es gibt viele Leute, die über Leichen gehen würden, wenn sie den Mut dazu hätten.

In ihren Gefühlen gehen sie über Leichen.

(Schweigen)

Die Tapasya des Körpers ist wirklich interessant. Der Körper ist von vollendeter Bescheidenheit, weißt du; er hat eine sehr akute Wahrnehmung all seiner Einschränkungen, seiner Unfähigkeiten, seiner Unwissenheit, all seiner... und gleichzeitig – vollkommen gleichzeitig – das ABSOLUTE Gefühl der göttlichen Gegenwart, absolut; und zwar einer göttlichen Gegenwart, die alles zerschmettern könnte, wenn sie nur wollte. Das ist ungeheuer interessant... Eine Gegenwart von einer solchen Macht! Eine unvorstellbare Macht, ohne jegliches vergleichbare Maß mit irdischen Dingen.

Der Körper hat den sehr starken Eindruck (eine Art Bewußtsein), daß seine Leiden nur von seiner Unfähigkeit herrühren. Eine Wahrnehmung, daß er die GEWOHNHEIT hat, etwas in Leiden zu verwandeln, was er nicht auszuhalten vermag.

(Schweigen)

Vorhin sah ich Z. Sie ist voller Auflehnung, denn vor langer Zeit hatte ich mit ihr über etwas gesprochen, das sie nicht verstand, es ging um das Kino (eigentlich steckte etwas anderes dahinter): sie geriet in ein Loch. Jedenfalls war sie hier (ich hielt ihre Hand), und mein Körper spürte, daß es sich um die genau gleiche Art von Materie handelte – eine Art Gemeinschaftlichkeit und Identität –, zugleich amüsiert und sehr lieb, aber auch mit einer so ungeheuren Macht, mein Kind, einfach ungeheuer! Der Körper war sich bewußt, daß dies ein Wesen zerschmettern könnte. Und Das blieb ganz ruhig (Geste eines stillen Zeugen), es griff nicht ein. Diese Macht, die sich mit der vitalen Macht manifestieren könnte (sie beherrscht das Vital und kann sich seiner bedienen), kann die Dinge in vollkommener Reglosigkeit auflösen. Wirklich erstaunlich.

Der Körper irrt sich nicht, er weiß, worum es geht. Er weiß vor allem eines: nur wenn er und weil er vollkommen friedlich sein kann – friedlich wie etwas vollkommen Durchlässiges und Regloses –, kann diese Macht wirken. Und er weiß, daß diese vollkommene und durchlässige Reglosigkeit das einzige ist, was von ihm verlangt wird.

(Schweigen)

Um auf diesen Mann vom Vatikan zurückzukommen, er ist einer von jenen, die Handlungsprinzipien haben und die aus Überzeugung ihren besten Freund umbringen (oder umbringen lassen) könnten. Das ja.

Eine Art "Großinquisitor".

Ja.

Wenn wir unsere Ruhe haben wollen, ist es das beste, ihre Aufmerksamkeit nicht auf uns zu ziehen!

Aber er beobachtet P.L.: in der Vision beargwöhnte er dein Symbol am Hals von P.L.

P.L. trägt es?

Ich weiß es nicht. V sah P.L. mit deinem Symbol um den Hals, und dieser Mann betrachtete argwöhnisch dein Symbol.

Aber ich glaube nicht, daß P.L. es trägt.

Doch, ich glaub schon, aber natürlich versteckt, nicht offen.

Versteckt macht es nichts.

Ja, aber dieser Mann ist ein scharfer Beobachter, er hat sein Auge darauf.

P.L. sollte gut aufpassen.

Das habe ich ihm gesagt.

Sie werden in derselben Kommission sitzen. 2 Das ist hoch interessant! (Mutter lacht)

Dies... (wie soll ich sagen?) ich habe diese ganze Geschichte (die Kirchenreformen) der Gnade anheimgestellt. Und ich erwarte, daß sich einige interessante Dinge tun werden, denn man weiß nicht... Die Menschen sind sich der wunderbaren Macht der Gnade nicht bewußt, selbst für die Ungläubigsten und Feindlichsten.

(Schweigen)

Dieser Körper ist sehr einfach, er hat die Einfachheit eines Kindes. Heute morgen wurde er von Visionen förmlich bedrängt – nicht "Visionen", ich weiß nicht, wie ich das sagen soll... es waren nicht genau Erinnerungen sondern Dinge, die kamen und die alles nur Mögliche ausdrückten: Haß, Gewalt (du weißt, was ich meine, eben diese Seite der Dinge), und er sah sich das alles an, er sah und spürte diesen Ansturm, und ganz spontan sagte er zum Göttlichen (er verharrt in dieser steten Kommunion mit dem Göttlichen): "Warum trägst Du das in Dir?" Einfach und geradeheraus wie ein Kind: "Warum trägst Du all das in Dir?" Und in dem Moment, als er das sagte, hatte er gleichsam eine Vision, eine über die ganze Erde ausgedehnte Vision aller Schrecken, die dort ständig geschehen: "Warum trägst Du das ..." Und die Antwort ist immer die gleiche, sie ist immer hier (Geste um den Kopf herum): "In Meinem Bewußtsein sind die Dinge anders." Oder eher: "In Meinem Bewußtsein haben die Dinge einen anderen Anschein." Und dann dieses Beharren: "Arbeite daran, das wahre Bewußtsein zu erlangen!" Das WAHRE Bewußtsein, das alles enthält.

Heute morgen verstand er sehr klar... All dies waren keine Gedanken, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, es sind nicht direkt Empfindungen sondern Wahrnehmungen, Eindrücke, ich weiß nicht (Mutter macht eine Geste, als ob sie die Luft abtastete), er verstand, warum die Trennung während einer gewissen Zeit für das innere Wachstum des Wesens notwendig war. Wäre von Anfang an die Wahrnehmung dagewesen, die er jetzt hat, nämlich daß alles im Herrn enthalten ist, auch all die Dinge, vor denen es ihn beispielsweise vor kurzem noch graute (jetzt nicht mehr auf die gleiche Weise): bestimmte Grausamkeiten, bestimmte Dinge, die einen wirklichen Abscheu im Körper hervorriefen... Jetzt ist das nicht mehr so, dennoch ist er nicht glücklich damit; er mag sich demgegenüber indifferent zeigen (Geste eines Zeugen), kann aber nicht glücklich damit sein. Und er hat verstanden, warum diese Abscheulichkeiten notwendig waren; warum es eine Zeit gab, in der es notwendig war, daß die manifestierte Welt, die Welt der Manifestation außerhalb und getrennt vom Herrn erschien...

(Nach einem Schweigen) Man muß sich diesen unwandelbaren Frieden zueigen machen, man muß weit wie das Universum werden, um den Gedanken ertragen zu können, daß ALLES der Höchste Herr ist.

Und der Körper hat verstanden, daß er diese Erfahrung erst jetzt hat, weil er erst jetzt genügend bewußt und ergeben ist (ergeben im wahren Sinne des Wortes; fast könnte man sagen "identifiziert", obwohl dies ein allzu großes Wort ist, denn er weiß, daß es nicht das ist, daß die Identifikation etwas anderes sein wird), erst jetzt ist er einfach fähig und bereit, die Vorstellung zu ertragen, daß alles der Herr ist, daß es NUR den Herrn gibt. Früher hatte er über lange Zeiträume hinweg das Bedürfnis zu spüren, daß all diese Bewegungen (vorwärtsweisende Geste) zum Herrn führen und daß all jene Bewegungen (rückwärtsweisende Geste) vom Herrn wegführen. Während langer Zeit war diese Wahl notwendig. Nun ist er jedoch dabei, seine Tapasya zu machen, um diesen Gedanken ertragen zu können – und zwar ohne die Bewegungen der Erniedrigung und Grausamkeit zuzulassen oder zu akzeptieren... Das heißt, er beginnt zu erkennen, daß die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen; daß wir nur eines Anscheins gewahr werden und daß die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen.

Das Gehirn kann das nicht begreifen. Das Mental kann über alles spekulieren; hier handelt es sich jedoch um etwas anderes, hier gibt es kein Mental. Das Gehirn, diese Fähigkeit... (Mutter verweilt in Betrachtung)

Erst heute morgen noch, den ganzen Vormittag lang, bestand... (wie soll ich sagen?) eine Art Staunen, aber ohne die Freude des Staunens, auch hatte es nicht die Dummheit der Bestürzung, es war... etwas... ja, ein Zustand. Er stellt fest, was das Leben ist (jedenfalls das, was es für unser aktives, äußerliches Bewußtsein ist), was das Leben, so wie es zu sein SCHEINT, ist... Und es fällt ihm sehr schwer, nicht ständig zu fragen: Warum-warum-warum? Warum nur?... Und wenn er dann so schaut, überkommt ihn eine große Traurigkeit, und es wird ihm klar, daß es nicht das ist. Was bedeutet diese Traurigkeit?... Es muß sich um eine Tür handeln, die sich auf etwas anderes hin öffnet... etwas, das er noch nicht begreift.

Warum ist die Welt so? Warum all diese Abscheulichkeiten? Warum nur?... So ging es ihm heute morgen. Und weil er diese ungeheuer starke Empfindung hat, im Herrn zu sein, hat er einen Eindruck, wohin dies führt, was kommen wird. Und zwar mit einem VOLLKOMMENEN Vertrauen... Aber er weiß noch nicht, was es sein wird.

Die ganze Zeit wird er mit dieser Erfahrung konfrontiert, daß, wenn man sich so verhält (Mutter dreht zwei Finger in eine Richtung), d.h. dem Göttlichen zugewandt, sich die Dinge auf wunderbare Weise ordnen – auf wunderbare und unerhörte Weise –, und daß es ausreicht, nur ein wenig anders zu sein (Mutter kippt die beiden Finger in die andere Richtung), damit alles widerlich wird, alles schlecht geht, alles knirscht: eine WINZIG KLEINE Bewegung entweder einer vertrauensvollen Öffnung oder des gewöhnlichen Bewußtseins (kein revoltierendes oder verneinendes Bewußtsein, überhaupt nicht: bloß das gewöhnliche Bewußtsein, das alltägliche Bewußtsein der Leute – eben das gewöhnliche Bewußtsein), und dies genügt, um... Im einen Fall wird es entsetzlich, und so (Geste in die andere Richtung) wird alles auf wunderbare Weise herrlich. Das gilt für die winzigsten, belanglosesten Dinge, d.h. es gilt für ALLES – ohne "wichtige" und "unwichtige" Dinge, nichts von alledem, es gilt für alles: es wird auf ganz einfache Weise wunderbar, und dabei ist es dasselbe. Im einen Fall geht es einem schlecht, man leidet, man ist elend und wird regelrecht krank, und im anderen Fall... Dabei ist es dasselbe.

Dies geht jetzt so weit, daß der Körper völlig bestürzt darüber ist, daß man das gewöhnliche Leben mit dem gewöhnlichen Bewußtsein leben und dabei noch zufrieden sein kann. Das erscheint ihm entsetzlich, absolut entsetzlich. Und dieses Leben im Chaos, in Häßlichkeit, Bosheit, Egoismus und Gewalt, oh!... die Grausamkeit, alle nur erdenklichen Greueltaten, wobei man das noch natürlich findet... Dann sagt sich der Körper: "Dies muß wohl als eine bestimmte Entwicklungsphase notwendig gewesen sein, und es ist eine Auswirkung der Gnade, darüber läßt sich nichts sagen, man kann sie nur still bewundern."

Dabei ist es völlig klar – vollkommen klar –, wenn die Welt, die Schöpfung so wäre, wie sie dem Körperbewußtsein in seiner gegenwärtigen Verfassung zu sein scheint, gäbe es nur eins zu tun, nämlich sie aufzulösen... Hier liegt offensichtlich die Erklärung – und die Legitimierung – aller nihilistischen Religionen und Philosophien. Man muß von einer völlig unbewußten Gefühllosigkeit sein, um in dieser Abscheulichkeit, die die Welt ist, glücklich und zufrieden leben zu können. Und all dies... IST der Herr, und nicht nur IST Er es, sondern all das ist IM Herrn; das heißt, es ist nicht so, wie wir uns das vorstellen, nämlich Dinge, die in Bausch und Bogen verurteilt wurden, nein, keineswegs – all dies ist IM Herrn...

So ist das, mein Kind.

Verstehst du, der Körper hat diese Erfahrung: er ist vollkommen durcheinander, ist erkältet, hat hier ein Weh und dort ein Weh... und wenn er sich in einer bestimmten Grundhaltung befindet (kann man das Haltung nennen? ich weiß es nicht), auf jeden Fall ein Bewußtseinszustand: nichts mehr! All das existiert nicht mehr, keine Spur mehr davon – keine Erkältung mehr, kein Schmerz mehr, nichts, alles weg! Es ist allerdings stets bereit, wiederzukommen... Und es ist nicht nur fort (das wäre ein psychologisches Phänomen), sondern die UMSTÄNDE selbst in der Umgebung VERÄNDERN sich. Sie sind anders: im einen Fall ist alles verdreht und verzerrt, während im anderen Fall...

(langes Schweigen)

Der Vorteil des Körpers gegenüber dem Mental besteht darin, daß er sehr wohl versteht (für ihn ist das völlig natürlich), daß diese ganze Sicht- und Ausdrucksweise eben nur eine Sicht- und Ausdrucksweise ist; daß man das genaue Gegenteil haben kann und daß dies ebenso wahr sein kann, und noch etwas anderes, das ebenso wahr ist, und daß schließlich alles, was man sagt und denkt, nur... Anschauungsweisen sind. Das Mental hat Schwierigkeiten damit, doch der Körper weiß dies sehr wohl... Aber...

(langes Schweigen)

Es läßt sich nicht ausdrücken.

(Schweigen)

Wie sind deine Nächte?

Nicht gut.

Immer noch dasselbe?

Ja, nicht gerade schön.

Unverändert?... Gut.

Der Körper kennt einen Zustand, in dem er nicht auf die gewöhnliche Weise schläft (was man "schlafen" nennt), stattdessen besteht ein Zustand (den man als Harmonie bezeichnen könnte, keine aktive sondern eine vollkommen reglose Harmonie), in dem die Zeit nicht mehr existiert, das heißt, er kann zwei oder drei Stunden so verbringen und meint, es seien fünf Minuten. So vergeht die Nacht jetzt, das passiert immer häufiger. Ich habe den Eindruck, daß dies deinen Schlaf verändern wird (ich denke oft daran, beinahe täglich), ja, das ist es: in diesen Zustand eintreten, bei dem es sich überhaupt nicht um Schlaf im gewöhnlichen Sinne handelt, wo man träumt und agiert und das Unterbewußtsein so aktiv ist – nein, nichts davon.

All dies ist noch im Anfangsstadium. Man muß Geduld haben.

Ich habe mich gefragt... In letzter Zeit erwachte ich morgens häufig mit Augenschmerzen. Ich frage mich, woher das kommt?

Arbeitest du abends viel?

Ein normales Pensum. Merkwürdigerweise lassen die Schmerzen im Laufe des Tages nach. Nachts tun mir die Augen dann wieder weh. Woran liegt das?... Ich habe mich gefragt, ob mich da nicht etwas Subtiles belästigt. 3

(Mutter verharrt in Betrachtung)

 

1 Derjenige, der anfangs den Prälaten sah, der Mantras wiederholte und eine Mitra trug.

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2 Die mit der Kirchenreform beauftragt ist.

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3 Diese merkwürdigen nächtlichen Schwierigkeiten sollten noch lange anhalten und sind vielleicht verbunden mit den Machenschaften im Umkreis von P.L. – 1969 wird davon in der Agenda wieder die Rede sein.

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