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Mutters

Agenda

achten Band

24. Juni 1967

Viel zu sagen, aber... Es ist besser, erst ans Ziel zu gelangen. Es folgt einer Entwicklungskurve, und es ist besser, diese zuerst abzuschreiten. Es ist zu früh, um etwas zu sagen.

(Nach einem Schweigen) Fast alle Körperbewegungen sind gewohnheitsmäßige Bewegungen. Dahinter steht das Bewußtsein des physischen Mentals (ich nenne es das "Mental der Zellen"), das sich ständig der göttlichen Gegenwart bewußt ist und sehr darauf bedacht ist, nichts als Das zuzulassen. Also ist eine große Arbeit im Gang, um den Ursprung der Bewegungen zu verrücken. Ich will damit sagen, statt eines gewohnheitsmäßigen Automatismus soll künftig das Bewußtsein und die göttliche Gegenwart die Bewegungen ausführen (Mutter macht eine Geste, wie um das Bewußtsein in den Körper einströmen zu lassen).

Aber es läßt sich gar nicht ausdrücken. Sobald man es nämlich versucht, wird es mental und ist nicht mehr Das. Deshalb kann ich nicht darüber sprechen.

Aber habe ich dir nicht erst kürzlich von dieser Gewohnheit und dem Hang zum Drama im materiellsten Bewußtsein erzählt 1? Das war der Ausgangspunkt. Sobald das bewußt geworden war, wurde diese Gewohnheit dem wahren Bewußtsein sozusagen fremd, und jetzt ist die Umstellung im Gang.

Eine sehr heikle und schwierige Arbeit.

Nicht wahr, es bedeutet, gegen eine jahrtausendealte Gewohnheit zu kämpfen. Dieser Automatismus des materiellen Bewußtseins ist, ich möchte sagen, dramatisch, fast katastrophal; und zuweilen spielt er dramatisch mit der Vorstellung, dem Drama ein Ende zu bereiten, um endlich Ruhe zu haben. Aber all dies wird viel zu konkret, sobald man es ausdrückt. Es ist besser, nicht darüber zu sprechen.

Sobald man es ausspricht, wird es künstlich.

Um diese Gewohnheit zu ersetzen, bestand gleichsam eine Art Bemühung, eine andere (!) Gewohnheit zu schaffen, die wiederum nur eine Annäherung ist. Dieser Bewußtseinszustand, diese Seinsweise, diese Art zu leben, zu reagieren und sich auszudrücken – führt das zur göttlichen Manifestation? Steht das im Einklang mit der angestrebten göttlichen Manifestation?... Das Denken ist schweigend, unbewegt, die Vorstellungskraft arbeitet also nicht (all dies absichtlich), und die Bewegung versucht, sich so aufrichtig und spontan wie möglich unter den Einfluß der göttlichen Gegenwart zu stellen... Worte deformieren alles.

Von Zeit zu Zeit kommt ganz plötzlich eine konkrete Erfahrung, wie ein Blitz: die Erfahrung der Gegenwart, der Identifikation. Aber das dauert... einige Sekunden, und dann fängt alles wieder von vorn an.

Das läßt sich nicht ausdrücken.

*
*   *

(Dann wendet Mutter sich der Übersetzung zweier Texte von Sri Aurobindo zu, die sie veröffentlichen will.)

Das große Geheimnis der Sadhana liegt darin, die Dinge durch die dahinter- oder darüberstehende Macht geschehen lassen zu können, anstatt alles durch eine Anstrengung des Mentals zu bewerkstelligen.

Genauso ist es.

Und dann:

Die Bedeutung des Körpers ist offensichtlich: Nur weil er einen Körper und ein Gehirn entwickelt oder empfangen hat, fähig eine wachsende mentale Erleuchtung zu empfangen und sich ihrer zu bedienen, war es dem Menschen möglich, sich über das Tier zu erheben. Gleichermaßen kann der Mensch sich nur über sich selbst erheben, indem er einen Körper oder zumindest eine Funktionsweise seines physischen Instruments entwickelt, die ihn befähigt, eine noch höhere Erleuchtung zu empfangen und sich ihrer zu bedienen, um eine vollkommene göttliche Menschheit, nicht nur in Gedanken und in seinem inneren Wesen, sondern auch im Leben zu verwirklichen. Sonst ist entweder die Verheißung des Lebens widerrufen, seine Bedeutung vernichtet, und das irdische Wesen kann sat-chit-ananda [das ewige Prinzip: Sein-Bewußtsein-Wonne] nur verwirklichen, indem es sich selbst vernichtet, indem es Mental, Leben und Körper von sich abwirft und ins rein Unendliche zurückkehrt, oder aber der Mensch ist nicht das göttliche Instrument, und die bewußte fortschreitende Kraft, die ihn von allen anderen irdischen Lebewesen unterscheidet, unterliegt einer vorbestimmten Grenze; und genauso wie er jene an der Spitze der Evolution abgelöst hat, muß ihn dann vielleicht ein anderes Wesen ersetzen und sein Erbe weiterführen.

(The Life Divine, XVIII.231 2)

Ich verstehe! Schon die ganze Zeit hat mich das beschäftigt.

(Schweigen)

Aber Sri Aurobindos Folgerung ist, daß sich dies [der Körper] nicht ändern kann: es wird ein neues Wesen sein.

Nein! Er sagt, "falls" er es nicht kann, wird es ein neues Wesen sein.

Nein, ich meine nicht in diesem Text, sondern in seinen späteren Schriften.

?...

Übrigens kommt es auf dasselbe hinaus, denn... kann sich ein Körper verändern? Das scheint wirklich noch sehr schwierig – obwohl es nicht unmöglich ist. Es ist nicht unmöglich, aber... es bedeutet eine so ungeheure Arbeit, daß das Leben zu kurz ist; selbst da muß sich etwas ändern, diese Gewohnheit der Abnutzung ist eine schreckliche Sache.

Ja, aber woher soll denn ein "neues Wesen" kommen? Es wird wohl nicht vom Himmel fallen?

Aber nein, das ist es ja gerade! Je mehr man darüber nachdenkt... Es wird nicht so geschehen (Mutter lacht), es wird offensichtlich auf eine ähnliche Weise kommen, wie der Mensch sich aus dem Tier entwickelt hat. Aber die Stufen zwischen Tier und Mensch sind uns nicht bekannt – wir machen uns Gedanken und Vorstellungen darüber, man fand gewisse Dinge heraus, aber schließlich waren wir nicht dabei. Wir wissen nicht, wie es geschah. Doch das spielt keine Rolle... Einige Leute vertreten die Auffassung, man könne mit der inneren Transformation bewußt beginnen, indem man ein Kind speziell formt. Das ist durchaus möglich. Dann wiederum muß wohl dieses ein weiteres, noch stärker transformiertes Wesen heranbilden, und so weiter – mehrere solche Stufen, die wie die Zwischenstufen zwischen Affe und Mensch aufeinander folgen.

Nun ja, das ist die ganze Geschichte der menschlichen Vervollkommnung.

Wir können es nennen, wie wir wollen, nicht wahr? Aber ein NEUES WESEN... Wir stellen uns ein neues Wesen vor, das fix und fertig herabkommt... Das ist eher romanhaft.

Das sagt Sri Aurobindo auch. Wir müssen es entwickeln.

Nach zwei oder drei Zwischenwesen – oder vielleicht vier, zehn oder zwanzig, ich weiß es nicht – könnte die neue supramentale Schöpfungsart entstehen... Aber wird es dann noch nötig sein, Kinder zu bekommen? Vielleicht erübrigt sich dadurch diese Notwendigkeit der Fortpflanzung, nur um jene zu ersetzen, die gehen, weil sie dann auf unbegrenzte Zeit weiterexistieren. Sie werden sich selbst ausreichend transformieren, um sich an die neuen Bedürfnisse anzupassen.

Das ist auf lange Sicht sehr gut vorstellbar.

Ja, auf lange Sicht.

Ja, aber ihr seid eben dazu da, damit es sich in kürzerer Frist ereignet!

Nein, Sri Aurobindo sah dafür keinen kurzen Zeitraum voraus.

Auf jeden Fall wirst du selbst es tun. Kurzfristig oder langfristig mußt du es tun, in diesem Leben und in diesem Körper.

Aber ich sehe...

Ich versuche ja, es zu tun – nicht weil ich es mir in den Kopf gesetzt habe, überhaupt nicht, aber da gibt es "etwas" oder jemanden oder ein Bewußtsein oder irgend etwas (ich will nicht darüber sprechen), das sich dessen bedient (Mutters Körpers) und versucht, etwas daraus zu machen. Ich tue sozusagen etwas und bin gleichzeitig dessen Zeuge, und dieses "Ich", ich weiß nicht, wo es ist: es ist nicht drinnen, es ist nicht dort oben, es ist nicht... Ich weiß nicht, wo es ist, es bleibt nur als sprachlicher Notbehelf. Es gibt "etwas", das handelt und das gleichzeitig Zeuge der Sache ist, und auch der Aktion, die ausgeführt wird: alle drei zusammen.

Denn der Körper selbst arbeitet mit, so gut er nur kann, mit gutem Willen und einer wachsenden Ausdauer, während der Rückbezug auf sich selbst auf ein Minimum reduziert ist (er besteht noch, berührt ihn noch hin und wieder leicht, bleibt aber nicht einmal für einige Sekunden). Der Rückbezug auf sich selbst bewirkt eine absolut scheußliche, abstoßende und katastrophale Atmosphäre – so ist das, so wird es EMPFUNDEN. Es wird immer unmöglicher, ich sehe es, es ist sichtbar... Aber es bleibt noch das ganze Gewicht von Jahrtausenden schlechter Gewohnheiten, die man als pessimistisch bezeichnen könnte, das heißt, sie erwarten den Verfall, sie erwarten die Katastrophe, sie erwarten... ach, alle diese Dinge, und gerade das ist am schwierigsten zu reinigen, zu klären, aus der Atmosphäre zu beseitigen, uff! Es steckt so sehr DARINNEN, daß es völlig spontan passiert. Dies ist das große, große Hindernis, dieses Gefühl des unvermeidlichen Verfalls.

Natürlich ist in mentaler Hinsicht die ganze irdische Atmosphäre so, aber im Mental ist es von sehr geringer Bedeutung: ein Lichtstrahl, und es ist weggefegt. Aber DORT DRINNEN steckt es (auf ihren Körper zeigend). Es ist diese Gewohnheit – diese katastrophale Gewohnheit –, der zu widersprechen schrecklich ist, schrecklich. Es ist UNERLÄSSLICH, daß sie verschwindet, damit die andere sich einstellen kann.

Also ist es ein Kampf in jeder einzelnen Minute, andauernd, andauernd.

Das Wesen ist ja nicht isoliert, der Körper ist nicht isoliert: er ist mehr oder weniger eine ganze Menschenmenge, mit verschiedenen Graden der Nähe; aber all jene, die hier sind, sind sehr nah, und es ist das gleiche Problem – das gleiche Problem. Denn was im Bewußtsein dieses Wesens erreicht wird, ist noch lange nicht im Bewußtsein der anderen erreicht. Das vermehrt die Arbeit.

Das Problem der mentalen und selbst der vitalen Ansteckung ist mehr oder weniger gelöst, aber das Problem der materiellen Ansteckung bleibt bestehen.

In diesem materiellen Bewußtsein gibt es das materielle Mental, das hier auf so wunderbare Weise geantwortet hat (in Mutter), aber es hat noch keine Macht, sich spontan gegen das von außen Kommende zu behaupten, diese ständige, ständige, Ansteckung in jeder Minute.

(langes Schweigen)

Wenn ganz plötzlich der Kontakt bewußt da ist und die Wahrnehmung der Identität sich einstellt (für einige Sekunden, wie ich eben sagte), wenn das eintritt... ist es wie ein Hosianna in allen Zellen, die sagen: "Oh, also ist es wahr! Es ist also wirklich wahr!..."

Und das ist allmächtig.

Es kommt vielleicht hundertmal am Tag, aber es bleibt nicht.

 

1 Gespräch vom 14. Juni 1967.

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2 S.a. Das göttliche Leben, Übers. v. H. Kappes, Verlag Hinder + Deelmann, S. 264.

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