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Mutters

Agenda

neunten Band

7. August 1968

(Als Satprem die Treppe zu Mutters Räumen hinaufsteigt, kommt ihm der Arzt entgegen und unterrichtet ihn davon, daß Mutter Schmerzen in der Brust hat und daß sich ihr Herz in einem schlechten Zustand befindet. Mutter sitzt in ihrem Sessel und wirkt sehr bleich.)

Wir müssen die Botschaft für den 15. August übersetzen. Ich habe folgendes Zitat ausgesucht (Mutter reicht Satprem ein Blatt Papier):

"One needs to have a calm heart, a settled will, entire self-abnegation and the eyes constantly fixed on the beyond to live undiscouraged in times like these which are truly a period of universal decomposition." 1

Sri Aurobindo
May 6, 1915

(Schweigen)

Befinden wir uns in Zeiten einer universellen Zersetzung?

(Mutter lächelt und nickt)

Hast du etwas Neues?

Aus Rom?... P.L. wird am Ende des Monats kommen. Der Monsignore kann nicht sofort kommen, will es aber später tun. Übrigens hat er einen sehr guten Brief geschrieben.

Oh! Möchtest du ihn vorlesen?

Er ist an J adressiert, als Antwort auf den Brief, den ich schrieb, in dem ich ihm sagte, daß du ihm innerlich "in reichem Maße" auf seinen Brief geantwortet hast, besser als es Worte vermöchten. Darauf sagt er:

"Viele Male bin ich in direktem Kontakt mit Mutter gestanden, und ich spüre, wie ihre Kraft mich umhüllt. Gestern begann ich mit der Lektüre von Mutters Gebete und Meditationen. Sie sind eine wahre Pracht. Mit P.L. sprechen wir jeden Tag über Sri Aurobindos Ashram. Jeden Tag. Der Herr hat Sie bei der Hand genommen und Sie in diese Oase des Friedens und des Lichts geführt: Seien Sie ihm dankbar! Ich beneide Sie so... Mit P.L. bilden wir ein unschlagbares Team. Wir haben große Pläne... und wir werden sie verwirklichen. Ich hielt mich für "alt", aber P.L. eröffnete mir: "Sie werden erst dann alt, wenn Sie aufhören, Fortschritte zu machen.""

Gut.

Hast du Neuigkeiten von deinem Verleger in Paris über den Zyklus der menschlichen Entwicklung?

Nein, nichts.

Bah!

(Mutter tritt in eine lange Kontemplation ein)

Folgendes geschah: der Körper empfindet plötzlich (ja, wirklich, eines Tages hat es ihn regelrecht gepackt) eine Art von... nicht direkt Ekel, aber auf jeden Fall eine Unzufriedenheit mit seiner Seinsweise und all seinen Regungen, mit seinem ganzen Bewußtsein und... (es ist klar, daß dies einer Bewegung entsprach, einer ihn betreffenden Bewegung der Transformation): eine völlige Zersetzung. Und ganz spontan, mit aller Aufrichtigkeit, zu der er fähig ist, gab er sich der Transformation hin und sagte: "Entweder Transformation oder Auflösung." Einfach so.

Somit scheinen die Dinge einen beschleunigten Kurs genommen zu haben, und die ganze alte Energie, die im Grunde nur vom Ego, vom Gefühl der eigenen Person herrührte: weg. Materiell, äußerlich war das Ergebnis, daß der Puls mehr als phantastische Formen annahm.

Aber spontan und beständig ruft der Körper – er ruft und ruft...

Nur befindet er sich immer noch in einer Phase, wo alles schmerzt – alles ist elend, überall. Und... er erfährt keine wirkliche Freude, verstehst du, er empfindet eine Art von beständigem Staunen, aber... Auch hat er absolut keine Kraft.

Ich mußte alle Arbeit drastisch reduzieren. Einige Minutenlang, auch im Kontakt mit den anderen, kommt die Gegenwart sehr deutlich, wie immer, aber... (Mutter schüttelt den Kopf). Die Umstände scheinen sich so zu arrangieren, um die Gegenwart und die Hilfe zu bezeugen; zum Beispiel besteht die Macht über andere noch, dies aber... (Mutter deutet auf ihren Körper, als wäre da nichts, keine Macht über den Körper mehr).

(Schweigen)

Ich weiß nicht...

Hat man dir etwas über mich gesagt?

Nein.

Ich weiß nicht, was sie unter sich sagen, ich habe jedoch den sehr starken Eindruck, daß alle denken, es sei das Ende.

Nein, nein! Überhaupt nicht!

Nicht?

Aber nein, Mutter, keineswegs!

Das Bewußtsein ist klar-klar-klar, weißt du, absolut nicht beeinträchtigt 2, absolut nicht, aber...

Völlig klar – es ist vielleicht sogar klarer als früher.

Gestern noch konnte ich zum Beispiel nicht einmal mehr sprechen: Sobald ich ein Wort sagen wollte, mußte ich husten und husten. Heute spreche ich zum ersten Mal seit unserer letzten Begegnung.

Nein, Mutter, wir haben alle im Gegenteil den Glauben – einen spontanen Glauben –, daß es sich hier wirklich um die allerletzte Möglichkeit handelt, und das KANN NICHT fehlschlagen!

Der Körper gab sich mit aller Aufrichtigkeit hin, wirklich mit aller Aufrichtigkeit. Gibt es noch zu viel zu tun? Ich weiß nicht.

(Mutter tritt in Kontemplation ein)

Bis zum nächsten Mal also...

Samstag... Aber die Leute verstehen schon, Mutter!

Sie verstehen?

Ja, die "Notizen auf dem Weg" haben zu diesem Verständnis verholfen.

Also gut.

Sie wissen, daß dies eine Arbeit ist, die im Gange ist.

Schön!... (Mutter lächelt spöttisch)

Mein Kind...

 

1 Auszug aus einem Brief von Sri Aurobindo an Mutter in Frankreich, vom 6. Mai 1915: "Nur mit einem ruhigen Herzen, einem festen Willen, vollständiger Selbsthingabe und einem stets auf das Jenseitsliegende fixierten Blick kann man unbetrübt in Zeiten wie diesen leben, bei denen es sich wahrlich um eine Periode universeller Zersetzung handelt."

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2 Mutter reagierte auf die Frage, die sich die meisten ihrer Schüler insgeheim stellten.

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