Mutters
Agenda
neunten Band
23. April 1968
(Mutter zeigt eine Broschüre über Auroville, deren erstes Bild eine blendendweiße Urne unter dem weiten Himmel darstellt.)
Dies ist sehr gut. Es hat etwas... ich weiß nicht (Mutter senkt ihre Faust auf die Erde) wie ein Gesetz des Schicksals: etwas, das sich durchsetzt.
(Schweigen)
Habe ich dir erzählt, daß eine schwedische oder norwegische Dame mir ein riesiges Kruzifix schicken will?... Ja. Aber diese beiden Texte habe ich dir noch nicht gezeigt. Du weißt, daß ich ein Foto der Galaxis ausgewählt habe und dann ein Foto von Auroville, das dem der Galaxis ein wenig ähnelt. Also wird man groß unter das Kruzifix schreiben (Mutter lacht):
"Das Göttliche Bewußtsein, das von den Begierden des Menschen gekreuzigt wurde."
Und danach, ganz klein, unter das Foto von Auroville, schreibt man:
"Das Göttliche Bewußtsein, das durch die menschliche Einheit manifestiert wird."
Wir werden sehen! Die Dame hat viel guten Willen, man wird die Reaktion in ihrem Lande abwarten.
(Schweigen)
Gestern kamen sie mit der Auroville-Broschüre aus der Druckerei und sagten mir: "Ach! Hier gibt es einen Fehler; man ist zu uns gekommen, um uns zu sagen, man müsse den Text der Charta von Auroville ändern: Mutter habe Anweisungen gegeben, man müsse überall "das Göttliche Bewußtsein" durch "das vollkommene Bewußtsein" ersetzen." Ich schaute sie an und sagte: "Was?" – "Ja, das hat man uns gesagt." Darauf sagte ich: "Welcher Schwachsinnige hat euch denn das erzählt?" Worauf sie erwiderten: "Aber er sagte, Sie hätten es verlangt." Da antwortete ich: "Sagt mir seinen Namen, und ich werde ihm eine saftige Ohrfeige verpassen!"
Es kommt selbstverständlich nicht in Frage, irgend etwas zu ändern. Es war ja so, daß die Leute, die es ins Russische, ins Jugoslawische, ins... (ich weiß nicht mehr, eine bestimmte Anzahl von Sprachen) übersetzt haben, mich fragten, was sie anstelle des "Göttlichen" nehmen könnten, denn in Rußland ist das Wort verboten. Also sagte ich: "Gut. FÜR RUSSLAND können Sie, wenn Sie wollen, anstelle von "das göttliche Bewußtsein" das "vollkommene Bewußtsein" setzen." Ich gab ihnen zu bedenken: "Das reduziert den Begriff, aber nun, das macht nichts."
In der französischen Broschüre steht "göttlich". Und ich sagte: Wenn ihr wollt, könnt ihr im Russischen und im Deutschen... im Deutschen hat T es mit "das Höchste" übersetzt. Ich antwortete ihr: das ist ärmlich, aber was soll's, schließlich sagte ich ihnen zu, daß ich nicht protestieren würde. Im Chinesischen ist es "göttlich". Und im Japanischen ist es, glaube ich, auch "göttlich".
Für das Deutsche hat man mir feierlich erklärt: "Oh, wenn man "göttlich" sagt, läßt das die Leute sofort an Gott denken ..." Worauf ich antwortete (lachend): "Nicht notwendigerweise, wenn es sich nicht um Schwachsinnige handelt!"
Es hat mir aber eine sehr präzise Vorstellung davon gegeben, was geschehen wird, wenn ich, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr hier bin... jeder würde in meinem Namen Erklärungen abgeben... (Mutter lacht) Das wäre entsetzlich!
Allerdings.
*
* *
Danach tritt Mutter in Kontemplation ein
Es ist überaus interessant und sehr merkwürdig. Eine merkwürdige Empfindung... Ich weiß nicht, das geht schon lange so, aber in diesen Tagen ist es so intensiv und so präzise geworden... Die Empfindung ist so (Geste, in der Schwebe zu sein), man hat die alte Seinsart verlassen (nicht im persönlichen Sinne: sozusagen weltweit), und man steht kurz davor, in eine neue Seinsweise einzutreten, und... man ist so (Geste, zwischen zwei Welten zu schweben).
Die gesamte alte Seinsweise (die Art und Weise zu empfinden, die Art zu denken, sogar der Bewußtseinszustand) sieht aus... nicht ganz wie eine Deformation oder eine Verfälschung, aber wie etwas in der Richtung – besser gesagt: es ist die menschliche Seinsweise. Und diese Seinsweise ist notwendigerweise das Resultat einer intensiven mentalen Entwicklung.
Was vollkommen klar wird, ist "Das Bewußtsein". Es wird nicht mehr mit Worten erklärt oder definiert oder... darum geht es nicht mehr, es ist nur noch Bewußtsein (zumindest hat man den Eindruck, man wisse, was das sei): Bewußtsein. Das ist der Zustand: Bewußtsein. Dabei ist es noch ein bruchstückhaftes Bewußtsein, das... ich kann nicht sagen "sich anstrengt", weil keine Anstrengung besteht, das aber dabei ist, sich zu einem totalen Bewußtsein zu entwickeln. Dies ist also der Übergang (die gleiche Geste des In-der-Schwebe-Hängens). Es handelt sich noch um ein Bewußtsein (es ist nicht direkt individuell oder persönlich sondern bruchstückhaft, das heißt, es ist objektiviert worden), das sich dessen BEWUSST ist, sich zu vereinigen. Es steht noch auf dieser Stufe und ist damit noch nicht die ganze Einheit.
Das führt zu allen möglichen Erfahrungen...
Und es handelt sich hier nicht um das Ergebnis einer Konzentration oder von was auch immer sondern einfach um die normale oder, besser gesagt, die beständige Seinsweise. Dabei gibt es noch Spaltungen in dem Sinne, daß eine Bewußtseinshaltung eine andere betrachtet, und wieder eine andere, die die beiden ersten betrachtet – all das ist noch... (Geste des Schwankens). Es gleicht einem Spiel zweier unterschiedlicher Bewußtseinsteile, die sich beobachten, sich objektivieren. Es ist also noch nicht ganz "das".
Und all dies findet im Körper statt – es mögen verschiedene Körperteile sein, das weiß ich nicht. Es mag verschiedene Bewußtseinsstufen oder Identifikationsstufen geben, die je nach Körperfunktion mehr oder weniger total sind, ich weiß es nicht. Darunter bestehen noch die alten Strömungen des mentalen Einflusses, des Mentals, das man gemeinhin als "höheres" Mental bezeichnet (das intuitive Mental usw.). Und schließlich das ganze Spiel der Kräfte, der Suggestionen, der Formationen, das rundum da ist und das von außen eindringt. Ich sage zwar "das von draußen eindringt", dabei besteht keine Empfindung eines "Draußen"; dieses Gefühl gibt es nicht mehr, ebensowenig die Empfindung von "dies und das", so ist es nicht, so ist es überhaupt nicht mehr, nicht einmal mehr für den Körper.
(Mutter tritt abrupt in eine lange Kontemplation ein, die bis zum Ende der Gesprächszeit dauert)
Die Fortsetzung in der nächsten Nummer!