Mutters
Agenda
zweiten Band
25. März 1961
(Am Vorabend hatte Satprem einen Brief an Mutter geschrieben, wo er sich über seinen Mangel an konkreten Erfahrungen beschwerte. Hier ist Mutters Antwort nach einer gemeinsamen Meditation:)
Es ist nicht so, daß du keine Erfahrungen hättest! Du hast sogar Zugang zu Regionen, die die Leute sehr selten erreichen: du bist fähig, das Licht zu haben, Intuitionen, Offenbarungen – aber wahrscheinlich ist das etwas Gewohntes für dich, und du schenkst dem keine Aufmerksamkeit. Jedenfalls wollte ich absichtlich mit dir meditieren, um zu sehen, was dich daran hindert, bewußt zu sein... Und ich sah auf deiner rechten Seite eine Art Kristallisierung... ein wenig, als wärest du in einer Statue.
Es war wie durchscheinender Alabaster, hart, härter als Stein. Das Ergebnis einer Individualisierung – das war mein Eindruck. Eine Individualisierung, die sich sehr... härtete, und die sich völlig transparent machen wollte, aber in keinen fühlbaren Kontakt mit den Dingen tritt: das dringt nur durch die Bereiche von oben ein, durch die intellektuelle Wahrnehmung – nicht intellektuell: eine Art mentale Vision. Und ich begann darauf einzuhämmern!
Hauptsächlich dort, auf der rechten Seite – ich behämmerte es. Aber seltsamerweise zerbrach es nicht... es wurde weicher, aber dann verlor es seine Schönheit (es war wirklich schön, wie gemeißelt!). Ich versuchte durchzudringen, aber anstatt durch diese Ebene zu gehen (auf Brusthöhe), die psychische Ebene, die Schwingung der Seele, mußte ich nach oben gehen und dann wieder herunterkommen, um das zu tun (das war das Interessante daran). Schließlich drang ich ein, ohne es zu merken! Kraft meiner Konzentration drang ich ein. Dort, auf der Ebene des Vitals, des emotiven Vitals (auf Höhe des Solarplexus) befand ich mich buchstäblich darin, und ich legte dort zwei Blumen hin: eine sehr große Blume der "Ausdauer" im materiellsten Vital [Zinnie] und eine andere wie die, die X mir brachte [Kosmee], aber größer und völlig weiß (das betrifft die geschlechtlichen Regungen: "Das Licht in den geschlechtlichen Regungen"). Aber das Seltsame war, daß ich durch eine Trance hineindrang; ich war sehr damit beschäftigt, das fließender zu machen, als ich plötzlich mit einem Schlag drinnen landete, aber durch eine Trance, deshalb wurde es ganz und gar objektiv: es gab keinerlei Gedanken mehr, nichts. Ich sah, daß ich diese zwei Blumen hierher gelegt hatte (Geste auf Höhe des Bauches und der Brust), die eine auf die aktive Seite (eine sehr große Blume der Ausdauer, dunkelviolett), und eine andere viel kleinere, weiß, rein weiß, ein wenig tiefer. Als ich das betrachtete, schlug, glaube ich, die Uhr, etwas zog mich, da verlosch alles.
Aber mich interessierte das. Als ich gestern abend deinen Brief bekam, konzentrierte ich mich einen Augenblick, fast aus Neugierde: "Warum hat er überhaupt nicht den Eindruck, eine Erfahrung zu haben? Warum fühlt er nichts?" Ich wollte eben wissen, welche Sorte Erfahrung dir den Eindruck geben würde, daß du eine Erfahrung hast!
Wenn ich das Licht empfinge: daß ich dieses Licht SEHE; wenn ich die Unermeßlichkeit vor mir sähe...
Dann liegt es im Bereich der Visionen, der bewußten Wahrnehmung.
Ja, eine bewußte Wahrnehmung, eine Vision, sonst passiert nie etwas!
Ich habe wohl verstanden! Aber gestern, als ich mich konzentrierte, hatte ich wieder das Gefühl, vor dir zu sitzen, und auf dieselbe Weise behämmerte meine linke Seite dieses Etwas, das völlig starr war, auf deiner Rechten. Ich war erstaunt, ich fragte mich: "Warum hämmere ich?" (Ich hatte keinerlei derartige Absicht!) Das war seltsam. Deine linke Seite ist nicht so, nur hier (rechts).
Jetzt habe ich Scherben verursacht!
(Schweigen)
Seltsam ist, daß ich dieselbe Beschwerde von S bekam. Er sagte: "Ich habe keine Erfahrungen." Da fragte ich ihn: "Welche Erfahrungen?" Er antwortete: "Ich setzte mich in Meditation, und es kommt Frieden, Frieden, Frieden... immer dasselbe!" (Manche Leute wären damit sehr glücklich! Aber er...) Ich fragte ihn: "Welche Erfahrungen hätten Sie gerne?" Er sagte: "Aber bewußt zu sein – des Göttlichen bewußt zu sein, der Göttlichen Gegenwart bewußt zu sein!" Darauf antworte ich stets: "Das ist, weil Ihr Mental blockiert ist" (Mutter zeichnet eine geometrische Figur). Er ist so überzeugt, daß er weiß! Er sagte mir: "Aber nein! Das ist es nicht." – Er glaubt mir nicht!
Jedenfalls komme ich bei ihm zu keinem Resultat, und bei X auch nicht.
Mehrmals in meinem Leben spürte ich ein bestimmtes Phänomen oder machte eine absolut außergewöhnliche und einzigartige Erfahrung, und hatte gleichzeitig das Gefühl, daß ein Teil meines Wesens es nicht merkte! Und ich sagte mir: "Sieh an, wenn ich nicht gleichzeitig hier und dort gewesen wäre (Mutter bezeichnet zwei verschiedene Ebenen ihres Bewußtseins), hätte ich all diese Erfahrungen machen können (denn das war nicht nur einmal, sondern viele Male), ohne es je zu wissen! Absolut einzigartige Erfahrungen, wie manche alte vedische Erfahrungen – absolut einzigartig. Als ich sie Sri Aurobindo erzählte, sagte er mir: "Oh, das ist äußerst selten! Manche Leute bemühen sich ihr ganzes Leben lang, das zu haben." Das passierte mir häufig, nicht nur einmal: die Erfahrung lag dort (Geste nach oben), etwas dort wußte es, aber ein anderer Teil war hier, und der hätte es nicht erfahren, wenn das andere dort es nicht erfahren hätte (Mutter bezeichnet zwei verschiedene Teile ihres Bewußtseins). Dennoch war... die Erfahrung hier, vollständig.
Das ist sehr schwer zu erklären, es ist äußerst subtil.
Aber das läßt mich vermuten, daß es etwas ähnliches mit den anderen Leuten sein muß. Denn die Erfahrungen gebe ich euch! Ohne zu prahlen.
Gewiß, ihr seid völlig berechtigt, mir zu antworten: "Wozu nützt das, wenn wir es nicht merken!" Aber so ein Phänomen muß es sein. Ich bin auf der Suche nach dem Grund... etwas... which refuses the knowledge [was das Wissen ablehnt]. Ein Teil des Wesens weigert sich (aber nicht bewußt), die Erfahrung wahrzunehmen.
Kann man praktisch etwas tun?
Es ist eher... Vielleicht erfordert es etwas in der Art einer kindlichen Treuherzigkeit? Eine kindliche Einfachheit und Treuherzigkeit irgendwo – irgendwo, wo das Bewußtsein sehr intellektualisiert ist.
Es ist sehr auf der Hut, will nicht getäuscht werden, keiner Einbildung zum Opfer fallen.
Eine Art kindliche Treuherzigkeit fehlt irgendwo.