Mutters
Agenda
neunten Band
22. Juni 1968
Hast du Neuigkeiten von P.L.?
Nein, er ist nach Rom abgereist, mehr weiß ich nicht. 1
Er ist angekommen.
Ich frage mich, weil...
Spürst du, daß es nicht gut geht?
Ich habe einen sehr starken Verdacht in bezug auf diesen famosen "Freund" (Monsignore R), denn er war es, der P.L. geraten hatte, hierherzukommen (erinnerst du dich, wie dieser darauf bestand, daß er komme?), und nun behauptet er, P.L. sei nur hierher gekommen, um mit einer Frau zusammen zu leben. Er selbst hat alles arrangiert, damit P.L. bei J wohnt!
Ich habe einen sehr starken Verdacht.
Haben sie ihm nicht eine fürchterliche Falle gestellt?...
Er erwartet eine Art Verhör.
Ja.
Du erinnerst dich: dieser Monsignore hatte selber ein Telegramm an J gesandt, um sie zu bitten, P.L. aufzunehmen....
Diese Leute sind zu allem fähig.
Vor allem jetzt, denn es muß sich wohl herumgesprochen haben, daß er den Papst sehen wollte, um ihm vom Ashram zu erzählen.
Aber ja, natürlich!
Er erzählte mir vor der Abreise, daß er einen Traum hatte. Ich glaube, daß es sich um eine persönliche Symbolik handelt, aber ich weiß es nicht. Er befand sich in einer Vitalwelt (ich glaube, er wurde verfolgt), und plötzlich kletterte er auf einen Baum, der sich in ein Kreuz verwandelte, und er wurde ans Kreuz geschlagen... Dies fand an der Küste eines Meeres statt, das wie aus Blei war. Er kletterte auf diesen Baum, der sich in ein Kreuz verwandelte; er wurde an diesen Baum gekreuzigt, und du weißt, daß an der Spitze des Kreuzes INRI steht: an dieser Stelle befand sich dein Symbol, das Symbol der Mutter. Und danach wurde das Kreuz von diesem bleiernen Meer erfaßt und verschlungen, ganz überschwemmt, nur das Symbol von Mutter blieb oben an der Oberfläche. Das Kreuz wurde verschlungen, und nach und nach änderte dieses bleierne Meer seine Farbe und wurde durchsichtig. Er aber wurde mit seinem Kreuz verschlungen.
(Nach einem Schweigen) Ich habe ihn gesehen, bevor er ging; er hatte eine Atmosphäre um sich herum, die mir nicht gefiel... ja, wie ein Mensch, der sich opfern wird.
Dabei sagte er, er sei sehr ruhig.
Ich habe alles getan, was ich konnte – ich habe sehr viel gearbeitet. Denn es gibt kein Schicksal, das nicht transformiert werden könnte. Ich habe alles getan, was ich konnte. Ihre Absichten aber gefallen mir nicht.
Ja, er sagte: "Mutter ist meine Rettung."
Ich werde die ganze Zeit dort hingezogen (Geste eines Rufs von dieser Richtung), sogar heute morgen noch, gezogen von etwas, das mich zwang, dort zu arbeiten.
Ich wußte GENAU den Moment, als er in ihre Atmosphäre eintrat (jetzt erinnere ich mich nicht mehr an die Zeit), ich spürte es genau, und ich sah sein Gesicht.
*
* *
(Etwas später zeigt Mutter Satprem einen geöffneten, aber wieder versiegelten Brief.)
Dieser Schwarze, der hier war, schickte mir einen Brief aus Amerika: die Polizei hat ihn geöffnet... (lachend) sie fragten sich wohl, ob er Sprengkörper enthielt!... oder ich weiß nicht was.
Sie haben ihn wieder versiegelt, siehst du?
Ich hoffe, daß er nichts Kompromittierendes schreibt!
Sieh dir diese Post an! (Mutter reicht Satprem einen Stapel von Briefen.)
Kongo... Fiji... Deutschland... Frankreich... Amerika...
Das geht jeden Tag so.
Ich erhielt verschiedene Briefe aus Amerika, in denen ich gebeten wurde, Kennedy zu retten. Diese Briefe wurden von der Polizei geöffnet, sie müssen sich gefragt haben... Und sie wandten sich hier an unseren A, den Amerikaner, und man verhörte ihn über eine Stunde lang – du weißt, wie sie sind.
Aber warum denn? Richtet sich das besonders gegen die Amerikaner?
Ja, es betrifft die Amerikaner.
Warum denn?
Ich weiß es nicht... Sie haben sich in den Kopf gesetzt, daß wir ein "Nest von amerikanischen Spionen" sind.
*
* *
(Danach hört sich Mutter die Lektüre der Agenda vom 15. Juni an, in der es um die Krankheiten und den körperlichen "Rückstand" geht.)
In meinem Bewußtsein gab es viel mehr, als ich ausgesprochen habe...
Ja, du warst dreiviertel der Zeit in Trance.
Es gab viel mehr.
Aber das nützt nichts, ich kann den Text nicht verwenden (für die "Notizen auf dem Weg").
In jenem Augenblick war ich sehr bewußt, doch es ist schwierig, das auszudrücken.
Jetzt ist nicht der Moment zu sprechen.
Was ich dort sagte, bestätigt sich jedoch, präzisiert sich weiter. In einiger Zeit wird das interessant sein.
(Schweigen)
Der arme P.L.!
Er hat dir nichts gesagt, was auf eine Art Opfergeist in ihm hindeuten würde? Er macht nicht diesen Eindruck, aber...
Nein, ich hatte nicht diesen Eindruck.
Ich auch nicht.
Weißt du, dieser Bruder A 2 sagte: "Ich möchte der Bote sein, um ihnen die Wahrheit zu predigen, und wenn sie mich dafür foltern, werden sie mich eben foltern."
P.L. hatte nicht diese Einstellung. Er möchte helfen.
P.L. könnte äußerst nützlich sein, wenn er will. Es gibt da jedoch ein kleines Etwas, das sich widersetzt, ich weiß nicht was – vielleicht mangelt es ihm irgendwo an Mut, ich weiß es nicht... Er ist sofort sehr beunruhigt, wenn er sich Schwierigkeiten gegenübersieht.
Das macht mir Sorgen. Denn ich habe ihn mit hinreichend Kraft ausgestattet, daß er sich auf alle Fälle aus der Affäre ziehen kann, wenn er aber innerlich vibriert, dann funktioniert es nicht.
Ich habe ihm das gesagt. Ich sagte ihm: "Alles hängt von Ihrer Ruhe ab. Wenn Sie Vertrauen haben, kann Ihnen nichts passieren."
Ach! Gut, also vielleicht...
Er läßt mich aber wirklich hart arbeiten! (Mutter lacht)
Wir werden sehen.
1 Ein Telegramm von Monsignore R rief P.L. plötzlich nach Rom zurück: "Neue Anordnungen der römischen Kurie erfordern Ihre sofortige Rückkehr, ansonsten wäre Ihre Stellung in Gefahr."
2 Ein katholischer Mönch, der im Ashram weilt.