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Mutters

Agenda

siebenten Band

31. Januar 1966

(Da Satprems Briefe an Mutter verschwunden sind, wissen wir nicht mehr, um welchen "Kummer" es sich hier handelte. Wahrscheinlich um gewisse Seinsarten des Lebens, die er Mühe hatte zu akzeptieren, oder vielleicht um seine eigene Unfähigkeit, das Leben in der Welt, so wie es ist, zu tolerieren. Vielleicht ging es auch um Satprems Neigung, sich in den Höhen zu verlieren (oder in den Abgründen). Jedenfalls fragte er Mutter, ob er nicht ein neues Buch schreiben solle, den "Sannyasin", in dem er versuchen wollte, eine gewisse Ablehnung des Lebens zu bannen.)

Sag mir, was bekümmert dich?

Denn... wenn du gemerkt hast, daß du einen Fortschritt machen mußt, brauchst du keinen Kummer mehr zu haben. Nur wenn man einen Fortschritt machen sollte und sich dessen nicht bewußt ist, sollte man Kummer haben!

Ich habe die Frage gründlich untersucht, und es ist wohl möglich, daß du dich durch das Schreiben dieses Buchs tatsächlich einer Sache entledigen kannst, die sich hinschleppt. Das ist gut möglich. Aber ich hatte gehofft, daß das einfach durch die innere Bewegung weggehen würde. Als ich gestern jedoch deine Nachricht erhielt, schaute ich genau hin und sagte mir: "Ja, wahrscheinlich ist dies nötig."

Das hat einen Nachteil, aber es wird auch einen Vorteil haben... Ich meine nicht äußere Nachteile, die muß man einfach in Kauf nehmen 1 . Ich spreche vielmehr von dir: das zieht deine Aufmerksamkeit in einer fast hypnotischen Weise auf einen Teil deines Wesens, der... beinahe in der Form gefangen ist – in der Form des Ausdrucks, das heißt im "Autor", im "Schriftsteller". Dennoch weiß ich sehr wohl, daß dein äußeres Wesen zum großen Teil dazu angelegt ist, aber von einem höheren Standpunkt aus: mehr als Mittel denn als Zweck.

Dein Buch über Sri Aurobindo ist in jeder Hinsicht außerordentlich und war sozusagen ein Gipfelpunkt des Ausdrucks. Außerdem war Sri Aurobindo die ganze Zeit über anwesend, während du es schriebst. Als das kam, hatte ich den Eindruck von einem Gipfel, über den man nicht hinausgehen kann... Darum dachte ich nicht mehr an weitere Bücher: mein Bewußtsein ging von diesem Buch über Sri Aurobindo zu etwas anderem, umfassenderem, über. Als ich jedoch gestern deinen Brief las, dachte ich: "Vielleicht gibt es doch noch etwas, das ausgedrückt werden muß. Vielleicht ist es ein gutes Mittel, eine Vergangenheit aufzulösen, die sich hinschleppt."

Das wollte ich dir dazu sagen.

Wenn du das also tun mußt, dann tu es, und zwar mit dieser Idee, mit dieser Aspiration, einen gesamten Bewußtseinszustand auszudrücken, damit er in die Vergangenheit geht und nicht mehr an deinem gegenwärtigen Bewußtsein klebenbleibt.

Kann dies nicht auch ein Mittel sein, die Wahrheit herabkommen zu lassen, eine Kraft der Wahrheit wie im Buch über Sri Aurobindo, wenn auch von anderer Art?

Das ist schon möglich. (Lachend) Das sage ich dir hinterher!

Vor zwei Tagen erst habe ich an jemanden geschrieben (jemand, der ein bißchen von asketischen Ideen eingenommen ist). Ich sagte dieser Person: "Diese Gedanken und diese Art zu handeln gehören in spiritueller Hinsicht der asketischen Überzeugung an, aber DIE IST NICHT MEHR WAHR." Ich sagte das mit schrecklicher Kraft: SIE IST NICHT MEHR WAHR. Ich sah, daß sie in einer bestimmten Phase der irdischen Geschichte notwendig war, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, aber heute IST SIE NICHT MEHR WAHR. Sie hat einer höheren und umfassenderen Wahrheit Platz gemacht... So gesehen kann dein Buch natürlich Ausdruck dieser neuen Kraft sein.

Das kann sein und ist durchaus nicht ausgeschlossen.

Es ist eine ganze Welt von spirituellem Denken und Sein, der ich gern einen möglichst vollkommenen Ausdruck verleihen würde, und gleichzeitig würde ich sie am liebsten zerstören. Nicht "zerstören", sondern aufzeigen, daß dies nur eine Seite, nur ein Teil ist.

Ja.

(Schweigen)

Ich habe auch gefühlt, daß es noch anderes zu schreiben gäbe. Ich könnte mir deine ganze Agenda wieder vornehmen, so wie ich das bei Sri Aurobindo gemacht habe (diese Idee ist mir mehrmals und sehr deutlich gekommen): mir deine ganze Agenda wieder vorzunehmen, von Anfang an, und dann... Weißt du, bevor ich dieses Buch über Sri Aurobindo schrieb, habe ich all seine Werke noch einmal gelesen. Und während ich sie las, war es, als würde mir gesagt: "Diese Passage... diese Passage... diese Passage ..." Ich notierte mir alle diese Passagen. Und als ich später das Buch schrieb, kamen automatisch all diese ausgewählten Passagen und verbanden sich mit dem, was mir einfiel. Denselben Eindruck hatte ich hinsichtlich deiner Agenda: ich müßte sie eines Tages noch einmal vollständig und in diesem selben Bewußtsein lesen und eine gewisse Anzahl von Passagen heraussuchen, die sich dann zu einem Buch herauskristallisieren würden.

Ja, aber jetzt noch nicht. Noch nicht. 2

Nein, noch nicht. Mir ist klar, daß die Zeit noch nicht gekommen ist.

Es ist noch nicht an der Zeit. Noch nicht. Das ist für später.

Nein. Wenn du dieses Buch schreibst... Nun, wir werden sehen, denn das hängt davon ab, ob... Wenn diese Wahrheit herabkommt, dann kommt sie eben, und dann wirst du sie automatisch zum Ausdruck bringen. Das kann man anstreben. Aber man kann nicht im voraus sagen, ob es so sein wird.

Auf jeden Fall ist ganz klar, daß dieses Buch dir als Stufenleiter dienen kann, um dich über eine Vergangenheit hinauszuheben und bestimmte Schwierigkeiten in deiner Natur zu überwinden. So gesehen bin ich natürlich sofort ganz deiner Meinung.

Es gibt also überhaupt kein Problem mehr. Du mußt es nur noch machen.

In deinem Bewußtsein scheint noch ein Zweifel zu bestehen.

Selbst mit diesem Zweifel gab es kein Zögern; ich sage dir: "Tue es!"

Die Frage ist eher von subtiler Qualität: Zu wissen, ob diese "Sache" in den inneren oder höheren Welten tatsächlich schon da ist und ich sie ausführen soll, oder ob es nur eine Entscheidung meines "Schriftsteller-Egos" ist, das gern schreiben möchte.

Die Sache ist da... (wie soll ich das erklären?)

Die Sache ist da in ihrer alten Form. 3 Es kann nicht der Schatten eines Zweifels daran bestehen, daß du etwas zu sagen hast, und daß du dies auch sagen wirst, steht außer Zweifel. Aber es ist noch in dieser Form geblieben wegen... eben jener Schwierigkeit, über die du in deinem Brief klagst und die sich hinzieht. Es gilt also gleichzeitig einen bestimmten Bewußtseinszustand und eine bestimmte Schwierigkeit aufzulösen. Dein wahres Bewußtsein, weißt du, das Bewußtsein deines wirklichen Wesens, folgt einem sehr schnellen Aufstieg. Etwas in dir nimmt das nicht wahr und hinkt hinterher, und das ist es, was dir Unbehagen bereitet. Ganz offensichtlich ist das Schreiben ein gutes Mittel (wahrscheinlich das beste), um das aufzulösen: man wirft das hinaus, indem man es ausdrückt, und damit ist die Sache erledigt, aufgelöst. Es geht nur um die FORM, verstehst du, die Form. Es ist immer dasselbe: einerseits die Essenz und der Geist und andererseits die Form. Du bist im Begriff, blitzartig aufzusteigen, und du weißt es nicht, weil etwas in dir so hart und angespannt bleibt. Das ist nur eine Form. Es wäre besser, sich dessen zu entledigen. Für dich ist es das natürlichste Mittel, die Form, den Bewußtseinszustand und die Schwierigkeit nach außen zu verlagern, alles zusammen, indem du das Buch schreibst.

Ich bin mir dessen sicher, weil ich einen Großteil der Nacht damit verbracht habe, mir das anzuschauen.

Ja, es ist gut, tue es nur! Es wird bestimmt ein interessantes, ausgezeichnetes Buch, das vielen Menschen nützlich sein wird, aber letzten Endes ist es nicht... Von unserem Standpunkt aus ist das zweitrangig.

Jetzt trägst du jedenfalls in Frankreich, Deutschland, den Vereinigten Staaten und hier das Etikett des "Autors, der das Buch über Sri Aurobindo geschrieben hat". Es wird also ein neues Buch vom "Autor des Buches über Sri Aurobindo" geben. Folglich wirst du eine Leserschaft haben. Für mich sind all diese Dinge zweitrangig. Aber deswegen sind sie nicht weniger wahr.

Weißt du, was mich vor allem interessiert... Das einzige, was ich zur Verteidigung des Schriftstellers sagen kann, ist, daß für mich Schreiben wie ein Mantra ist: es bedeutet, eine Schwingung der Wahrheit zu verkörpern.

Ja.

Das ist die eigentliche Funktion.

Ja.

Wenn "das" nicht da ist, interessiert es mich nicht.

Es ist ganz gewiß da.

Aber da ist noch eines... Selbst als Schriftsteller (in deiner jetzigen Form und als Schriftsteller) kannst du das, was du auf die Erde herabziehen und ausdrücken willst, auf viele verschiedene Arten ausdrücken, IN DEINER EIGENSCHAFT ALS SCHRIFTSTELLER: in vielen verschiedenen Formen. Wir sind derzeit mit einer bestimmten Form beschäftigt, die du dir ausgedacht hast. Was diese Form nützlich macht, ist in meinen Augen (vielleicht etwas gewöhnlich ausgedrückt), daß sie als Axt dienen kann, mit der du das aus deinem Bewußtsein völlig beseitigst, was du zurückweisen willst: eine bestimmte Wesensart in deinem Bewußtsein, die in die Vergangenheit zurückweicht. Und danach kannst du dich zu Ausdrucksformen höheren Ranges erheben.

Beachte dabei noch folgendes: Wenn man das Problem vom irdischen oder menschlichen Standpunkt aus betrachtet, gehört es zu den Dingen, die für die Menschheit sehr nützlich sein können. Wenn du "humanitär" veranlagt wärest, würde ich sagen: es besteht nicht der Schatten eines Zweifels, es kann von großem Nutzen sein.

Ich sagte dir bereits, daß ich mir das in der vergangenen Nacht sehr sorgfältig angeschaut habe und zu diesem Schluß kam: du mußt es tun. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Aber ohne Traurigkeit.

Hindernisse aufzudecken, Schwächen und Widerstände in seinem eigenen Wesen, in seinem eigenen Bewußtsein zu erkennen, ist keine Niederlage sondern ein großer Sieg. Darüber darf man sich nicht beklagen; man muß sich freuen.

Aber es ist voller Schwächen!

Ja! (Mutter lacht) Ja, das weiß ich wohl, wir sind alle voller Schwächen.

Ich verstehe nicht einmal zu leben!

Ja, das stimmt! (Mutter lacht) Aus diesem Grunde hält deine Schwierigkeit ja so hartnäckig an. Andernfalls hätte sie schon längst verschwinden müssen. Sie wird verschwinden, aber... sie hat eine gewisse Daseinsberechtigung aufgrund... ja, einer bestimmten Einstellung deines Bewußtseins gegenüber dem Leben. Das war in der Tat etwas von dem, was ich gesehen habe.

Würde doch nur eine ganze Vergangenheit aufgelöst und hinausgeworfen: ausgedrückt und zurückgewiesen: "Schluß jetzt, ich habe nichts mehr mit dir zu schaffen! Ich habe dich ins Leben gerufen."

Schau, das ist sehr gut und nützlich für viele Menschen, denen dieses gewisse Bewußtsein abgeht. 4 Es gibt nichts in der Welt, was unnütz wäre, aber die Dinge müssen an ihrem Platz sein. Wenn man an einem Bewußtsein klebenbleibt, das überwunden werden müßte, wird das zu einer Schwäche – man darf nur nicht daran klebenbleiben! Man muß das hinauswerfen und es dann wie ein Sprungbrett benutzen, um höher zu springen. So sehe ich das. So sehe ich alle Unfähigkeiten, alle Schwächen und failures [Fehlschläge]: "Gut, es ist ein Sprungbrett – springen wir also, und lassen wir das hinter uns."

Wenn man die Arbeit macht, die ich mache, und mit all den kleinen Reaktionen des physischen Körpers und des materiellsten Bewußtseins in Verbindung steht... für jeden anderen Menschen mit einem Ideal wäre es absolut entmutigend und widerlich. Aber es ist nun mal so, und es muß sich ändern – und wir sind da, damit das anders wird. Und solange wir nicht bewußt sind, wird sich das nie verändern. Folglich muß man sich freuen, wenn man sich dessen bewußt wird.

Alle Entdeckungen sind immer Gnaden – wunderbare Gnaden. Wenn man entdeckt, daß man nichts kann, daß man ein Schwachkopf ist und keinerlei Fähigkeiten hat, daß man so klein und armselig und dumm ist... "Ach Herr, wie ich Dir danke! Wie gut Du bist, daß Du mir das alles zeigst." Und damit hat sich's. Denn von der Minute an, wo man es entdeckt, sagt man: "Das ist jetzt Deine Sache. Du wirst das Notwendige tun, damit sich das alles ändert." Und das Schönste daran ist: Es ändert sich tatsächlich! Es wird anders. Wenn man aufrichtig so macht (darbringende Geste nach oben): "Bitte nimm Du das, übernimm Du das, befreie mich davon und laß mich... nur noch Du sein" – dann ist das wunderschön.

 

1 Das Problem des Zeitaufwands, um ein Buch zu schreiben.

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2 Erst acht Jahre später schrieb Satprem die "Trilogie" über Mutter.

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3 Die erste Fassung des Sannyasins, die als eine Art griechischer Tragödie mit Chören konzipiert war.

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4 Die Ablehnung der Welt, so wie sie ist, und die Flucht in die Höhen.

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