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Mutters

Agenda

ersten Band

Oktober 1955

(Brief von Satprem an Mutter)

Bangalore, Oktober 1955

Liebe Mutter, in den drei Tagen seit ich das Ashram verlassen habe, hörte ich nicht auf, Deine Gegenwart in meinem Inneren als das einzig Wesentliche, das einzig Sichere inmitten der verschwommenen Erscheinungen zu empfinden. Je mehr ich in diese äußere Welt eintrat, um so mehr hatte ich das Gefühl, in eine Welt ohne Dichte, ohne Beständigkeit zu kommen, in der alle Dinge und alle Wesen sich wie ein sehr dünner Schleier im Winde bewegten; und je mehr ich in diese schwankende Welt eintrete, um so mehr scheinst Du mit unumstößlicher Sicherheit in mir zu wachsen, wie das einzig Wirkliche, der einzige Grund für mein Dasein in dieser Welt – ohne dies würde alles zusammenbrechen und seinen Sinn verlieren.

Mutter, ich habe nie so stark gefühlt, wie sehr Du einen Teil von mir ausmachst, wie sehr ich Dir gehöre, ohne die Möglichkeit einer Umkehr. Und ich fühlte das nicht nur mit meinem Geist oder mit meinem Herzen, sondern in physischer Weise. Seit einigen Wochen, während der letzten "Krise", die ich im Ashram durchmachte, schien es mir auch, liebe Mutter, daß ein physisches Band sich zwischen Dir und mir gebildet hat. Täusche ich mich? Ich hatte manchmal den Eindruck, daß Du nicht nur "Mutter" dem Geist nach bist, sondern fast meine Mutter, wie wenn Du mich wirklich physisch auf die Welt gebracht hättest, und daß es überhaupt nichts "Fremdes" mehr in meiner Beziehung zu Dir gibt. Meine Worte sind unbeholfen, aber Du wirst die Wahrheit, die dahinter liegt, sehen können, selbst wenn diese Wahrheit für mich noch verworren ist.

Ich glaubte, ich hätte einen spirituellen "Fehler" begangen, als ich das Ashram verließ. Aber jetzt scheint es mir, daß diese Erfahrung notwendig war, denn sie stellt mich mit schreiender Offensichtlichkeit dem Sinn meines Lebens, seiner tiefen Wirklichkeit gegenüber. Ich mußte meine Anwesenheit im Ashram irgendwie "objektivieren", sie von außen sehen. Ich glaube nicht, daß dies gute oder schlechte Gründe sind, um mental diese Flucht zu rechtfertigen – denn ich sehe keine anderen Gründe für dieses Weggehen. Und ich spüre kein einziges Verlangen, das ich befriedigen möchte, als würden alle diese "Vergnügungen" der Welt nichts mehr in mir wachrufen. Gewiß ist Deine Gnade hier. Die einzige Erfahrung, die ich gemacht habe, ist die, Opium zu rauchen. Früher empfand ich dabei eine Befriedigung, die mir sehr "raffiniert" erschien, und nun finde ich nur noch Magenkrämpfe und einen Stumpfsinn ohne Freude. Es ist seltsam, aber ich habe den Eindruck, daß nichts mehr einen Halt über mich hat und daß die einzigen Leute, die zu leben scheinen, die im Ashram sind. Die anderen tun nur so und sind im Gegenteil vollkommen außerhalb des Lebens, so paradox das auch scheint.

Liebe Mutter, die Erfahrung ist vollendet, erlaubst Du, daß ich im Laufe der nächsten Woche zum Ashram zurückkomme? Es gibt keinen Kampf und keinen Konflikt mehr in mir, mein ganzes Wesen bedarf Deiner, bis zum physischen Wesen, es will zurückkehren und sehnt sich danach, Dir in Freude und Frieden zu dienen. Und ich strebe nicht nur danach, Dir zu dienen, sondern auch gegen die dunklen und dummen, lügnerischen Kräfte zu kämpfen, um Dein wahres Licht zu gewinnen, das wahre Licht meines Wesens. Ich sehe keinen anderen Sinn für mein Leben, für jedes Leben.

Mutter, ich weiß jetzt, was das Wort Weihe bedeutet. Ich will mich ganz Deinem Werk widmen, mit meinem Herzen, meinem Geist, meinem Körper und meiner Seele. Ich gehöre Dir, ohne die Möglichkeit einer Umkehr, ohne Zögern. Ich weiß, daß außer Dir nichts mehr in der Welt existiert, was die Mühe lohnt zu leben. Diese Krise hat mir geholfen, klar in mich zu sehen, und ich glaube, ich habe etwas gewonnen. Oder täusche ich mich?

Schließlich wollte ich Dir meine Dankbarkeit bezeigen, denn es scheint mir, daß ich überall Deine Hand fühle, Dein unendliches Verständnis, das mich zu Deinem Licht führt, durch alle Umwege meiner Natur, indem Du Dich ihrer bedienst und sie transformierst, sie nach und nach in jedem ihrer Elemente emporhebst bis in die kleinsten Einzelheiten. Danke, Mutter, daß Du mir erlaubt hast, Dich zu finden – und verzeihe diesem schrecklichen Kind, das sich gegen die Kraft der Transformation auflehnte, ohne Zweifel, um Dich besser wiederzufinden.

Ich fühle mich so sehr als Dein Kind mit jeder Fiber meines Wesens. Ja, Dein Kind.

Bernard

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