Mutters
Agenda
ersten Band
13. Dezember 1960
All diese Tage befand ich mich in Gegenwart eines Problems, das so alt ist wie die Welt und das eine außerordentliche Dringlichkeit annahm.
Es war im materiellsten physischen Bewußtsein das, was Sri Aurobindo disbelief [Unglauben] nennt – das ist nicht der Zweifel (der Zweifel ist vor allem Sache des Mentals), es ist beinahe die Weigerung, das zuzulassen, was offensichtlich wird, sobald es sich nicht mehr um die kleine tägliche Routine der gewöhnlichen Empfindungen und Reaktionen handelt: eine Art Unfähigkeit, das Außergewöhnliche zuzugeben und gelten zu lassen.
Dieser disbelief stellt die Grundlage im Bewußtsein dar. Und dann wird es begleitet von... (man nennt es "Gedanken", aber das ist ein großes Wort für etwas sehr Banales) einer physisch-mentalen Tätigkeit, die einen veranlaßt (dies ist wirklich das Wort), die einen veranlaßt, Dinge zu "denken", und die immer in einer Weise vorhersieht oder einbildet oder schließt (das hängt von den Fällen ab), die ich DEFÄTISTISCH nenne; das heißt, es bringt automatisch die Idee aller schlechten Dinge, die eintreten können. Und das in einem Bereich, der völlig auf Bodenhöhe liegt, im gewöhnlichsten, beschränktesten, banalsten Leben: es geht ums Essen, Bewegen... Kurz, die ordinärsten Dinge.
Im Bereich des Denkens ist das recht leicht zu handhaben und zu beherrschen, aber diese Reaktionen von ganz unten... sie sind so klein, daß es einem sogar schwerfällt, sie sich selber zu beschreiben. Zum Beispiel wird einem gesagt: "Soundso aß dies oder jenes." Dann schleicht sich augenblicklich etwas ein und behauptet: "Ah! Das wird ihm Bauchweh geben!" Oder man hört: "Jener wird diesen Ort besuchen." – "Oh! Ihm wird ein Unfall zustoßen ..." Und bei allem geht es so, auf der Erde kriechende Dinge. Nichts zu tun mit dem wirklichen Denken!
Das ist eine üble Gewohnheit, denn es beläßt diesen materiellsten Teil in einem Zustand der Disharmonie, der Unordnung, der Häßlichkeit und der Schwierigkeit.
Ich habe alle möglichen Mittel versucht... Das zu verlassen, ist relativ leicht. Aber dann ändert es sich nicht.
Diese Probleme zeigten sich mir in sehr dringlicher Weise, als ich The Yoga of Self-Perfection von Sri Aurobindo las. Das konfrontierte mich mit einer ungeheuren Welt der Transformation – all das zu transformieren, was bereits leuchtend ist, fällt sehr leicht, aber dies hier zu transformieren!... Uff! Dieses Gewebe, so niedrig, so vulgär, so ordinär, des Lebens – das ist sehr viel schwieriger. 1
In letzter Zeit, einige Tage lang, hatte ich es damit zu tun, kämpfte dagegen: wie diesen idiotischen, vulgären und vor allem defätistischen Automatismus daran hindern, ständig aufzutreten? Es handelt sich wirklich um einen Automatismus: das spricht auf keinen bewußten Willen an, auf nichts. Was erfordert es, damit...? Und es steht in ÄUSSERST ENGEM Zusammenhang mit den Krankheiten des Körpers (die schlechten Angewohnheiten des Körpers, seine harmonische Bewegung zu verlassen und in Verwirrung zu geraten), diese beiden Dinge hängen sehr eng zusammen.
Ich stecke mitten in dem Problem.
Für mich bedeutet "Problem" nicht, die Sache zu erklären (das zu erklären ist leicht), sondern: Beherrschung, Meisterung und Transformation. Das wird etwas Zeit erfordern.
Wir werden sehen.
Jetzt kommt X und die Tage der Meditationen mit ihm. 2 Was wird geschehen?... Übrigens schreibt er nicht mehr, daß er kommt, "um dem Ashram zu helfen". Er schrieb Amrita, er käme, um Gelegenheit zu haben (ich erinnere mich nicht mehr der genauen Worte), jedenfalls um von seinen Meditationen mit mir zu profitieren, um die nötigen Transformationen zu bewerkstelligen!... Eine völlig veränderte Haltung. Ihn betreffend hatte ich mehrere Visionen, die ich dir später erzähle.
1 Später fügte Mutter hinzu: "Dazu fällt mir ein, irgendwo, ich weiß nicht mehr genau wo, sprach Sri Aurobindo darüber, über dieses physische Mental, und er sagte, damit wäre nichts zu machen: man kann es nur zerstören." Vielleicht bezieht Mutter sich auf folgende Stelle in The Synthesis of Yoga: "Mit diesem launenhaften, unsteten, gewalttätigen und störenden Faktor ist nichts anzufangen, als sich seiner zu entledigen, sei es, indem man sich davon loslöst und es dann zur Stille bringt, oder indem man dem Denken eine Konzentration und Zielstrebigkeit verleiht, durch die es selbständig dieses fremde und verwirrende Element zurückweist." (Cent. Ed. XX, S. 300)
2 Der Tantra-Guru, dem Mutter fast jeden Tag während seines Besuchs eine Meditation gab.