Mutters
Agenda
dritten Band
12. Dezember 1962
(Satprem versucht, Mutter über die Gründe von Sri Aurobindos Weggang zu befragen.)
Oh, nein, nein! Darüber will ich nicht sprechen.
Ich möchte lieber nichts davon hören, und es soll auch nicht aufgezeichnet werden 1 .
Damals ging ich durch schreckliche Tage.
(Schweigen)
Erst jetzt komme ich langsam da heraus.
Jedenfalls nicht heute.
Ich weiß nicht, ob es einer allgemeinen Entwicklung entspricht, aber am 9. Dezember wurde ich von einer Lawine unerfreulicher Dinge überschüttet.
Ja?
Ich weiß nicht, auf einmal war da eine Atmosphäre (ich bin übrigens noch darin), eine unangenehme Atmosphäre.
Ach, mein Kind! Es war schrecklich, wirklich schrecklich. Eins nach dem anderen. Eine wirkliche Lawine, als ob alles sich zersetzte.
In allen Bereichen, überall, ein Ansturm von Lügen, Falschheit, Dummheit, Verwirrung... Es war ent-setz-lich. Wir sind noch nicht da heraus, die Folgen sind noch spürbar. Nun...
Der Körper hatte große Mühe, all das zu ertragen.
Nahm es für dich eine psychologische oder eine physische Form an?
Eine psychologische. Auf einmal kam es über mich, als ob nichts mehr einen Sinn hätte. Ein Ekel, ein Zerfall, wie du sagtest.
Ja, Zersetzung, Auflösung.
Gleichzeitig überfiel mich eine ganz alte Formation, die ich schon lange nicht mehr gespürt hatte: eine Unlust zu schreiben, die Versuchung wegzugehen, solche Dinge.
Ja, es war ein feindlicher Ansturm.
Es begann übrigens mit der üblichen Suggestion: "Sri Aurobindo ging fort, folglich hast du hier nichts mehr zu suchen, du mußt so schnell wie möglich von hier weggehen!" In anderen Worten, alles bricht zusammen.
Meine übliche Antwort – die einzig taugliche Antwort für diese Wesen – lautet: "Das geht mich nichts an. Das ist Sache des Herrn, wendet euch an Ihn." Dann bleiben sie ruhig. Ein anderes Mal, wenn sie eine Aussicht auf Erfolg sehen, kommen sie wieder, und die Antwort ist immer dieselbe – das entmutigt sie ein wenig. Schließlich hört es dann auf. Aber... alles nur Vorstellbare. Gerade bei Leuten, die normal fortschritten: ein Rückfall in all die alten Irrtümer, die alten Dummheiten. Dann eine Art Haß, der aus allen Dingen und der ganzen Welt hervorbricht und sich auf mich stürzt, mit der unvermeidlichen Schlußfolgerung: "Was machst du hier! Verschwinde von hier, wir wollen dich nicht! Du siehst doch, daß dich niemand will!" – "Das ist nicht meine Sache, das betrifft mich nicht. Ob man mich will oder nicht, solange der Herr mich hier behält, bin ich hier. Wenn Er mich nicht mehr behalten will, läßt er mich gehen, das ist alles, das ist nicht meine Sache." Das hält sie dann in Bann, dies ist das einzige, was sie in Bann hält. Aber es entmutigt sie nicht.
Nun warte ich darauf, daß der Orkan sich legt.
Es muß gesagt werden, daß seit 1950 JEDES Jahr zu dieser Zeit dasselbe geschieht. Mit derselben Suggestion (die sie nicht nur mir einflößen sondern allen – allen, die zuhören): "Sri Aurobindo ging fort, was hat sie hier noch zu suchen? Sie soll fortgehen!" Manche sind so unerbittlich und sagen: "Sie WILL gehen." Nicht: "Sie muß gehen" sondern "Sie WIRD gehen. Ihr könnt beruhigt sein, sie wird gehen. Die Zeit ist gekommen, sie wird gehen. All das hat keinen Bestand, ihr seht es doch, es hat keinen Sinn. Sri Aurobindo ging, weil er angewidert war. Er ging fort, folglich muß sie auch gehen." So ist das.
Da bleibt aktiv nur eins zu tun: "Das ist nicht meine Sache. Der Herr entscheidet, der Herr handelt, der Herr ordnet an – und außerdem werdet ihr selber vom Herrn weggeschickt [auf die andere Seite]. Das ärgert sie am meisten. (Mutter lacht)
1 Zu Recht oder Unrecht bewahrte ich die Tonbandaufnahme dieses Gesprächs nicht auf – nicht aus Gehorsam gegenüber Mutter, denn ich war nie besonders folgsam, sondern weil die Worte, die folgten, mir derart weh taten. Ich wußte noch nicht, wie wahr sie sprach.