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Mutters

Agenda

siebenten Band

27. April 1966

(Über den Sannyasin)

Wir haben Zeit für Savitri... es sei denn, du hättest eine Frage.

Ich frage mich, warum ich nicht klar sehe in dem, was ich tue.

Weil es zwei im Widerstreit liegende Ideen gibt. Deshalb besteht ein Zögern zwischen den beiden Standpunkten.

Zwei Standpunkte: die Notwendigkeit des Verzichts und die Nutzlosigkeit der Flucht. Diese beiden Ideen verursachen das Zögern. Aber in der chronologischen Reihenfolge der Dinge müßte die Notwendigkeit des Verzichts an erster Stelle kommen, und dann die Entdeckung, daß Flucht nutzlos ist, und anstelle des Fliehens muß eine freiwillige Rückkehr stehen, ohne Bindungen. Eine Rückkehr zu einem Leben ohne Bindungen.

Ansonsten sehe ich das so: Um ein Buch zu schreiben, darf man im allgemeinen nicht mehr als eine Etappe behandeln, denn es gibt einen Anfang, eine Entwicklung und einen Höhepunkt, an dem sich etwas erfüllt. Dann kommt ein anderes Buch, das von dieser Verwirklichung und der ganzen Erfahrung ihrer Nutzlosigkeit ausgeht. Dann schließlich kommt die Krönung: die Rückkehr zu einem Leben in Freiheit.

Man kann alle drei zusammenlegen, aber das ergibt ein sehr kompaktes Buch.

Nein, ich muß alles zusammenbringen. Aber ich weiß nicht, von welchem Ende ich ausgehen soll. Ich habe auf eine bestimmte Art angefangen, doch ich merke, daß es nicht das Richtige ist.

Wie hast du angefangen?

Mit einem sehr kurzen Gedicht – eigentlich kein Gedicht: eine Art Stimme. Dann, im ersten Kapitel, muß mein Held ein Schiff nehmen und weggehen (wie üblich). Darauf trifft er einen Sannyasin. Er wird sein Schiff trotzdem nehmen, aber da ist eine junge Frau oder ein junges Mädchen bei ihm, die er verläßt.

Wohin fährt das Schiff?

Etwas weiter weg, wie immer. Er muß die Brücken hinter sich abbrechen.

Und wo trifft er diesen Sannyasin? Vor seiner Abreise oder danach?

Er trifft ihn ein erstes Mal, und dann ein zweites Mal im Augenblick seiner Abreise. Er verwirft all seine Pläne und geht mit dem Sannyasin weg. Aber was diesem Aufbruch vorangeht, ist irgendwie verschwommen, ich weiß nicht, wie ich das darstellen soll. Zuerst dachte ich daran, aus dieser jungen Frau ein Symbol der Schönheit, der Fülle und der Liebe zu machen – das Symbol all dessen, was wahrhaft schön ist und was das Leben als Bestes mit sich bringen kann – doch er weist dies zurück, um egal wohin zu gehen, und so begegnet er diesem Sannyasin. Als ich bei der Beschreibung dieses Ortes war, der Schilderung dieses jungen Mannes mit seinem Mädchen und dieses sehr schönen Ortes, da erschien es mir plötzlich derart nichtssagend, all dies zu beschreiben, daß ich nicht weitermachen konnte.

(Mutter lacht)

Diese ganze Schönheit war dermaßen nichtssagend, ein absolutes Nichts.

Das hat dich zurückgeworfen.

Einmal habe ich einen solchen Moment in meinem Leben erlebt: ich war in Südamerika, auf einer wunderschönen Insel, zusammen mit einer Frau, die auch wunderschön war, der Reichtum lockte (ich hatte die Chance, viel Geld zu haben); es war jedenfalls das Beste, was natürliche Schönheit und weibliche Schönheit zu bieten hatten – und ich habe mich aus dem Staub gemacht. Ich ließ alles hinter mir und bin abgehauen.

Das also erzählst du?

So beginne ich die Erzählung.

Aber das ist doch gut!

Mir erscheint es derart nichtssagend, diese ganze vermeintliche Schönheit auszumalen, daß es mir einfach nicht gelingen will. Ich habe den Eindruck, alles sei hohl; meine Worte klingen falsch.

Wenn du eine solche Haltung einnimmst, kannst du kein Buch schreiben!

Gerade in den letzten Tagen kamen mir wieder Dinge in den Sinn, die ich einst geschrieben hatte – die ich mir in einem bestimmten Moment vorgestellt und niedergeschrieben hatte... zu Beginn des Jahrhunderts (vor deiner Geburt!) in Paris. Ich sagte mir: "Merkwürdig, warum denke ich an so etwas?" In meinem Text fand sich der Satz: "Die Liebe zur Schönheit hat sie gerettet." Es war die Geschichte einer Frau mit einem großen vermeintlichen Liebeskummer, wie ihn die Menschen erleben; sie verspürte aber ein Bedürfnis, die Liebe zu manifestieren, eine Liebe von einer wunderbaren Schönheit. Mit dieser Kraft und diesem Ideal überwand sie ihren persönlichen Kummer. Ein solches Büchlein hatte ich also geschrieben (ich weiß nicht, wo es geblieben ist, aber das ist auch unwichtig). Plötzlich kam mir das wieder in den Sinn, und ich fragte mich: "Halt! Warum sollte ich mich daran erinnern?" Daraufhin fiel mir die ganze Entwicklung des Bewußtseins wieder ein. Mir war damals schon deutlich bewußt, daß persönliche Angelegenheiten überwunden werden müssen durch den Willen, etwas Wesentlicheres und Universelleres zu realisieren. Ich folgte der Kurve meines eigenen Bewußtseins, wie es angefangen hatte, und von dort aus gelangte ich zu... anderen Dingen. Damals war ich achtzehn Jahre alt. Es war mein erster Versuch, von einem ausschließlich persönlichen Blickwinkel zu einem umfassenderen Blickwinkel zu gelangen und aufzuzeigen, daß dieser umfassendere, universellere Standpunkt einen das Persönliche überwinden läßt. Trotzdem fragte ich mich: "Warum fällt mir das alles wieder ein?" Jetzt verstehe ich. Weil es dir mit deinem Text genauso ergeht. Es ist genau dasselbe. Natürlich könnte ich heute nicht mehr schreiben, was ich damals schrieb – es würde mich nur zum Lachen bringen.

Ich kann schreiben, ich kann immer noch...

Dann schreib es!

Aber es erscheint mir so...

Ja, es ist hohl.

... kraftlos. Als würde die Feder lügen.

(Mutter lacht)

Ich frage mich also, ob ich das nicht alles links liegenlassen und mich schnurstracks in eine andere Welt hineinbegeben müßte, die vollkommen anders ist.

Dort anfangen, wo du heute stehst?

Genau.

Vielleicht würdest du damit Zeit sparen.

Du kannst das ja ausprobieren: aufschreiben, was du jetzt schreiben würdest – und dann wirst du sehen.

Aber wo soll ich es situieren? Ich weiß nicht... Es gibt zweierlei...

Vielleicht kommt das jetzt!

Von einem persönlichen Standpunkt aus würdest du viel Zeit gewinnen, wenn du dort anfangen würdest, wo du heute stehst.

Du wirst ja sehen...

Du könntest mit dem Ende beginnen, und dann sehen, ob es einen Anfang braucht, oder ob sich anstelle eines Anfangs eine Fortsetzung aufdrängt. Das wäre interessant.

Mit einem Faustschlag beginnen: bum! Was du jetzt siehst und empfindest. Ordne das Ganze deinem Leitfaden entsprechend an und beginne damit! Wenn das einmal geschrieben ist, siehst du, ob es durch das, was vorausgeht, unterstützt werden muß, oder ob du mit dem, was folgt, weitermachen kannst.

Ein interessantes Experiment.

*
*   *

(Dann liest Mutter zwei Verse aus Savitris Dialog mit dem Tod)

Ach, immer noch dieser Kerl...

Ich hatte in den letzten Tagen genau dieselbe Erfahrung, das ist sehr lustig.

Vergebens schickt [des Menschen] Herz sein sehendes Gebet empor,

und bevölkert mit glänzenden Göttern die formlose Leere... 1

Wieso? Warst du in der formlosen Leere?

Ich habe all dies gesehen, das war so amüsant! Ach, eine außerordentliche Erfahrung! Plötzlich war ich außerhalb... man kann nicht sagen "darüber" (obwohl es "darüber" war), aber doch außerhalb aller menschlichen Schöpfung, außerhalb all dessen, was der Mensch in allen Welten geschaffen hat, selbst in den ätherischsten. Von dort aus betrachtet war es... Ich sah dieses Spiel aller nur möglichen Vorstellungen, die sich die Menschen von Gott und der Art und Weise, sich ihm zu nähern, je gemacht haben (das, was sie "Gott" nennen), dann die unsichtbaren Welten und die Götter, all das kam eins nach dem anderen, wie es in Savitri beschrieben ist (Geste wie auf einer Leinwand), eins nach dem anderen zog vorüber... mit seiner Künstlichkeit und seinem Unvermögen, die Wahrheit auszudrücken. Mit einer solchen Genauigkeit! Eine geradezu beängstigende Genauigkeit, denn man hatte den Eindruck, nichts zu sein außer in einer Welt der Vorstellung, der eingebildeten Schöpfung, aber nichts, was wirklich wäre; man hatte nicht das Gefühl, die Sache zu... zu berühren. Es wurde so extrem, daß es... ja, eine schreckliche Beklemmung wurde: "Aber was dann? Was, was? Was ist wirklich WAHR außerhalb all dessen, was wir wahrnehmen können?"

Dann kam es. Es war so (Geste der Hingabe): die totale, völlige Aufhebung des Selbst, dessen, was wissen kann, was versucht zu wissen – selbst surrender ist kein ausreichendes Wort dafür: eine Art Auflösung. Und auf einmal endete es mit einer kleinen Regung, wie sie ein Kind haben könnte, das nichts weiß, nichts sucht, nichts versteht, nicht zu verstehen versucht – das sich einfach hingibt. Eine kleine Regung von einer solchen Schlichtheit, einer Reinheit, Aufrichtigkeit und Offenherzigkeit, einer unermeßlichen Lieblichkeit – Worte können es nicht wiedergeben – nichts, nur das (Geste der Überantwortung), und unmittelbar darauf DIE GEWISSHEIT (nicht ausgedrückt – gelebt), die gelebte Gewißheit.

Ich konnte es nicht lange halten. Aber "es" ist wunderbar.

Die Beklemmung hatte ihren Höhepunkt erreicht. Das Gefühl der Nutzlosigkeit aller menschlichen Anstrengungen, zu verstehen – zu erfassen und zu verstehen, was nicht menschlich ist, was jenseits liegt. Ich spreche von der Menschheit in ihren höchsten Verwirklichungen, verstehst du, wenn der Mensch sich als Gott fühlt... Das lag immer noch darunter.

Die Erfahrung dauerte, ach, ich weiß nicht, vielleicht ein paar Minuten, aber es war... das war etwas.

Allerdings mit einer solchen Gewißheit... sobald man da wieder herauskommt, selbst wenn man versucht, es in Worte zu fassen (oder auch ohne etwas sagen zu wollen) – sobald man versucht, es in welcher Weise auch immer zu formulieren: vorbei.

Und trotzdem bleibt hartnäckig eine Gewißheit zurück, daß die Schöpfung NICHT nur ein vorübergehendes Mittel ist, um das wahre Bewußtsein wiederzufinden: sie ist etwas, das seine eigene Realität hat und seine eigene Existenz IN DER WAHRHEIT haben wird.

Das ist der nächste Schritt.

Aus diesem Grunde ist diese Verwirklichung (die Leere) nicht das Ziel – dies ist der springende Punkt. Eine Überzeugung, daß dies nicht das Ziel ist. Eine absolute Notwendigkeit, ja, aber nicht Ziel und Zweck. Das Ziel ist... die Fähigkeit, Das hier aufrechtzuerhalten.

Wann das kommen wird, weiß ich nicht.

Aber es wird alles verändern.

Bis dahin bereitet man sich vor.

Eines mußte ich allerdings feststellen – es war nicht zu verkennen –, und zwar eine Macht der Einflußnahme auf die Umwelt, die alles Bisherige unendlich übertrifft. Das wirbelt überall alles auf, selbst bei den etabliertesten Menschen, die recht zufrieden waren mit ihrem Leben, so zufrieden, wie man es eben sein kann – selbst diese werden berührt.

Wir werden sehen.

Endlich kommt es in Bewegung.

(Zum Sannyasin zurückkehrend:) Probiere mein Mittel aus, dies sollte klappen!

 

1 In vain his heart lifts up its yearning prayer,

Peopling with brilliant Gods the formless Void

(X.IV.644, dt. S. 658)

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