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Mutters

Agenda

fünften Band

10. Oktober 1964

(Seit einigen Monaten hatte Mutter oft bemerkt, daß sie nichts mehr sehe und daß sie ihre Antworten oft schreibe, ohne zu sehen; einmal sagte sie sogar: "Ich bin blind.")

...Das ist eine weitere merkwürdige Sache. Auf einmal, ohne irgendeinen äußeren Anlaß und sogar ohne ersichtlichen psychologischen Grund, sehe ich klar und deutlich – das dauert einige Sekunden und dann... vorbei. Dies passiert mir unter völlig verschiedenen Umständen, z.B. hebe ich ein Papier auf, und ich sehe klar, so wie ich früher sah; ich bemerke, daß ich klar sehe – weg!

In letzter Zeit geschah dies ein wenig häufiger.

Andrerseits gibt es Momente, in denen ich versuche – zum Beispiel ist niemand da, um mir ein Papier vorzulesen, worauf ich es selbst zu lesen versuche – unmöglich; und je mehr ich mich anstrenge, desto mehr verschwimmt alles in einem Nebel. Bei anderen Gelegenheiten WILL ich etwas sehen (mit einem gewissen Willenseinsatz), und ich sehe sehr klar. Diese scheinbare Zusammenhanglosigkeit... Es muß einem anderen Gesetz unterstehen, das ich bis jetzt noch nicht kenne und das das Physische beherrscht. Aber seit einiger Zeit (ziemlich lange) lese ich nachts im "Schlaf", und ich sehe sehr klar: Wenn ich erwache, bin ich dabei, etwas zu lesen, das ich in den Händen halte, und ich sehe sehr klar. Infolgedessen ist es nicht der physische Zustand, der sich auf die nächtlichen Bedingungen auswirkt, sondern etwas anderes.

Während langer Zeit sah ich Dinge – Bilder, Szenen etc. –, ich sah, hörte aber nicht; dann, ganz plötzlich, begann ich zu hören; ich hörte das geringste Geräusch und dies auf völlig zusammenhängende und natürliche Art. Es war, als ob sich der Sinn plötzlich entwickelt hätte. Nun, es gibt einen gewissen Zustand des Sehens, der bewirkt, daß ich lese – ich lese schriftliche Sachen; jetzt, wo ich nicht mehr physisch lese, lese ich in der Nacht. Das heißt, daß die ganze innere Entwicklung des Physischen und Subtilphysischen noch eine ganze unbekannte Welt darstellt, in der es alles zu lernen gilt.

Ich kenne ihre Gesetze nicht, ich bin lediglich ein Zuschauer. Und es gehorcht einem Willen, der einer völlig anderen Ordnung angehört als der Wille, der sich in der physischen Welt auswirkt.

(Schweigen)

Aber du verstehst, wenn man sich auf einem solchen Weg befindet, kann es hundert Jahre dauern und noch mehr.

Es gilt noch, alles zu lernen, weißt du, man weiß nichts.

Ich weiß nicht, aber ich komme nicht los von diesem Eindruck, daß es überhaupt nicht von einer detaillierten Arbeit an diesem oder jenem Punkt abhängt...

Nein, nein.

... und daß eines Tages tatsächlich plötzlich etwas passieren wird.

Ja, genau. Es gibt solche Anzeichen, wie um einem zu sagen: "So wird es sein", worauf es wieder weggeht. Und wenn die Dinge so sein werden, wird es eben so sein. Ja, du hast recht, das stimmt.

Wieviele Male kommt das und schwillt an, wie eine Flut, eine sich sammelnde Welle, diese Aspiration des ganzen materiellen Wesens, aller Zellen, zum Höchsten hin: "Alles hängt von Dir ab – alles hängt von Dir ab." Das Gefühl einer totalen Machtlosigkeit und einer völligen Unfähigkeit, die von einer Sekunde zur anderen durch eine Intervention zu einer totalen Weisheit transformiert werden kann.

Und die Zellen selbst fühlen das – das Denken sagte... es sagte alle möglichen Dinge, die Erde ist voll von... (wenn man das als Gesamtheit sieht, ist es wirklich interessant!), sie ist voll von sämtlichen menschlichen Vorstellungen (die zu "Tatsachen" geworden sind), voll der phantastischsten, widersprüchlichsten, unerwarteten Vorstellungen – sie ist voll von all dem, sie lebt davon, es wimmelt davon –, was zur Folge hat, daß die materielle Welt davon überzeugt ist, daß sie aus sich selbst nichts vermag, gar nichts! Einzig und allein dieses unentwirrbare Durcheinander, das sinnlos erscheint und nichts ist, das im Vergleich zu dem, was sein kann, eine ausschweifende Vorstellung ist.

Und dann dieser Glaube (es handelt sich um einen Glauben in der Materie), daß in Blitzesschnelle (ein "Blitz"... wir wissen nichts, weißt du, es ist keine Frage der Zeit im materiellen Sinne), wie durch einen Auslöser, alles verändert werden kann. Umgewandelt in den harmonischen Rhythmus eines sich ausdrückenden Willens; ein Wille, der eine Schau ist: eine sich ausdrückende Schau, darum handelt es sich: der harmonische Rhythmus einer sich ausdrückenden Schau.

Alles, was wir darüber denken können, uns vorstellen und davon ableiten können, all das ist nichts, nichts – es ist nichts, es führt nicht DORTHIN. Was wirklich dorthin führt, ist diese Gewißheit, dieser innere Glaube, daß wenn der höchste... (höchste was? Man kann es Wahrheit, Liebe, Weisheit, Wissen nennen, all das ist nichts, es sind nur Worte – dieses "Etwas"), wenn DAS zum Ausdruck kommt, alles gut ausgehen wird.

Und diese ganze Zusammenhanglosigkeit – eine lügenhafte Zusammenhanglosigkeit – wird verschwinden.

(Schweigen)

Ebenfalls seltsam ist, daß diese Überzeugung, diese Gewißheit, sich notwendigerweise, je nach den betroffenen Menschen, in völlig verschiedenen Handlungen ausdrückt: Es ist DIESELBE SACHE, die in der Aspiration verschiedener Bewußtseinsformen verschiedene Färbungen annimmt.

Kürzlich sah ich zum Beispiel eine Aufstellung oder ein Vorbeiziehen aller nur erdenklichen menschlichen Theorien zur Erklärung der Schöpfung (der Welt, des Lebens, der Existenz). Alle Konzeptionen tauchten eine nach der andern vor mir auf, angefangen von der scheinbar primitivsten, unwissendsten bis zur wissenschaftlichsten – und alle entstammten sie (lächelnd) derselben Ebene der Unwissenheit – aber ALLE mit demselben RECHT, die dahinterstehende wahre Aspiration auszudrücken. Es war unglaublich, sogar der Glaube des Wilden, sogar die primitivsten Religionen und die unwissendsten Überzeugungen wurden von diesem selben Recht getragen, diese Aspiration auszudrücken. Es war ganz wunderbar. Damit fiel dieses Gefühl der "Überlegenheit der Intelligenz" auf einen Schlag vollständig weg.

Dasselbe gilt für diese Gegensätze, diese Widersprüche, die man "grell und vulgär" nennt, zwischen dem geistigen Fortschritt (vor allem wissenschaftlicher Natur) des Menschengeschlechts und andrerseits den scheinbar närrischen Dummheiten all jener, die gegen die Konventionen reagieren 1; nun, dieses Gefühl von Unterlegenheit oder Überlegenheit, das man unter den angeblich Vernünftigen findet, all das löste sich augenblicklich in einer Wahrnehmung des GANZEN auf, in dem ALLES – alles – das Resultat desselben Drucks (Geste einer Bewegung nach unten) zum Fortschritt hin ist. Es ist wie ein Druck, der auf die Materie einwirkt (dieselbe Geste), um eine Reaktion darauf zu erzwingen. Und welche Form diese Reaktion auch annimmt, sie bildet einen Teil der allgemeinen Aktion.

Ich erzählte dir letztes Mal, was passiert war: dieses Gefühl einer Befreiung; ja, ein Sich-Befreien aus der Erstickung und eine Art Öffnung und ein Wohlgefühl – dies hat sich etabliert. Und das Verständnis (wie das Verständnis eines unbeteiligten Zeugen), daß alles, all diese Schwierigkeiten, die kommen und sich ansammeln, absolut unerläßlich sind, damit auf dem Marsch nach vorne nichts ausgelassen wird – damit ALLES zusammen geht, und daß nur die auf das Detail ausgerichtete Sicht die Schau des Ganzen auslöscht.

Voilà.

Es wird sein wie das Küken, das plötzlich die Schale sprengt: solange es drinnen ist, existiert für die oberflächliche Sicht kein Küken, und dann, ganz plötzlich, paff, ist es ausgeschlüpft.

Hoffen wir es!

*
*   *

Als sich Satprem zum Gehen anschickt, beginnt Mutter, von seiner Gesundheit zu sprechen:

Die letzte Stufe besteht jetzt darin, daß der Körper vergißt, daß er krank war, das ist sehr wichtig.

Sehr schwierig.

Und sehr wichtig.

Ich kämpfe dauernd gegen unheilvolle Suggestionen an. Ich habe große Probleme mit diesem physischen Mental – große Probleme. Es hat schreckliche Ängste und Befürchtungen.

Oh, absolut!

Verstehst du, es mußte solche Schläge einstecken...

So ist es!

... daß es in einer Angst lebt, die alles verdirbt.

Ja, ja.

Was läßt sich da tun?

Man darf nicht lockerlassen.

Ich sah das in meinem eigenen Fall. Es war recht interessant, da ich seit frühester Kindheit den Kontakt mit dem höheren Bewußtsein besaß (Geste über dem Kopf), und ich war von einer wahrhaften Bestürzung angesichts des Zustands der Erde und der Menschen erfüllt – schon als ganz kleines Mädchen. Die ganze Zeit über lebte ich in einem dumpfen Erstaunen. Und was für Schläge ich erhielt! Fortwährend. Jedes Ereignis traf mich wie ein Dolchstoß, ein Faustschlag oder ein Keulenhieb, und ich sagte mir: "Was? Wie ist das nur möglich?" Verstehst du, die ganze Niederträchtigkeit, die Lügen, die Heuchelei, all dieses Verbogene, Entstellte, das diese Kraft zum Erliegen bringt. Ich sah es in meinen Eltern, in den Umständen, in Freunden, in allem – eine Bestürzung. Das drückte sich nicht intellektuell aus sondern in Form dieser Bestürzung. Und schon ganz früh spürte ich diese Kraft, da (Geste über dem Kopf), ich erinnere mich deutlich, daß ich ab dem Alter von fünf Jahren mich nur für einen Moment zu setzen brauchte, um zu fühlen, wie diese Kraft in mich eintrat. Das ganze Leben, bis zum Alter von zwanzig oder einundzwanzig Jahren (als ich dem Wissen zu begegnen begann und mir jemand erklären konnte, was all dies bedeutete) verbrachte ich darin, in dieser Bestürzung. "Was – ist das das Leben? Was! – sind das die Menschen? Was...!" Und es war mir, als ob ich grün und blau geschlagen würde.

Dann, ab dem Alter von zwanzig oder einundzwanzig Jahren, begann diese Gewohnheit des Pessimismus. Es brauchte diese ganze Zeit, all die Schläge, damit sich dieser geltend machen konnte.

Aber was die Gesundheit anbelangte, wenn eine Krankheit eintrat (für mich war es nie eine "Krankheit", sondern immer noch Teil der Schläge), war ich von einem unbedingten Vertrauen beseelt, daß diese keine Realität besaß. Und schon als sehr junger Mensch (vielleicht als Dreizehn- oder Vierzehnjährige) sagte ich meinem Körper bei jedem Schlag, den er abbekam: "Aber was bringt denn das, krank zu sein, du mußt ja sowieso wieder gesund werden!" Und so blieb das weiterhin, bis über dreißig: "Was bringt das schon, krank zu sein, da du ja sowieso wieder gesund werden mußt!" Erst nach und nach nahm das ab, zusammen mit diesem wachsenden Pessimismus.

Jetzt muß ich all diese Arbeit ungeschehen machen.

Aber bei dir ist es dasselbe, denn du warst schon bewußt, als du noch sehr klein warst (ohne dir dessen bewußt zu sein), und als du durch all diese schrecklichen Dinge gehen mußtest, war etwas da, das bewußt blieb, aber dadurch wurde dieser Pessimismus gefördert – dieser Pessimismus des physischen Mentals. Und jetzt gilt es, all diese Arbeit rückgängig zu machen. Und was für eine Arbeit das ist, uff!...

Verstehst du, es war mir UNMÖGLICH, schlicht unmöglich, an all diese Bewegungen des Verrats und der Eifersucht, an all diese Regungen der Verneinung des Göttlichen im menschlichen Wesen und in den Dingen zu glauben (nicht nur an sie zu glauben, sondern sie überhaupt zu verstehen) – es war einfach unmöglich, ich verstand nicht! Nur kam es von allen Seiten, und ich erhielt Hiebe, Hiebe und nochmals Hiebe... All dies mußte also rückgängig gemacht werden.

Für dich war es das Gleiche – ich weiß das sehr wohl. Ich verstehe sehr gut. Und für dich nahm es brutale Formen an.

Aber es gilt einfach durchzuhalten, das ist alles.

Man muß die Prägungen nach und nach auflösen. Und das einzige Mittel dazu ist eben, sie mit der Wahrheit in Kontakt zu bringen. Es gibt kein anderes Mittel – all die Gedankengänge, die ganze Intelligenz, das ganze Verständnis, all dies vermag bei diesem physischen Mental überhaupt nichts. Die einzige Sache ist die, den Kontakt zu begründen. Genau dies schätzen die Zellen: die Möglichkeit, den Kontakt herzustellen.

Den Kontakt herstellen.

In materieller Hinsicht eignet sich das Japa sehr gut dafür. Wenn man einen müden Kopf hat und man es leid ist, die ganze Zeit diesem Pessimismus entgegentreten zu müssen, braucht man nur sein Japa zu wiederholen, und automatisch stellt man den Kontakt her. Den Kontakt herstellen! Dies schätzen die Zellen ausgesprochen. Es ist ein sehr gutes Mittel, da es nicht mentaler Natur ist, es ist ein mechanisches Mittel, eine Frage der Schwingung.

Voilà, es gilt einfach durchzuhalten.

 

1 Mutter meint damit vielleicht insbesondere die Überspanntheiten der amerikanischen Jugend.

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