Mutters
Agenda
neunten Band
Ich habe nichts zu sagen. Ich kann wieder sprechen, aber ich habe nichts zu sagen!
Geht es besser?
Ich muß fast überhaupt nicht mehr husten... aber ich habe nichts zu sagen.
(Schweigen)
Dieses Physische, das physische Bewußtsein... ich glaube nicht, daß es sich um ein persönliches physisches Bewußtsein handelt: das allgemeine physische Bewußtsein in diesem Körper wurde von einem Mitleid ergriffen, oh!... Ich kann nicht sagen "Mitleid"... Es handelte sich um etwas ganz Besonderes, ein sehr inniges und zärtliches Mitgefühl für die physische Lage der Menschen. Das ergriff mich in ungeheuren Ausmaßen. Im Bewußtsein gab es nur noch das, und hätte ich mich nicht beherrscht, hätte ich unentwegt geschluchzt...
Dies war das Thema der letzten Tage.
Und so kam gleichsam von unten, aus den Tiefen, die Wahrnehmung des göttlichen Mitgefühls – die Art und Weise, wie es vom Göttlichen gesehen und empfunden wird... Das war wunderbar.
Dies stand sehr im Vordergrund.
Es gab sozusagen keine äußeren Widersprüche – ich empfange nicht viele Leute, und unter ihnen ist nur EINE Person, die in einem freudvollen Bewußtsein lebt. Eine einzige unter all den Leuten, die ich kenne. Und auch dann noch verhält es sich bei ihr nur deshalb so, weil sie in einem sehr harmonischen vital-mentalen Bewußtsein lebt und darin sehr glücklich ist... Ich habe jedoch das Gefühl, wenn man es ein wenig ankratzt...
Ja, der Zustand des menschlichen Körpers ist äußerst elend.
Sehr elend.
Ja, sehr elend.
Wirklich sehr elend.
Oh, dies hat überhaupt nichts mit den vitalen und mentalen Schwierigkeiten und all dem zu tun... Der Körper ist sich ihrer nicht bewußt – das interessiert ihn einfach nicht; wenn die Leute von vitalen oder mentalen Schwierigkeiten erzählen, erscheint ihm das vollkommen kindisch. Es geht um das ELEND, in dem der Körper lebt, dies ist wirklich entsetzlich.
In manchen Augenblicken kam sogar...
Wie ich schon sagte, besteht ein BESTÄNDIGER Anruf an das Göttliche, und in sehr starkem Maße sogar... (wie soll ich sagen?) die Wahrnehmung Seiner Gegenwart, und so herrscht eine Art Widerspruch... Als das einsetzte, sagte ich: "Wie ist es nur möglich, daß Du dies wollen kannst?"
Weißt du, seit sehr langer Zeit – seit Jahren – ist die spontane Haltung (nicht das Ergebnis einer Anstrengung), die spontane Haltung des Körpers folgende: "Meine eigene Unfähigkeit und mein Unwissen, meine Ohnmacht, meine Schwachsinnigkeit sind die Ursache meines Elends." Er allein hält sich für all dieses Elend verantwortlich. Und darin besteht der Widerspruch: "Warum-warum-warum willst Du es so? Warum nur?"
So verbringe ich beinahe ganze Tage und Nächte im Schweigen (d.h. ohne zu sprechen), aber ich sehe – ich sehe... Dabei besteht weder die Empfindung noch die Wahrnehmung einer getrennten Individualität, und unzählige Erfahrungen treten auf, Dutzende täglich, die verdeutlichen, daß gerade die Identifikation oder Vereinigung mit anderen Körpern bewirkt, daß man das Elend des einen und des anderen spürt... Dies ist eine Tatsache. Dabei wird es nicht so erlebt, als geschehe es in einem anderen Körper, sondern in seinem eigenen. Deshalb ist es jetzt sehr schwierig, auf dieser Ebene eine Unterscheidung zu treffen... (Mutter streckt ihre Hände weit aus) auf einer Ebene, die nur ein ganz klein wenig subtiler ist als die rein materielle... Somit ist es nicht die Klage über sein eigenes Elend, sondern ALLES ist sein Elend.
Es ist also keine egoistische Klage.
Ich habe die sehr deutliche und spontane Wahrnehmung, daß es unmöglich ist, ein winziges Stückchen vom Ganzen herauszuziehen und daraus etwas Harmonisches zu gestalten, solange alles übrige unharmonisch bleibt.
Warum aber bleibt es so, warum nur?... Ich begreife das einfach nicht... Als der Körper sich noch von den anderen abgetrennt fühlte (vor sehr langer Zeit), und vor allem vom Göttlichen abgetrennt, da war dies noch verständlich: dazu gibt es nichts zu sagen, das ist ganz natürlich und vollkommen verständlich. Aber jetzt, wo für ihn wirklich ALLES das Göttliche ist, wieso führt das nicht die Harmonie herbei?... Auf vitaler und mentaler Ebene (und selbstverständlich bei dem, was darüber liegt), bringt die Erfahrung der Identität gleichzeitig die Seligkeit, die Wonne. Hier (im Körper) besteht die Identität, aber KEINE Seligkeit. Warum nur?
Es ist durchaus möglich, daß er etwas hätte spüren können, wenn er abgeschnitten geblieben wäre – das ist jedoch nicht das Wahre! Das wäre eine Lüge gewesen, folglich... Weißt du, diese Identität ist nicht das Ergebnis einer Anstrengung, sie ist nicht das Ergebnis eines Willensaktes: sie ist eine TATSACHE – eine spontane Tatsache, um die ich mich in keiner Weise bemüht habe. So hat das angefangen. Und der Körper selbst befindet sich in einem Zustand... ich kann nicht sagen "prekär", aber es ist jedenfalls nicht besonders erfreulich. Es hat ihm keine physische Harmonie vermittelt.
Weil es noch alles andere gibt.
Genau!
Von Zeit zu Zeit kommt für... nicht einmal einige Minuten (eher Sekunden) eine deutliche Wahrnehmung der echten Identität, die eine vollkommene Harmonie ist, und dort hören alle Störungen auf – materiell jedoch bestehen sie immer noch! Nehmen wir eine sehr einfache Sache: z.B. wackeln alle meine Zähne – das ist eine TATSACHE –, und es stimmt, daß logischerweise ein solcher Zustand sehr schmerzhaft sein müßte: er ist es jedoch nicht, und ich sehe sehr wohl, daß dies aufgrund einer Gegenwart so ist – das verstehe ich sehr gut. Andererseits jedoch verheilt es auch nicht, ganz im Gegenteil! Es ist unheilbar. 1
Das Physische ist wirklich... ein Mysterium.
Ich verstehe die Leute, die gesagt haben: "Das muß man aufheben, das ist eine Lüge." Und dennoch stimmt das nicht, das Physische ist keine Lüge, es ist... was ist es wirklich? Zu sagen, es handle sich um eine "Entstellung", besagt gar nichts.
(Schweigen)
Die Macht der Linderung (nicht der Heilung: der Linderung) ist sogar stärker geworden. Wenn man mir berichtet, daß jemand krank ist, habe ich in 99% aller Fälle die Sache schon AM EIGENEN LEIBE VERSPÜRT, und wenn man mir es dann erzählt, sage ich: "Aha! Diese Person ist es also." Ich habe es bereits als Teil meines physischen Wesens verspürt (ausbreitende Geste), ein grenzenloses physisches Wesen ohne scharf umrissene Gestalt. Handelt es sich bei dieser Präzision und dieser Trennung... (wie soll ich sagen?)... handelt es sich dabei etwa um das Hindernis oder um die Ursache (wahrscheinlich um beides), welche die Begründung der Harmonie verhindern? Denn wir sind TATSÄCHLICH abgetrennt. Kannst du dir vorstellen, wie es in einer Welt zugehen würde, die nicht abgetrennt wäre?... Denn hier wird es ernst: Wenn die Welt, um so zu sein, wie sie ist, effektiv abgetrennt sein muß und wenn diese effektive Trennung der Grund all dieses Elends ist, dann... Und doch weiß ich (ich weiß nicht genau wie, auch bin nicht "ich" es, die dieses Wissen hat: darin gibt es kein "Ich"), ich WEISS (das große "Ich" weiß), daß die Auflösung, das Verschwinden der Welt NICHT die Lösung ist... Aber was dann?...
Dies hier ist die einzige Welt, wo die Trennung nicht das Ergebnis eines Bewußtseinszustands sondern eine TATSACHE ist, folglich...? Überall sonst ist sie das Ergebnis eines Bewußtseinszustandes: verändert sich das Bewußtsein, so verändert sich der entsprechende Sachverhalt – hier nicht. Dies ist die einzige derartige Welt: hier (die Materie). Und dennoch ist die Trennung eine Lüge.
(Schweigen)
Man kann sich gut eine bedeutende Verbesserung durch die Ausbreitung des wahren Bewußtseins vorstellen, denn, wie ich dir sagte, gibt es sehr konkrete Erfahrungen (von völlig flüchtiger Natur, aber immerhin) einer Harmonisierung, die bis ins Materielle reicht und die auf diese Weise ganz wie ein Wunder erscheint. Man kann sich jedoch vorstellen, daß die Wiederherstellung des wahren Bewußtseins und der Harmonie, die das mit sich bringt, einen beträchtlichen Unterschied machen würde... Wahrscheinlich einen ausreichenden Unterschied, damit sich ein harmonischer und fortschreitender Zustand verwirklichen könnte: in Harmonie statt im Elend.
Vielleicht ist dies das höchste Wunder, das das Göttliche zu verwirklichen sucht: die Trennung – eine existierende Tatsache – und der Bewußtseinszustand der Einheit.
(Schweigen)
Soviel weiß ich jetzt auf jeden Fall... Die Arbeit in den anderen Seinszuständen (selbst im Subtilphysischen) ist ein Kinderspiel im Vergleich dazu. Die Schwierigkeit liegt hier.
(Schweigen)
Somit kann man sich leicht eine Verbesserung vorstellen, sogar eine beträchtliche Verbesserung, einen viel harmonischeren Zustand als den gegenwärtig existierenden. Denn das, was existiert, ist wahrlich eine Hölle; nur das Bestehen dieser Möglichkeit bewirkt, daß es keine Hölle ist – weil es hinter der Hölle diese Möglichkeit gibt, die lebendig und real ist, die existiert, greifbar ist und in der wir leben können –, ansonsten ist es höllisch... Man hat den Eindruck, daß all die Seinszustände des Wesens verquirlt wurden (so wie man Mayonnaise anrührt!), alle Seinsebenen sind in einem großen Durcheinander vermischt, und dadurch wird die "entsetzliche Sache" erträglich... wegen all dem anderen, das sich darin auch noch befindet. Wenn man sie aber heraustrennt... (Geste eines Schreckens)
Was hast du dazu zu sagen?
Dies bedeutet, daß das Bewußtsein DES GANZEN sich verändern muß. Es ist stets das gleiche Problem: Wenn das GANZE fortgeschritten ist und sein Bewußtsein verändert ist, müßte sich auch die materielle "Tatsache" ändern.
So sieht es aus.
Ja.
Es gibt kein Mittel, dem als einzelner zu entkommen.
ALLES muß sich verändern.
Die Individualität ist nur ein Handlungsmittel für die Veränderung des Ganzen.
Ich verstehe sehr gut, daß immer gesagt wurde, man müsse sich dem entziehen. Eine solch ungeheure Transformation ist notwendig... das bedeutet fast eine unmöglich lange Zeit.
Sobald man dem entrinnt, ist man frei, aber solange man sich noch darin befindet...
Man kann nicht "einen" allein transformieren, ohne alles zu transformieren.
Ja, genau. Genau darum geht es.
Das heißt, "einer" beschleunigt die Transformation des Ganzen.
Ja.
Und dies bedeutet das große Surrender: "Weil es so ist, ist es eben so"... Erschreckend.
Deswegen gibt es Leute, die sich aus dem Staub machen (selbst wenn es nichts nützt, denn sie müssen ja wiederkommen). Sie wollen sich erholen! (Mutter lacht)
Wenn es nicht unerträglich wäre, würde es sich offensichtlich nie ändern. Aber gerade weil es unerträglich ist, hat man große Lust, sich dem zu entziehen – aber das ist unmöglich, nur in ihrer Torheit können sie glauben, daß man aus dem heraustreten kann. Man erholt sich nur eine Zeitlang.
Das bedeutet, daß die Arbeit liegenbleibt. So verzögert sich nur das Ergebnis.
Und dennoch hat man den Eindruck, wenn es durch irgendein Wunder EINEM Individuum gelänge, sich physisch zu supramentalisieren, wäre dies ein so schlagendes Beispiel für die übrige Welt, daß... Ich weiß nicht, das würde sie umwerfen.
Das wäre immer noch eine bloße Teillösung.
Ja, aber es würde ihr Bewußtsein gründlich aufrütteln...
Es wäre kein allgemeiner Zustand, es könnte nichts weiter als eine Teillösung sein. Aber es WIRD sein. Das ist Teil des Plans. Die Vollkommenheit EINER Verwirklichung hängt jedoch von der gesamten Verwirklichung ab. Es kann durchaus schon eine bestimmte "Quantität" der Verwirklichung erreicht werden, das ist unstrittig – genau dies wird die supramentale Spezies verwirklichen, das ist völlig einleuchtend.
Ich meine, wenn jetzt durch irgendein Wunder EIN WESEN leuchtend wahr würde, könnte dies die übrige Menschheit so gründlich packen, daß es diese Menschheit auf den Weg der Wahrheit brächte – EIN Beispiel.
Aber ja. Das jedoch...
(Schweigen)
Hoffen wir es!
(Schweigen)
Das bedeutet wahre Hingabe...
(lange Kontemplation)
Vielleicht ist es das Wunder der wahren Hingabe?... ("Hingabe", das stimmt wieder nicht; auch ist es nicht Surrender [Überantwortung]: es handelt sich um etwas wie eine Annahme, eine Akzeptanz, die gleichzeitig die völlige Aufhebung aller Trennung bedeutet). Das, auf vollkommene Weise... vielleicht. Wir werden ja sehen.
Voilà.
Nächstes Mal ist dein Geburtstag: eine neue Geburt.
(Schweigen)
Du hast es ins Auge gefaßt... also mußt du versuchen, es zu verwirklichen.
1 Sri Aurobindo erzählt in einem Brief (Cent. Ed., Bd. 26, S. 352-353) die Geschichte eines Yogins, der sein Leben beliebig verlängern konnte (er lebte über 200 Jahre), dabei jedoch bis zum Ende immer an den gleichen Zahnschmerzen litt – es gelang ihm nie, diese zu heilen. Es handelte sich um Swami Brahmananada, der eines Tages im Jahre 1900 einem Besucher namens Mazumdar erklärte: "Dieser Zahn ärgert mich schon seit den Tagen des Bhao Girdhi" (d.h. seit 1761).