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Mutters

Agenda

achten Band

12. August 1967

Sie baten mich um eine Botschaft... Der Prinz von Kaschmir, K.S., veranstaltet am 19. in Delhi ein großes Treffen aller Parlamentarier und Mitglieder der Regierung, um ihnen mitzuteilen, daß es nur eine Politik gibt, die von Wert ist, und zwar die von Sri Aurobindo, und er bat mich um eine Botschaft. Hier ist sie:

"O Indien, Land des Lichtes und des spirituellen Wissens, erwache zu deiner wahren Sendung in der Welt! Zeige den Weg zu Einheit und Harmonie!"

Ich sagte ausdrücklich nicht "Friede" sondern Harmonie, denn "Friede" bedeutet für sie, anderen Ländern alles mögliche zu verkünden, nur um nicht kämpfen zu müssen, das möchte ich nicht.

(Schweigen)

Es geht sehr schlecht. Und im Grunde... im Grunde ist es sehr gut so, denn das konfrontiert sie mit der Notwendigkeit, etwas zu unternehmen. Nirgends befindet man sich in Sicherheit: Die Leute, die von Kalkutta abfuhren, um am 15. hierher zu kommen, wurden unterwegs angehalten, man mußte den Zug umleiten, weil irgendwo Räuber lauerten, ich weiß es nicht.

Aber nein, keine Räuber! Ganz und gar nicht, deshalb ist es ja so gravierend: Studenten hielten die Züge an. Und obendrein erklärte der Ministerpräsident von Bengalen, daß ihre "Beschwerden" berechtigt seien.

Vielleicht sind sie "berechtigt", aber nicht ihre Handlungsweise.

Und er sagte, man müsse ihr Handeln "mit Sympathie" betrachten. Ich sah es heute morgen in den Zeitungen, es ist verblüffend!

(Mutter lacht) Das ist reizend.

Sie sind jedenfalls keine Räuber.

Auf jeden Fall haben die Leute, die kommen sollten, achtundvierzig Stunden Verspätung... Nein, es gibt keine Sicherheit mehr: Jemand, den wir kennen, saß in Kalkutta vor dem Fenster – er saß an seinem Tisch beim Schreiben –, von der Straße schleuderte man eine Schale Vitriol auf ihn... Warum? Man weiß es nicht.

Sie haben alle ihre Werte verloren. Gestern traf ich den Rektor der Universität von Bangalore, und weißt du, was man sie an der Universität in Psychologie lehrt? Man lehrt sie Freud und Jung! Europäische Psychoanalyse! In dem Land, wo es DAS Wissen gibt, wo es alles gibt, sucht man...

Sie sind verrückt. Nein, sie wurden völlig von den Engländern verdorben. Die zweihundert Jahre unter englischer Herrschaft haben sie völlig verdorben. Natürlich bewirkte es auch, daß die Leute erwachten, aber sie wissen nichts; sie kennen nichts, weder von der Verwaltung noch von der Regierung, gar nichts, sie haben alles verloren, und alles, was sie noch wissen, ist das, was ihnen von England beigebracht wurde, nämlich eine völlig korrupte Angelegenheit. So wissen sie nichts, sie können nicht einmal eine Entscheidung treffen.

Trotzdem kommen sie allmählich zur Erkenntnis, daß man diejenigen um Hilfe bitten muß, die etwas wissen... die Tür ist also offen.

Wir werden sehen.

Wäre alles sehr gut gegangen... Das Land ist jetzt ruiniert, die Leute sind völlig ruiniert, es gibt nur einige Banditen (die ich kenne), die immer reicher werden, aber alle anderen sind ruiniert, und... weil die Regierung nicht weiß, was sie tun soll, regieren sie mit Ideen, und was für Ideen! Ideen, die sie eben im Westen gesammelt haben, die sie nicht verstehen und die schon schlecht genug für den Westen sind, aber die hier völlig verderblich wirken.

Doch jetzt beginnen sie zu glauben, daß es vielleicht so nicht richtig ist (Mutter lacht), daß man es vielleicht anders machen sollte... In einem Monat habe ich schon vier Minister gesehen. Einer ist von hier, der Landesminister, offenbar hatte ich ihn getroffen, als er noch klein war (ich erinnere mich nicht mehr, aber er selbst erinnert sich, daß ich ihn gestreichelt habe). Neulich kam er, ich gab ihm eine Blume und ein Päckchen mit "Segnungen", und er sagte mir: "Ich werde es bei mir tragen – und damit werde ich Ihre Arbeit in der Regierung tun." Und er war wirklich entschlossen. Ein junger Mann von vierzig Jahren, glaube ich, und recht stark 1 .

Von Madras?

Nein, von hier, von Pondicherry.

Aber ich habe andere getroffen, die von der Bundesregierung kommen. Sie kommen nicht aus Neugier oder aus banalen Gründen, sondern wirklich, weil sie das Bedürfnis nach etwas spüren.

Vielleicht kann man doch etwas ausrichten...

Wir werden sehen.

*
*   *

(Mutter findet die Notiz wieder, die sie über das Christentum schrieb, und von der sie am 29. Juli sprach.)

Das Christentum vergöttert das Leiden, um daraus ein Instrument für das Heil der Erde zu machen.

Weißt du, dies kam mir wie eine Offenbarung. Anstatt daß die ganze Religion so betrachtet wurde (Geste von unten), wurde sie so betrachtet (Geste von oben)... Dazu möchte ich folgendes sagen: Die gewöhnliche Idee des Christentums ist, daß der Sohn (wenden wir ihre Sprache an), der "Sohn Gottes" kam, um seine Botschaft auf die Erde zu bringen – eine Botschaft der Liebe, der Einheit, der Brüderlichkeit, der Barmherzigkeit –, und daß die Erde, das heißt die Regierenden, die nicht bereit waren, ihn opferten, und daß sein "Vater", der höchste Herr, sein Opfer zuließ, damit es die Macht habe, die Welt zu retten. So sieht es das Christentum, dies ist die umfassendste Anschauung – die große Mehrheit der Christen versteht überhaupt nichts, aber ich möchte sagen, daß es Leute gibt (vielleicht – es könnte sein), zum Beispiel unter den Kardinälen, die den Okkultismus und seine tiefe Symbolik studiert haben, die etwas besser verstehen... aber nun. Nach meiner Vision (Mutter zeigt auf ihre Notiz über das Christentum) wäre es so, daß die menschliche Rasse, die menschliche Spezies in der Evolutionsgeschichte der Erde anfing, Fragen zu stellen und sich gegen das Leiden, das eine Notwendigkeit darstellte, aufzulehnen begann, um bewußt aus der Trägheit herauszukommen (bei den Tieren ist es sehr klar; das Leiden war das Mittel, sie aus ihrer Trägheit herauszureißen), aber der Mensch ging über diesen Zustand hinaus und begann, sich gegen das Leiden und natürlich auch gegen die Macht aufzulehnen, die es zuläßt und sich seiner vielleicht als eines Mittels zur Herrschaft bedient (seiner Ansicht nach). Dies ist demnach der Platz des Christentums... Vorher gab es schon eine recht lange irdische Geschichte – man darf nicht vergessen, daß es vorher, vor dem Christentum, den Hinduismus gab, der anerkannte, daß alles – einschließlich der Zerstörung, des Leidens, des Todes, allen Unheils – Teil eines einzigen Gottes ist, des einzigen Gottes (das ist das Bild des Gottes in der Gita, der die Welt und ihre Geschöpfe "verschlingt"). So ist es hier in Indien. Es gab Buddha, dem jegliches Leiden unter jeglichen Formen zuwider war – der Verfall in allen seinen Formen, die Vergänglichkeit aller Dinge –, und der in seiner Suche nach einem Heilmittel zu dem Schluß kam, daß das einzig wahre Heilmittel das Verschwinden der Schöpfung sei... So war die irdische Situation beim Aufkommen des Christentums. Es gab also eine ganze Periode davor und eine Vielzahl von Leuten, die sich gegen das Leiden aufzulehnen begannen und ihm zu entkommen versuchten. Andere vergötterten es und ertrugen es wie ein unvermeidliches Übel. So entstand die Notwendigkeit, den Begriff eines vergöttlichten Leidens auf die Erde herabkommen zu lassen, welches das höchste Mittel darstellt, um das ganze menschliche Bewußtsein aus dem Unbewußten und der Unwissenheit herauszuführen und es zur Verwirklichung der göttlichen Glückseligkeit zu führen – nicht, indem man der Existenz seine Zusammenarbeit verweigert, sondern IN der Existenz selbst: in der Existenz selbst das Leiden (die Kreuzigung) akzeptieren als ein Mittel zur Transformation, um die menschlichen Wesen und die ganze Schöpfung zu ihrem göttlichen Ursprung zu führen.

Das stellt alle Religionen an ihren Platz in dieser Entwicklung von der Unbewußtheit zum göttlichen Bewußtsein.

Es handelt sich nicht einfach um eine kleine Bemerkung, die eben so notiert wurde: es ist eine Vision. Man kann immer die Vorstellung von etwas geben, das mental ausgedacht wurde, aber so ist es nicht: Es war, wenn man so will, eine Notwendigkeit in der Entwicklung. Das weist den Dingen ihren Platz zu.

Der Islam war eine Rückkehr zur Empfindung, zur Schönheit, zur Harmonie in der Form und die Rechtfertigung der Empfindungen und der Freude an der Schönheit. Von oben betrachtet war er nicht von sehr hoher Qualität, aber in vitaler Hinsicht war er äußerst machtvoll, und gerade das gab ihnen eine solche Macht, sich auszubreiten, Macht an sich zu reißen, zu nehmen und zu herrschen. Aber was sie schufen, war sehr schön – ihre gesamte Kunst ist großartig. Es war eine Blütezeit der Schönheit... Dann gab es andere. All das kommt eins nach dem anderen. Jede Religion kam wie eine Etappe in der Entwicklung und in der Beziehung zum Göttlichen, um das Bewußtsein zu einer Einheit zu führen, die eine Totalität ist und nicht eine Vernachlässigung einer ganzen Realität, um eine andere zu erhalten. Die Notwendigkeit der Totalität, der Gesamtheit, bewirkte, daß die Religionen so auftraten, eine nach der anderen.

So gesehen ist es sehr interessant.

Anstatt von unten gesehen zu werden, war es plötzlich eine Sicht des Gesamten von ganz oben, wie es sich organisierte, mit einem so klaren Bewußtsein, einem so klaren Willen. Jede Sache ereignete sich genau in dem Augenblick, wo sie notwendig war, damit nichts vernachlässigt würde und damit alles aus dieser Unbewußtheit herauskommen, auftauchen und mehr und mehr bewußt werden konnte... In diesem ungeheuren irdischen Geschehen findet das Christentum seinen Platz – seinen legitimen Platz. Das hat einen doppelten Vorteil: für jene, die es verachten, es zu rehabilitieren, und für jene, die glauben, es sei die einzige Wahrheit, sie sehen zu lassen, daß es nur eins der Elemente eines Ganzen ist. Voilà.

Dies interessierte mich deshalb, weil es das Ergebnis einer Vision war, und diese Vision kam, weil ich mich mit den Religionen zu beschäftigen begann (mich wieder damit beschäftigte, denn früher war mir das Thema sehr vertraut), und als man mir Fragen über die Israelis und die Moslems stellte, überlegte ich und sagte: Nun, dies ist ihre Stellung, ihr Platz, ihre Daseinsberechtigung. Dann sagte ich mir eines Tages: "Halt, es ist wirklich wahr! So gesehen ist es offensichtlich: das Christentum ist wie eine Rehabilitation des Leidens als ein Mittel zur Entwicklung des Bewußtseins."

Sri Aurobindos Aphorismus erhält so seine ganze Bedeutung... Das Christentum kam, weil die Menschen sich gegen den Schmerz auflehnten und der Welt entfliehen wollten, um sich dem Schmerz zu entziehen... und dann, mit den Jahren, im Laufe der Entwicklung bekamen die Menschen Geschmack am Leiden! Weil sie es gern haben... (so wird Sri Aurobindos Aphorismus ganz klar): "Christus hängt immer noch am Kreuz in Jerusalem." Das gewinnt seine volle Bedeutung.

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*   *

Etwas später

Könnte man nicht im Bulletin veröffentlichen, was du gerade über das Christentum sagtest?

Ich möchte nicht gern über die Religionen sprechen, es ist zu früh. Es steckt noch zu viel Leidenschaft in den Leuten, wenn man mit ihnen über Religion spricht.

Aber hier ist es auf so objektive Weise ausgedrückt.

Das Unglück ist, daß jeder seine Religion für die ausschließliche Wahrheit hält.

Wir werden im nächsten Jahr sehen. Im nächsten Jahr, vielleicht im Februar – wir werden sehen.

Vielleicht wird im Monat Februar etwas geschehen.

 

1 Farook Marécar.

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